Lokale Traditionen und politische Vorgaben spielen eine Rolle

Architekt: In China sind Kirchen nie ganz fertig

Veröffentlicht am 21.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 7 MINUTEN
Architekt: In China sind Kirchen nie ganz fertig
Bild: © Privat

Fuzhou ‐ In China wird das Christentum staatlich kontrolliert. Was bedeutet das für den Kirchenbau? Architekt Dirk U. Moench baut selbst Kirchen in China und hat die Bautradition erforscht. Im katholisch.de-Interview spricht er über seine Erfahrungen und Erkenntnisse.

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Die Geschichte des Christentums in China ist turbulent: Missionare brachten ihre Religion einst in das Reich der Mitte, als dort noch ein Kaiser regierte. Zu dieser Zeit entstanden auch Missionskirchen. In der Volksrepublik wurden Religionen in der Kulturrevolution (1966-1976) zuerst unterdrückt, seit Ende der 1970er Jahre ist religiöses Leben möglich, wenn auch unter staatlicher Aufsicht. Der Architekt und Bauforscher Dirk U. Moench baut selbst Kirchen in China und hat 2023 zum Kirchenbau im Land unter dem Titel "Chinas neue Kirchen" promoviert. Im Interview spricht er über Kirchen gestern und heute sowie die besonderen Bedingungen der Architektur.

Frage: Herr Moench, wie schlägt sich die wechselhafte Geschichte des Christentums in China im Baubestand nieder?

Moench: Das war jeweils ein sukzessiver Prozess. Ab den 1950er Jahren wurden Kirchen beschlagnahmt und enteignet, oft auch verschleiert als freiwillige Übergabe. Da gibt es spektakuläre Fälle wie die Kathedrale von Schanghai, wo die Kreuze von den Turnspitzen gerissen wurden oder Orgeln, die mancherorts aus den Kirchen gerissen und öffentlich verbrannt wurden. Das ist aber nicht der Normalfall gewesen. Denn die Zeit vor den 1970er Jahren war sehr entbehrungsreich, die Planwirtschaft versagt systemisch und es gibt immer weniger Wohnraum für die Menschen. Das heißt: Ideologie ist das eine, Pragmatismus an der Basis das andere. Unter solchen Bedingungen reißt man ein gut gebautes Gebäude nicht einfach ab. Schließlich waren das oft die größten Gebäude einer Stadt oder eines Dorfes. Also nutzte man sie um: Als Fabrik- oder Lagerhalle, Schule, Schlafhallen oder Krankenhäuser. Da wurde sehr präzise die Bausubstanz verändert und versucht, mit dem Bestand ressourcensparend umzugehen. Da gab es wenig Ikonoklasmus. Oft hängte man lediglich ein Schild über das Kreuz, das war es. Das konnte dann später ab den 1980er wieder abgehängt werden, als die Kirchen den Gemeinden zurückgegeben wurden.

Frage: Viele der Missionskirchen sind in europäischen Stilformen gebaut worden. Führt das nicht dazu, dass die zur Geschichte und zur kulturellen Identität der Gläubigen kaum Verbindungen haben?

Moench: Die Missionare in China haben sehr schnell auf Akkulturation gesetzt, der Jesuit Matteo Ricci ist da sicherlich die prägendste Gestalt. Sie haben ihre christlichen Ideen gezielt zuerst an den Buddhismus und dann – als das nicht funktionierte – an den Konfuzianismus angedockt. Deshalb war ursprünglich auch geplant gewesen, Kirchen im chinesischen Stil zu bauen. Es wurde dann aber doch ein europäischer Stil, um eine eigene christliche Identität zu schaffen und sich von anderen religiösen Strömungen abzusetzen. Das passte zur Gesellschaftsstruktur des kaiserlichen China, in der jede Gruppe ihren eigenen Baustil hatte – die Christen halt den europäischen. Nach der Ausweisung der Jesuiten aus China 1724 waren die Christen auf sich allein gestellt, architektonische Mischformen entstanden. Im Zuge des Ersten Weltkriegs wurden europäische Baustile dann unbeliebter und der Vatikan wollte dann eigentlich anders bauen. Da hatte sich diese Verbindung von Christentum und europäischer Architektur bei manchen Gläubigen festgesetzt. Andere setzten dagegen auf chinesische Ausdrucksformen. Seitdem gibt es diese beiden Positionen, die durch die Zeit immer nebeneinandergestanden haben. Das gilt bis heute. Neben Gebäuden mit historistischen Formelementen werden auch Kirchen mit den klassischen chinesischen Dächern gebaut wie auch jene im Stil der internationalen Moderne.

Bild: ©rodho - stock.adobe.com

Die meisten Missionskirchen, hier die von französischen Jesuiten erbaute Sankt-Ignatius-Kathedrale in Shanghai, sind in europäischen Bauformen gehalten.

Frage: Religion ist heute in China staatlich gelenkt. Gibt es da Vorgaben für den Kirchenbau?

Moench: So kodifiziert ist das nicht. Den Kirchenbau aus staatlicher Sicht beeinflusst eher eine besondere historische Erfahrung: Durch die Unterdrückung der Religion wurden die Gläubigen in den Untergrund gezwungen. Sie hatten keine Bibeln, Geistliche waren nicht ausgebildet. Das sorgte dafür, das sich verschiedene Glaubenstraditionen verbanden, synkretistische Formen entstanden, die Szene wurde volatil und unkontrollierbar. Das ist für den Staat eine gefährliche Entwicklung, denn solche Bewegungen haben in der chinesischen Geschichte schon oft Revolutionen angezettelt. Deswegen war den Behörden ab Ende der 1970er Jahre wichtig, die Religionen auf ihre Regeln festzusetzen, auch architektonisch. Dadurch schloss man an das Kaiserreich an. Man misst die Christen also an den eigenen Standards und kontrolliert sie auf diese Weise. Bauvorgabe ist also: Baut christlich, kirchlich. Erst in den vergangenen Jahren setzt die Regierung unter Xi Jinping propagandistisch auf die Sinisierung des Christentums. An der Basis hat das aber keine kodifizierten Folgen. Es geht eher darum, dass neue Kirchen so gebaut werden, dass sie ins Stadtbild, in die lokale Baukultur passen. Das ist den Menschen auch in den Gemeinden heute sehr wichtig. Die Kirchengebäude müssen zu den Menschen passen, ihre Identität und ihre Geschichte. Da gehört dann aber auch wieder das europäische Erbe dazu.

Frage: Was bedeutet das für Ihr Vorgehen, wenn Sie eine neue Kirche bauen?

Moench: Das ist von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Denn der Kirchenbau ist in China eine Selbstbautradition. Das heißt, in nicht wenigen Fällen bauen die Gemeindemitglieder ihre Kirche selbst. Schon, sich einen Architekten dazu zu holen, ist eine neue Entwicklung. Da haben also viele Menschen eine Meinung dazu, wie das am Ende aussehen soll. Manche Gemeinden haben sehr klare eigene Vorstellungen und suchen sich gar keinen Architekten. Andere sind ambitionierter und wollen etwas Besonderes. Da geht es dann um Selbstdefinition, wenn eine Gemeinde etwa durch eine neue Kirche auch ein neues Kapitel in ihrer Geschichte aufschlagen möchte. Da kommen dann Leute wie ich dazu und man muss schauen, ob man zusammenpasst und wie sich das Projekt entwickelt.

Frage: Wie bauen Sie?

Moench: Die Rahmenbedingungen des Bauens sind heute andere als früher. Man kann heute kaum mehr eine barocke oder eine gotische Kirche bauen. Man kann lediglich moderne Gebäude bauen, die man dann barock oder gotisch aussehen lässt, ohne dass sie es von ihrer inneren Struktur her sind. Ich baue deshalb zeitgenössisch. Ich bin Brasiliendeutscher, habe in Berlin und Sao Paolo studiert. Deshalb bin ich der tropischen Moderne verpflichtet. Das ist an den chinesischen Geschmack durchaus anschlussfähig. Ich nehme aber auch immer Anregungen aus der jeweiligen Gemeinde auf: Wenn eine größere Zahl der Gemeindemitglieder etwa einer ethnischen Minderheit angehört, kann ich Formen ihrer Tradition aufnehmen. Einen Einfluss haben aber auch die epochalen baulichen Veränderungen, die in vielen chinesischen Städten geschehen: Alte Viertel verschwinden, neue Wolkenkratzer werden hochgezogen. Da gibt es die Möglichkeit, ein Stück des kulturellen Erbes zu bewahren und dadurch Identifikation zu ermöglichen.

Bild: ©Privat, Montage: katholisch.de

Zwei der chinesischen Kirchenbauten von Dirk U. Moench.

Frage: Im Staat-Kirche-Verhältnis insbesondere im katholischen Bereich hat sich durch das Vatikan-China-Abkommen einiges geändert. Ist das architektonisch spürbar?

Moench: Das Abkommen hat unter den Katholiken Chinas für eine sehr positive Stimmung gesorgt. An ehemalige Untergrundkirchen wird nun angebaut, vormals halbfertige Kirchen werden vollendet oder in ihrem Inneren verfeinert, etwa durch eingezogene Gewölbe oder Malereien. Zum Teil wurden auch Türme gebaut. Es wird nun also investiert. Manche Gebäude werden aber auch Schritt für Schritt ersetzt. Das hat mit einer kulturellen Besonderheit zu tun: In China gibt es nicht die europäische Vorstellung eines Gebäudes, das irgendwann fertig ist und über die Jahre einen kunsthistorischen oder archäologischen Wert gewinnt, der es erhaltenswürdig macht. Denn die Systematik und der Stil des Bauens hat sich in der chinesischen Geschichte lange Zeit kaum verändert. Gebäude waren also nie Zeitzeichen. Sondern Handwerker waren in der Lage, Gebäude jeden Alters zu vergrößern, zu verkleinern oder aufzuteilen – ohne, dass es dabei einen Stilbruch gab. Gebäude haben in China also in allererster und fast einziger Linie einen praktischen Nutzen. Es wird gemacht, was nützlich ist. Durch eine veränderte politische Situation verändern sich also auch die Kirchenbauten. Jetzt ist es wieder opportun, zu bauen und sich zu zeigen – wenn man auch weiterhin vorsichtig sein muss.

Frage: Wie geht das?

Moench: Wegen der politischen Bedingungen sind die meisten Kirchen informell errichtet, einen Bauantrag können nicht registrierte Gemeinden nämlich nicht stellen. Ein Weg kann also zum Beispiel sein, eine Kirche erstmal ein Jahr lang einzurüsten und nichts zu tun. Das gibt den Behörden dann die Möglichkeit, bei Bedarf Protest gegen eine mögliche Baumaßnahme einzulegen. Das ist also eine Art metaphorischer Bauantrag. Wenn dann nicht passiert, wird Stück für Stück die bisherige Kirche durch eine neue ersetzt. Das zeigt: Die Wetterlage ist besser geworden, die Vorsicht aber bleibt – und das zu Recht.

Frage: Ist das für Sie als europäischen Architekten nicht frustrierend, zu wissen, dass Ihre Bauten höchstwahrscheinlich nicht in der von Ihnen angedachten Form stehen bleiben werden?

Moench: Selbstverständlich ist diese Vorstellung frustrierend. Meine größte Angst ist immer, dass meine Pläne gar nicht erst umgesetzt werden. Denn ich kann so viel Zeichnen, wie ich möchte: Wenn die Menschen vor Ort das anders bauen wollen, werden sie das tun. Dazu kommt, dass Innenarchitektur und äußere Architektur im Chinesischen strikt getrennt sind. Wie eine Kirche also am Ende von innen aussieht, darauf habe ich nicht automatisch Einfluss. Das sind Lektionen, die ich lernen musste. Etwa, indem ich frühzeitig gesagt habe, dass ich das Gebäude von Anfang bis Ende, von außen und von innen begleiten möchte. Das erfordert viel Kommunikation und Überzeugungsarbeit. Der Dialog, das Überzeugen und sich überzeugen lassen, spielt hier eine ganz große Rolle. Ich habe da über die Jahre eine große Toleranz entwickelt.

Von Christoph Paul Hartmann