Zwischen Weihnachtsliedern und Karfreitag

Religionssoziologe: Darum ist Ostern nicht so beliebt wie Weihnachten

Veröffentlicht am 17.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Paul Hartmann – Lesedauer: 6 MINUTEN

Leipzig ‐ Ostern ist das wichtigste christliche Fest – aber gesellschaftlich bei weitem nicht so beliebt wie Weihnachten. Das hat auch mit der Vieldeutigkeit von Ostern zu tun, sagt der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel im katholisch.de-Interview. Er blickt außerdem auf die Säkularisierung.

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Zu Weihnachten kommen auch Leute in die Kirche, die sonst eher nicht in den Gottesdienst gehen – zu Ostern ist das schon deutlich weniger der Fall. Wie kommt das? Im katholisch.de-Interview wirft der Leipziger Religionssoziologe Gert Pickel einen Blick auf die soziale Bedeutung von christlichen Feiertagen und wie sie bedroht werden.

Frage: Professor Pickel, christliche Feste sind unterschiedlich beliebt: Ostern ist zwar der wichtigste, steht in Sachen Beliebtheit aber dem Weihnachtsfest hintenan. Bei Pfingsten oder Fronleichnam kann sich schon kaum noch jemand vorstellen, worum es dabei eigentlich geht. Wie kommt das?

Pickel: Der historisch-ideelle Wert von Feiertagen lässt nach. Es gibt weniger Kirchenmitglieder und der Glaube in der Gesamtbevölkerung geht zurück. Das führt dazu, dass die Menschen bei einem Feiertag zwar wissen: Da ist irgendetwas. Es betrifft sie aber nicht. Erfolgreich sind Feiertage dann, wenn sie über ihren eigentlichen Anlass hinaus wirken können, wenn sie an das Soziale appellieren. Bei Weihnachten ist das am besten sichtbar: Das ist ein Familienfest, zu dem auch Menschen kommen, die seit Generationen mit Glaube oder Kirche nichts mehr zu tun haben – um sich im Ernstfall das Krippenspiel mit den Enkeln anzuschauen. Das Setting als Familienfest ist hier das Erfolgsmodell. Wenn diese soziale Verbindung keine große Rolle spielt, lässt das Interesse für einen Feiertag sehr schnell nach.

Frage: Aber Ostern liegt im Frühling doch viel attraktiver als Weihnachten, man kann sogar manchmal draußen sitzen. Warum ist der soziale Wert dort nicht so hoch?

Pickel: Es spricht sozial nicht so an. An Weihnachten ist die Familie der Kern, es gibt bekannte Lieder und ein riesiges Set an Symbolen: Lichter, der Baum, das Krippenspiel und so weiter. Das gibt es an Ostern nicht so stark. Dazu kommt der in der evangelischen Tradition sehr düstere Karfreitag, der nicht so anregend und besonders für Kinder und Jugendliche nicht besonders erhebend ist. Viele evangelische Kirchen versuchen, dem mit Hochkultur zu begegnen, indem dann etwa Passionsmusik von Bach gegeben wird. Ansonsten bemühen sich auch viele Pfarrer, die Gottesdienste an Ostern fröhlicher zu gestalten und im Anschluss etwa mit einem Bratwurststand für Geselligkeit zu sorgen. Dann kann man zu den Menschen aufschließen. Aber an Ostern geht es eigentlich noch, da ist vielen Menschen der Wert noch bewusst. Mit dem Reformationstag oder Fronleichnam verbinden viel weniger Menschen etwas.

Bild: ©KNA/Harald Oppitz

Ostern ist der höchste christliche Feiertag.

Frage: Liegt diese soziale Anschlussfähigkeit in den Festen selbst oder eher an historischen Faktoren?

Pickel: Eher letzteres. Manche Feste wurden historisch sehr stark aufgeladen. Beim Weihnachtsfest war es etwa das Bürgertum, das daraus ein Familienfest mit einem Baum im Wohnzimmer, Bescherung und gemeinsamem Liedersingen gemacht hat. Außerdem liegt Weihnachten am Ende des Jahres sehr passend, in einer Zeit also, in der man zusammenkommt und gemeinsam auf das Jahr zurückblickt, der Gemeinschaftsgedanke ist also generell sehr stark. Darauf sind die Kirchen auch eingegangen und haben Gottesdienste gezielt auf diese Bedürfnisse zugeschnitten, damit die Leute weiter kommen. An anderen Feiertagen hat sie das nicht so sehr geschafft. Wo es aber sonst noch gut funktioniert hat, sind Riten an Lebenswendepunkten: Hochzeit und Beerdigung etwa. Da schaffen es die Kirchen, dem sozialen Bedürfnis einer Begleitung im Lebensübergang entgegenzukommen. Nicht zuletzt sehen viele Menschen von einem Austritt ab, weil sie ein religiöses Begräbnis haben oder Taufpate werden wollen. Das zeigte nicht zuletzt die Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung. Die Menschen haben zum Religiösen also oft einen sehr pragmatischen Zugang.

Frage: Auf der anderen Seite gibt es auch Neubesetzungen, die mit dem ursprünglichen Feiertag nichts mehr zu tun haben, wie etwa bei Christi Himmelfahrt/Vatertag.

Pickel: Das geschieht, wenn der eigentliche Gehalt eines Feiertags bei den Menschen nicht anschlussfähig ist. Wenn Symbole anders aufgeladen werden, fällt das Christliche hinten runter. Bei Weihnachten ist das noch nicht geschehen, auch wegen der Lieder. Bei vielen Feiertagen aber schon. Etwa bei Christi Himmelfahrt gibt es kein Setting, das für Familien anziehend wäre. Auch besondere christlich angebundene Lieder oder Rituale gibt es kaum. Es muss eine Verbindung zwischen dem Sozialen, dem symbolischen und pastoralen Angebot geben. Denn die Menschen haben viele Optionen, von denen die Religion immer nur eine ist und mit anderen Angeboten im Wettstreit steht.

Frage: Die Säkularisierung schreitet immer weiter voran. Wie verändert sich dadurch die Bedeutung religiöser Feiertage generell?

Pickel: Es gibt schlicht immer weniger Personen, die Interesse an solchen Feiertagen haben. Denn warum sollten Konfessionslose in die Kirche kommen – entweder sie wissen nicht, was dort passiert oder sie haben sich durch ihren Austritt bewusst dagegen entschieden. Dazu kommt ein Sozialisationsabbruch. Die Verbindung zu Kirche und Glaube wird nicht mehr von Generation zu Generation weitergegeben, man weiß damit nichts mehr anzufangen. Deshalb fehlt den Leuten auch nichts, wenn sie nicht in die Kirche gehen. Weshalb sollten sie also noch einen religiösen Feiertag begehen?

Ditib-Zentralmoschee Köln
Bild: ©KNA/Cornelis Gollhardt

Die Muslime in Deutschland leben ihre Religion mehr und mehr auch öffentlich aus.

Frage: Öffentlich sichtbarer werden dagegen zunehmend Feiertage anderer Religionen, wie etwa Eid al-fitr, das Ende des islamischen Fastenmonats Ramadan. Ist da die Entfernung von Religion an sich eine Chance oder führt das zu mehr Ablehnung?

Pickel: Da gibt es immer zwei Seiten: Die einen regen sich auf, dass jetzt auch noch die anderen Religionen mit ihren Feiertagen um die Ecke kommen. Die anderen freuen sich und fordern, auch über die Ökumene hinaus das Religiöse über Glaubensgrenzen zusammen zu denken. Ich glaube: Da kommt es immer auf die Dosis an, aber eine Offenheit ist immer hilfreich. Den anderen gratulieren, auch mal in die Moschee rübergehen. Die Kirchenverantwortlichen müssen darauf vorbereitet werden, dass sie es mit anderen Religionen zu tun haben und nicht nur mit der eigenen. Denn wegen der Säkularisierung werden Pfarrer und Imame bald die einzigen sein, die sich überhaupt mit Religion auskennen, dann muss man offen und anschlussfähig sein. Die Begegnung mit anderen Religionen kann auch dazu führen, die eigene Identität zu schärfen und zu festigen. Wer mit Gläubigen anderer Religionen in den Austausch kommt, der wird sprachfähiger über den eigenen Glauben. Gleichzeitig wird es immer Kirchenmitglieder geben, die dagegen sind.

Frage: Daneben gibt es immer wieder Vorschläge, religiöse Feiertage aus wirtschaftlichen Gründen zu streichen. Was sagt das über den Stand der Religion in der Gesellschaft aus?

Pickel: Das ist ein Gradmesser der Säkularisierung. Denn dabei geht es ja gerade um einen sozialen Bedeutungsverlust, nicht nur um eine geringer werdende Kirchenbindung. Dann ist es für Politiker immer weniger attraktiv, sich für christliche Feiertage einzusetzen. Da werden Feiertage dann auch gern mal geopfert – oder wie in Berlin beim Weltfrauentag säkulare Akzente gesetzt. Diese Diskussionen werden stärker. Denn auch in stärker christlich geprägten Ländern wie etwa Italien oder Slowenien gibt es weniger Feiertage als hierzulande. Da sind die Kirchen gut beraten, sich Verbündete ins Boot zu holen, also etwa Vertreter anderer Religionen oder Gewerkschaften. Die gegenseitige Unterstützung kann dann allen Beteiligten helfen. Denn auf Dauer stehen vielleicht nicht Weihnachten oder Ostern, aber andere Feiertage durchaus auf der Kippe.

Von Christoph Paul Hartmann