Zentraler Faktor sei der Schutz der "Schäfchen"

Wolf: Sehe tieferliegenden Grund für Pius' Schweigen zu Holocaust

Veröffentlicht am 31.01.2025 um 11:14 Uhr – Lesedauer: 4 MINUTEN

Bern ‐ Die Frage, warum Papst Pius XII. weitgehend zu Holocaust geschwiegen hat, beschäftigt den Kirchenhistoriker Hubert Wolf intensiv: Seit einigen Jahren forscht er dazu in den Vatikan-Archiven. Für ihn steckt mehr dahinter als das Neutralitätsgebot.

  • Teilen:

Der Münsteraner Kirchenhistoriker Hubert Wolf vermutet einen tieferliegenderen Grund für das Schweigen von Papst Pius XII. (1939-1958) zum Holocaust als das Neutralitätsgebot oder schlicht Selbstschutz. "Das oberste Gebot des Kirchenrechts lautet: 'Cura animarum suprema lex', also: 'Die Seelsorge ist das oberste Gebot'. Und ich habe den Eindruck, dass dies ein zentraler Faktor im Handeln von Pius XII. ist", sagte Wolf am Freitag im Interview des "Pfarrblatts Bern". Wolf forscht seit 2020 in den Vatikan-Archiven über die Rolle Pius' XII. während des Zweiten Weltkriegs.

"Cura animarum" meint demnach die Sorge für die anvertrauten Menschen. Wenn Pius XII. vor der Wahl stehe, "seine Schäfchen zu schützen oder öffentlich als Anwalt der Menschenrechte aufzutreten, der der Papst sein müsste, dann entscheidet sich Pius immer für die cura animarum, für die Seelsorge, und nicht für die Menschenrechte", so Wolf. Denn für Pius stehe fest, dass Gott ihn am Ende fragen werde, wie viele "Schäfchen" er verloren habe.

Grund für Neutralität

Der unbedingten Parteilosigkeit habe sich Pius XII. deshalb verpflichtet gefühlt, weil er aus der gescheiterten Friedensinitiative von Papst Benedikt XV. während des Ersten Weltkriegs die Lehre gezogen habe, dass der Vatikan immer neutral bleiben müsse, erklärte Wolf. "Dies mit dem Ziel, am Ende als überparteiischer Vermittler auftreten zu können". Da Pius XII. bereits zur Ermordung einer Million katholischer Polen 1940/41 geschwiegen habe, habe er auch 1942 nichts zur Ermordung der Juden sagen können. "Das hätte niemand verstanden."

Grundsätzlich sei es als Historiker nicht seine Aufgabe, eine moralische Bewertung des vatikanischen Handels während des Holocausts abzugeben, betonte Wolf. "Schuld ist eine moralische und keine historische Kategorie." Als Historiker suche er nach Fakten, die die Grundlage für eine Rekonstruktion der Vergangenheit liefern. Dazu gebe es in den Dokumenten über das Pontifikat Pius‘ XII. noch vieles zu erforschen. "Historiker brauchen erst belastbare Zahlen, Daten, Fakten, bevor sie methodisch verantwortet Bewertungen vornehmen können." (mal)