Vorbereitende Kurse gibt es in vielen Bistümern

Zwischen Seelsorge und Wegescout: Unterwegs als Pilgerbegleiter

Veröffentlicht am 23.02.2025 um 12:00 Uhr – Von Gabriele Höfling – Lesedauer: 6 MINUTEN

Bonn ‐ Pilgern ist beliebt. Doch für die Touren braucht es jede Menge Organisation und spirituelle Begleitung. Das übernehmen oft ehrenamtliche Pilgerbegleiter. In speziellen Kursen werden sie auf ihre Aufgabe vorbereitet, die durchaus Herausforderungen mit sich bringt.

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Wenn Karl-Heinz Nagel von seinen Touren als Pilgerbegleiter erzählt, dann klingt das, als gebe es nichts, was er nicht schon erlebt hätte: Von wundgelaufenen Blasen in neuen Schuhen über Krämpfe bis hin zu einem gebrochenen Bein war alles schon dabei. "Einmal hatte jemand eine Schulterverletzung und dann haben andere Teilnehmer kurzerhand eine Trage gebaut, um ihn bis zu den Rettungskräften zu bringen", erklärt er 71-jährige Unternehmer aus dem Bistum Speyer. Aber auch das Gespräch über ganz persönliche und intime Themen suchen Teilnehmer der Pilgertouren immer wieder. Ob Nagel nun für einen Tag in heimatlichen Gefilden unterwegs ist, oder weit weg für mehrtätige Wanderungen auf dem Jakobsweg: Als ehrenamtlicher Pilgerbegleiter ist er Dreh- und Angelpunkt der jeweiligen Gruppen. 

Gute Resonanz

Pilgerbegleiter und -begleiterinnen wie Karl-Heinz Nagel gibt es in vielen Bistümern. In der Regel durchlaufen sie einen mehrtägigen Kurs, der sie auf die Aufgabe vorbereitet. Im Bistum Passau zum Beispiel startet in diesem Februar ein neuer Qualifizierungsjahrgang. In vier Modulen diskutieren die Teilnehmer über die Frage, was Pilgern überhaupt ist, lernen, wie sie spirituelle Impulse oder auch das Schweigen auf einem Weg anleiten, was alles bei der Organisation einer Pilgertour beachtet werden muss oder welche Strecke sich als Pilgerweg anbietet. "Ziel ist es, dass die Pilgerbegleiter schon während der Ausbildung ein konkretes Angebot für eine Pilgertour entwickeln, das sie dann später auch praktisch umsetzen", erklärt Magdalena Lummer. Sie ist Mitarbeiterin der Pilgerpastoral des Bistums Passau und leitet den Kurs, der nun schon zum dritten Mal stattfindet. Die Resonanz ist laut Lummer gut: Bisher haben jeweils zwischen neun und 15 Teilnehmer mit einer Altersspanne von Mitte 30 bis zur Rente mitgemacht. Nach ihrer Qualifizierung bieten sie regelmäßig Pilgerwanderungen an. Dabei bleiben sie auch untereinander in Kontakt, sehen sich bei Vernetzungstreffen wieder. "Die allermeisten Pilgerbegleiterinnen brennen für das Thema. Das merken natürlich auch die Menschen, die bei den Touren dabei sind", so Lummer. Immer wieder ist sie überrascht und auch ein wenig stolz, was sich die Ehrenamtlichen für die Wanderungen alles einfallen lassen und welchen Einsatz sie zeigen.

Ist gern als Pilgerbegleiter unterwegs: Karl-Heinz Nagel.
Bild: ©privat/Montage:katholisch.de

Ist gern als Pilgerbegleiter unterwegs: Karl-Heinz Nagel.

Bei den Kursen werden die Pilgerbegleiter und -begleiterinnen auch auf schwierige Situationen vorbereitet: Zum einen lernen sie, wie sie mit medizinischen Notfällen umgehen und auf den Pilgerwegen schnell Hilfe organisieren können. Zum anderen kann es unterwegs aber auch Konflikte geben oder Teilnehmer tragen psychische Probleme an die Pilgerbegleiter heran, die sie vor Ort nicht lösen können. Dann gilt es, Grenzen aufzuzeigen. "Die Pilgerbegleiterinnen sollten darauf hinweisen, dass es sich um ein ehrenamtliches, spirituelles Angebot handelt und auf kirchliche Beratungsdienste wie zum Beispiel die Telefonseelsorge verweisen", sagt Lummer. Hilfreich ist es auch, die Zielgruppe klar zu definieren: Eine Pilgerwanderung für Familien mit kleinen Kindern gestaltet sich ganz anders als Angebote, die sich an sportlich versierte Erwachsene richten. Touren speziell für Senioren seien wieder eine andere Kategorie.

Pilgern als Kontrast zu "Sitzkirche"

Und tatsächlich: Pilgertour ist nicht gleich Pilgertour. Von mehrtätigen Unternehmungen auf einem der großen europäischen Pilgerwege über wenige Kilometer kurze Spaziergänge hin zu Nachtwanderungen direkt vor der Haustür ist bei den vielfältigen kirchlichen Pilgerangeboten alles dabei. Im Bistum Passau zum Beispiel suchen die Pilgerbegleiterinnen Wege in den gerade neu entstandenen pastoralen Räumen, die die bisherigen Pfarreien ablösen. So können Gläubige ihre neue kirchliche Heimat zu Fuß erwandern und kennenlernen. "Wir sind tendenziell eine Sitzkirche – von den Gremien bis hin zu Gottesdiensten. Da bietet eine Pilgerwanderung einen schönen Kontrast, der alle Sinne der Gläubigen anspricht", findet Magdalena Lummer.

Susanne Kroggel hat 2022 im Bistum Rottenburg-Stuttgart die Ausbildung zur Pilgerbegleiterin gemacht. Dahin gekommen war sie über Umwege: Nachdem sie einmal spontan wegen der Krankheit eines anderen Pilgerbegleiters einspringen musste, war ihre Leidenschaft geweckt. Nun ist Kroggel regelmäßig auf dem Martinusweg als Pilgerbegleiterin unterwegs. Im September geht sie auf einer siebentätigen Etappe vom österreichischen Obermühl an der Donau über die deutsche Grenze nach Bayerbach an der Rott. Kroggel erzählt, dass sich in ihren Gruppen oft nach kurzer Zeit eine vertrauensvolle Atmosphäre entwickelt: "Auf unseren Touren reden wir über Gott: Viele erzählen, wo sie Gott gefunden haben, welche Beziehung sie zu ihm haben. Und beim Pilgern lässt sich Gott wirklich hautnah erleben", ist ihre Erfahrung. Einmal sei die Gruppe an einem einsamen Hof vorbeigekommen und habe angeklopft – auf der Suche nach einer Toilette. Geöffnet habe eine ältere, einsame Dame, die sich sehr über die Gesellschaft gefreut und am Ende allen noch einen Schnaps angeboten habe. "Wir haben ihr dann einen Pilgerschal geschenkt und darüber hat sie sich sehr gefreut", erinnert sich Kroggel. Auch das war für die Pilgerbegleiterin eine Begegnung mit Gott: "Gott zeigt sich ja auch in der Nächstenliebe."

Zwei Pilgerbegleiter auf dem Martinusweg
Bild: ©Susanne Kroggel/privat

Susanne Kroggel und ein weiterer Pilgerbegleiter bei einem Impuls auf dem Martinusweg.

Brigitte Drauz ist im Kreis Ludwigsburg zu Hause und mit ihrer Tochter regelmäßig als Teilnehmerin bei Pilgerwanderungen dabei – auch mit ihrer guten Freundin Susanne Kroggel ist sie schon gelaufen. Nach ihrer Erfahrung ist es wichtig, dass Pilgerbegleiter und Gruppe zueinander passen. Sie selbst zum Beispiel hat nicht so einen guten Orientierungssinn – umso wichtiger ist es ihr, dass der Pilgerbegleiter oder die Pilgerbegleiterin die Wanderung geografisch gut plant und den Wegverlauf sicher kennt. "Sonst bin ich in Sorge, dass wir uns verlaufen und habe den Kopf nicht frei, in den Pilgerprozess richtig einzutauchen, ins Nachdenken zu kommen."

"Jeder hat einen Funken zu Gott"

Auch das Motto, das der Pilgerbegleiter für die Wanderung wählt, kann zu einem persönlich passen – oder auch nicht. Überhaupt hätten die Pilgerbegleiter einen großen Einfluss auf die Gruppendynamik: "Ist die Gruppenleitung offen und gut vorbereitet, setzt sich das auch in der Gruppe fort. Sonst kann es passieren, dass die Gruppe auseinanderfällt." Die allermeisten Pilgerbegleiter investierten aber viel Zeit und Engagement: "Sie lieben ihre Aufgabe."

Karl-Heinz Nagel aus dem Bistum Speyer findet es berührend, welche Gedanken den Menschen auf den Pilgertouren kommen, zum Beispiel wenn es lange geradeausgeht oder die Gruppe im Schweigen läuft. "Dann zeigt sich: Jeder, egal ob religiös oder nicht, hat eine Verbindung, einen Funken zu Gott. Man muss ihn nur zu schüren", ist er überzeugt. Ihm selbst hat das Pilgern geholfen, einen Umgang mit dem tragischen Tod seines Sohnes zu finden, der im Alter von 24-Jahren bei einem Unfall starb. Auch jetzt als Pilgerbegleiter vertrauen ihm Menschen ihre persönlichen Trauergeschichten an. Kürzlich habe zum Beispiel jemand vom Suizid der Ehepartnerin erzählt. "Das sind Geschichten von einer solchen Wucht, da gilt es einfach nur zuzuhören und das zusammen auszuhalten", sagt Nagel. Bei der Rast am nächsten Wegekreuz hat die Gruppe den Trauernden besonders in das Gebet eingeschlossen – ein kleines, aber bedeutsames Symbol auf einem langen Weg.

Von Gabriele Höfling