Eine verheerende Fürbitte und ihr Kontext

Wie Antijudaismus aus der Karfreitagsliturgie getilgt wurde

Veröffentlicht am 18.04.2025 um 00:01 Uhr – Von Matthias Altmann – Lesedauer: 7 MINUTEN

Bonn ‐ Der Karfreitag war einst ein besonders gefährlicher Tag für Juden. Daran hatte auch die katholische Liturgie an diesem Tag ihren Anteil. Gerade eine berüchtigte Fürbitte war wirkungsgeschichtlich verheerend – bis es die nötige Neubesinnung gab. Manche sehen jedoch immer noch fragwürdige Elemente.

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80 Jahre nach dem Holocaust ist jüdisches Leben in Mitteleuropa wieder bedroht. Besonders für Christinnen und Christen gilt es da wachsam zu sein, mahnt der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich: In einer aktuellen Wortmeldung ruft er dazu auf, in Predigten und Liturgie der Kar- und Ostertage sensibel mit Darstellungen des Judentums umzugehen und nicht unbewusst herabsetzende Bilder zu transportieren. Dabei erinnert der Ausschuss daran, dass gerade die Karwoche einst eine gefährliche Zeit für Juden war. Daran hatte auch die Liturgie in der katholischen Kirche – besonders am Karfreitag – ihren Anteil. Nicht selten entlud sich an diesem Tag der Zorn gegen die vermeintlichen "Gottesmörder" in Pogromen. Erst nach der Schoah und mit dem Zweiten Vatikanum gab es eine Neubesinnung, die die Dinge wieder geraderückte.

Schon das frühe Christentum setzte sich mit dem Judentum auseinander. Das gipfelte bisweilen in einer scharfen antijüdischen Polemik, die sich nicht nur in Schriften, sondern auch in Gebeten und liturgischen Handlungen niederschlug. All das kulminierte am Karfreitag – in der berüchtigten Fürbitte für die Juden, die jedoch eher einer "Gegenbitte" gleichkam. Bekannt ist sie bereits seit dem beginnenden Mittelalter. Am wirkungsgeschichtlich bedeutsamsten ist die Fassung, die von 1570 bis 1956 im Messbuch der katholischen Kirche stand. Sie gilt als exemplarischer Ausdruck eines christlichen Antijudaismus – ein besonders schmerzliches Kapitel in der Geschichte der Kirche.

"Für die treulosen Juden"

Damals gab es neun (heute zehn) Fürbitten, die am Ende des Lesungsteils in der Karfreitagsliturgie vorgetragen wurden. Die für die Juden stand nach der Fürbitte für die Ketzer und Schismatiker und vor derjenigen für die Heiden. Es wurde auf Latein "pro perfidis Judaeis" gebetet. Die deutsche Übersetzung machte daraus "für die treulosen Juden". Der Priester rief zum Gebet dafür auf, dass Gott "den Schleier von ihren Herzen wegnimmt, damit auch sie Jesus Christus erkennen". In der darauffolgenden Oration war die Rede vom Mitleid, das Gott "sogar" mit der "jüdischen Treulosigkeit" habe und von der "Verblendung" des jüdischen Volkes. Am Schluss stand die Bitte an Gott, dass er es von ihren "Finsternissen" befreie und es das "Licht der Wahrheit", nämlich Christus, erkenne.

Als verheerend erwies sich dabei besonders das Adjektiv "perfidus". Ursprünglich hatte es gar nicht diese so stark negative Konnotation, erklärt der Trierer Liturgiewissenschaftler Marco Benini. Ab dem 7. oder 8. Jahrhundert wandelte sich die Bedeutung hin zu perfide, arglistig, bösartig, niederträchtig oder ruchlos. Diese Konnotationen drangen dann in die jeweiligen landessprachlichen Übersetzungen ein.

Karfreitag: "Es ist vollbracht!"

Der Karfreitag steht ganz im Zeichen der Trauer: Es geht um das Leiden, die Kreuzigung und den Tod Jesu – und was das für die Christen bedeutet. Die Liturgie an dem Tag ist in ihrer Form im Kirchenjahr einmalig.

Hinzu kam, dass es im Gegensatz zu den acht anderen Fürbitten bei der für die Juden keine Kniebeuge gab. Der Grund für die seit dem Ende des 8. Jahrhunderts bezeugte Praxis war, dass sich – wie man annahm – Juden vor dem leidenden Christus niedergekniet hätten, um ihn zu verhöhnen. "Vielleicht kann man sagen, dass dieses auffällige körperliche Zeichen mehr als jedwede verbale Äußerung während des zweiten Jahrtausends in der Westkirche die ablehnende Haltung den Jüdinnen und Juden gegenüber forciert hat", sagte dazu der niederländische Liturgiewissenschaftler Basilius J. Groen in einem Vortrag.

Er verweist auch auf den Kontext des Lesungsteils in der alten Karfreitagsliturgie. Zunächst wurde eine Lesung aus dem Buch Hosea vorgetragen. Deren Hauptthemen sind die Rückkehr zum heilenden Herrn, der "uns" am dritten Tag wieder aufrichtet, und das harte Urteil über die Stämme Efraim und Juda. Das negative Hosea-Urteil über die jüdischen Volksgruppen wurde in christlichen Kommentaren oft auf das ganze jüdische Volk angewandt.

Missverständliches Klagelied

Der Lesungsteil ging in die Kreuzverehrung über – begleitet wurde diese von den gesungenen Improperien, die bis heute Teil der Liturgie am Karfreitag sind. Auch sie haben eine lange Geschichte. Bei ihnen handelt es sich um ein Klagelied, das dem am Kreuz hängenden Jesus in den Mund gelegt wird. Sie sind eine Kombination von Bibelstellen, die die Heilstaten Gottes der Passion Jesu gegenüberstellen. So heißt es etwa: "Vierzig Jahre habe ich dich geleitet durch die Wüste. Ich habe dich mit Manna gespeist und dich hineingeführt in das Land der Verheißung. Du aber bereitest das Kreuz deinem Erlöser." Obwohl in den Improperien weder die Juden genannt werden noch das angeklagte Volk verurteilt wird, ist der Text oft auf das jüdische Volk angewandt worden, so Groen.

Gerade nach dem Schrecken der Shoah – und der Erkenntnis, dass auch der christliche Antijudaismus nicht unschuldig am Rassenhass gegen die Juden war – war die Karfreitagsfürbitte für die Juden in dieser Form nicht mehr haltbar. Bald nach dem Zweiten Weltkrieg begann die Änderungsarbeit. Zunächst gab es nur kleinere Anpassungen. Ein wichtiger Schritt war, dass 1956, unter Papst Pius XII., die Kniebeuge wieder eingeführt wurde. Im nach der Liturgiereform veröffentlichten Messbuch von 1970 lautete die Karfreitagsfürbitte für Juden dann aber ganz anders – ganz im Sinne der Erklärung "Nostra aetate" (1965) des Zweiten Vatikanischen Konzils, in der die katholische Kirche sich ihrer geistlichen Verbindung mit dem "Stamm Abrahams" besinnt.

 Kreuzverehrung
Bild: ©KNA/CIRIC/Olivier Donnars (Symbolbild)

Während der Kreuzverehrung in der Karfreitagsliturgie werden bis heute die Improperien vorgetragen.

In der neuen Fassung wird "für die Juden" gebetet, zu denen Gott "zuerst" gesprochen hat. Man betet um Wachstum ihrer Liebe zu Gottes Namen sowie um Treue zum Gottesbund, und dass sie zur Fülle der Erlösung gelangen mögen. Die Erstberufung Israels sowie herausragende Merkmale der jüdischen Religion wie die Tora und die Heiligung des Gottesnamens werden also ausdrücklich genannt und gewürdigt. Die Fürbitte befindet sich nun unmittelbar nach derjenigen für die Einheit der Christen. In der Oration nach der Fürbitte heißt es, Abraham und seinen Kindern sei die Verheißung gegeben. Die alttestamentliche Heilsgeschichte wird anerkannt. Auch das liturgische Setting hat sich geändert. Anstelle der Hosea-Stelle wird als Lesung nun das vierte Gottesknechtslied aus dem Buch Jesaja (Jes 52,13-53,12) vorgetragen.

Die Improperien haben die Liturgiereform überlebt. Der Vorwurf, Motive des christlichen Antijudaismus zu transportieren, begleiten sie dennoch bis heute: Aus den Texten ließe sich der alte christliche Vorwurf herauslesen, dass Israel die wahre Bedeutung Jesu nicht erkannt und ihn verworfen habe. Zudem gab es vor allem im Mittelalter dezidiert antijüdische Auslegungen der Improperien.

Aufruf zur Umkehr

"Man weiß, dass sie anders verstanden werden konnten", sagt Liturgiewissenschaftler Benini. Doch im Blick auf die Wurzeln des Textes und den liturgischen Kontext sei der Vorwurf des Antijudaismus nicht haltbar. Die Improperien bedienen sich einer prophetischen Kritik etwa aus dem Buch Micha. "Ihr Ziel war, das Volk Israel zu einer neuen Zuwendung zu Gott zu bewegen", so Benini. Dazu kommt die christliche Tradition seit Paulus, das Heilshandeln Gottes Christus zuzuschreiben. In den Impoperien wird das kombiniert: Die Worte werden Jesus in den Mund gelegt, der sich an diejenigen wendet, die an sein Kreuz herantreten, betont der Theologe Die Gläubigen sollen an dieser Stelle also ihr eigenes Verhalten zu Christus überdenken. Er ist das "Ich" in den Improperien und spricht sein christliches Volk an. Sie sind leut Benini als Aufruf gedacht,: "Der Beter oder Zuhörer soll nicht mit Hartherzigkeit auf den Kreuzestod Jesu reagieren, sondern sich von seiner Liebe ansprechen lassen und ihm für die Erlösung danken." Ganz so, wie auch die Gottesklagen im Alten Testament eine neue Zuwendung Israels zu Gott, der viele Heilstaten an seinem Volk vollbracht hat, erreichen wollen.

Gerade die Kar- und Ostertage machen den jüdischen Hintergrund des christlichen Glaubens deutlich, auch durch die Auswahl der Lesungen und weiterer Texte. Marco Benini verweist dabei beispielsweise auf die Oration nach der Exodus-Lesung in der Osternacht. Dort heißt es an Gott gerichtet: "Deine uralten Wunder leuchten noch in unseren Tagen." Gerade das sollte – nicht nur, aber besonders in dieser geprägten Zeit – deutlich werden, wenn Christen Liturgie feiern. "Die Botschaft der Auferstehung Jesu ist eine Botschaft der Hoffnung und des Lebens. Sie darf nicht auf Kosten des Judentums verkündet werden", betont auch der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Österreich. Gerade in Zeiten des wiederauflebenden Antisemitismus trage die Kirche eine besondere Verantwortung für eine Theologie der Versöhnung und des Respekts.

Von Matthias Altmann