Liturgiker kritisiert "grenzenlose" Berliner Hedwigs-Kathedrale
Der Bonner Liturgiewissenschaftler Andreas Odenthal sieht die Neugestaltung der Berliner Hedwigs-Kathedrale hinsichtlich des weitgehenden Verzichts auf architektonische Grenzen im Kirchenraum kritisch. Die Kathedrale sei "ein Raum ohne Schwellen, ohne Grenzen – und damit ohne jeden Schutz und ohne jede Geborgenheit", schreibt Odenthal in einem am Dienstag veröffentlichten Beitrag für das Internetportal feinschwarz.net. "Das ist die Kehrseite der auf den ersten Blick als dialogischer ‚Communio-Raum‘ gestalteten Kathedrale."
Das Gotteshaus sei im Zuge der Umgestaltung als Raum geplant worden, der Klerus und Laien geradezu synodal verbinden solle. "Aber unvermittelt stellen sich in diesem Raum die Grundkonflikte unserer Kirche dar: die Frage nach Grenzen und Grenzverlust, Missbrauch, die Klerus-Laie-Dynamik, ein Ringen um eine synodale Gestalt unserer Kirche, die Zuordnung von Hierarchie und Macht", so Odenthal weiter. Eines werde deutlich: Durch ein bloßes Weglassen architektonischer Grenzen im Kirchenraum könne man diesen Fragen nicht entgehen.
Odenthal: Architektonische Grenzen in der Kathedrale nicht sicher
Erst wenn Grenzen sicher seien, sei im Kirchenraum eine "heilsame Berührung zwischen Laien und Klerikern, zwischen ihnen allen und dem Transzendenten im Ritual oder in Stille möglich, und die Herzen der Menschen werden erreicht", schreibt der Liturgiker. All das aber erschwere die Hedwigs-Kathedrale in ihrer neuen Gestaltung oder verunmögliche es sogar. In ihr seien die Grenzen nicht sicher, zumindest nicht in der Architektur.
Bemerkenswert sei zudem, dass die Innenausstattung der Oberkirche nur auf die Eucharistiefeier hin konzipiert sei: "Kein eigener Raum für Stundenliturgie, die eine Raumgestalt mit einer leeren Mitte bräuchte, über die die Psalmen hin und her gesungen werden. Aber die Mitte ist nicht leer, hier steht der Altar – und dahinter der Priester." Auch dass der Ambo vor die Kathedra gerückt worden sei, sei eine "deutliche Aussage": "Jeder weiß sofort, wer hier das Sagen hat und die Interpretationshoheit über das Gotteswort. Wie mag sich die Lektorin, der Lektor fühlen, mit dem Bischof im Rücken das Wort Gottes zu verkünden?", schreibt Odenthal. Die Deutungshoheit des lebendigen Wortes Gottes sei trotz fehlender Stufen klar konturiert.
Dies gelte aber auch umgekehrt: "Wie mag sich eigentlich der Priester fühlen im ständigen Blickfeld einer oft anonym bleibenden Gemeinde? In diesem Klerus-Laie-Konflikt insinuiert die neue Gestaltung der Hedwigskathedrale wie eine Schalmei auf den ersten Blick gelebte Communio, Synodalität, tätige Teilnahme der Gläubigen, harmonisches Miteinander im Kreis", erklärt der Liturgiewissenschaftler. Das aber entpuppe sich bei näherer Betrachtung als Tünche, "denn wie soll das gehen bei einer notwendigerweise anonym bleibenden und ständig wechselnden Kathedralgemeinde?"
"Hinter dem Ambo steht die Autorität des Bischofs"
Die als Communio-Raum geplante Hedwigs-Kathedrale belebe unter der Hand den Klerus-Laien-Konflikt neu. "Und damit bezieht sie eine klassische Position: Hinter dem Ambo steht die Autorität des Bischofs, hinter dem Altar in der Mitte steht der Priester. Das ambigue Verhältnis von Klerus und Laien wird somit in die Eindeutigkeit der Hierarchie aufgelöst", so Odenthal.
Die Berliner Hedwigs-Kathedrale war Ende November vergangenen Jahres nach jahrelanger Sanierung und Umgestaltung wiedereröffnet worden. Die Neugestaltung des Innenraums der Bischofskirche geht auf einen Entwurf des Architekturbüros Sichau & Walter aus Fulda und des Künstlers Leo Zogmayer aus Wien zurück. Auffälligstes Element ist die veränderte Position des Altars, der nun in der Mitte der kreisrunden Kathedrale steht und um den sich die Gläubigen in einem Kreis versammeln können. Die Umgestaltung wurde jahrelang von Kritik begleitet. (stz)