Der tote Franziskus spendet wohltuende Wirklichkeit

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Ich erinnere mich noch sehr gut an dieses ganz merkwürdige Gefühl, das sich auf einmal einstellte: Da lag Benedikt XVI. aufgebahrt im Petersdom, gerade ein paar Tage tot. Das Gesicht verhärtet, eigenartig wächsern. Aus dem großen Papst war ein kleiner Leichnam geworden, scheinbar federleicht. Ein verstörender Anblick.
Traditionell werden Päpste nach ihrem Tod aufgebahrt. Bei Franziskus ist es ein offener Sarg, an dem sich die Menschen von ihm verabschieden können. Was bleibt, ist die Irritation: Zu sehr erinnert die feierliche Aufbahrung an barocke Vanitas-Motivik, an die Skelette in Glassärgen, die so manche Kirche bereithält, an konservierte Heiligenköpfe oder ausgestellte Reliquien. Muss das heute noch sein? Oder ist das nicht ein nekrophiles Überbleibsel vergangener Zeiten?
Dabei lässt aufhorchen, dass ein toter Körper überhaupt eine Irritation ist. Noch am Ostersonntag war der sichtlich erschöpfte Körper von Papst Franziskus weltweit im Fernsehen zu sehen. Zwei Tage später ist es noch der gleiche Körper, nur in einem anderen Zustand. Allein dieses Störgefühl kann ein weiteres Mal als Indiz dafür herhalten, wie sehr unsere Gegenwart den Tod gern zur Seite schiebt. Gestorben wird hinter verschlossenen Türen: sei es im Krankenhaus, im Pflegeheim – und auch ein Sargdeckel ist eine verschlossene Tür. Ohne dieses Gefühl aburteilen zu wollen: Aber er ist schon ungewollt, der Tod. Obwohl er doch als letzte Gewissheit für uns alle zum Leben dazugehört.
Eine kathartische Funktion
Die Zurschaustellung des Todes hat dabei eine kathartische Funktion: Wer einen toten Menschen sieht, kann diesen Tod nicht mehr leugnen. Mit dem Ende der körperlichen Lebensfunktionen beginnt sofort der Verwesungsprozess. Tote Gesichter sind eingefallen, im wahrsten Sinne des Wortes leblos. Sichtbar wird eine endgültige Gewissheit, die alle bunten Erinnerungsbilder, alle lächelnden Porträts neben Kondolenzbüchern Lügen straft.
Gerade in einer Zeit, in der wir das Geschehen in der Welt in allererster Linie durch einprägsame Bilder vermittelt wahrnehmen, ist ein solcher Anblick ein großer Schub an Wirklichkeit – und dadurch geradezu unwirklich. Schon die kurze Tonaufnahme des Papstes, die während seiner Krankheit auf dem Petersplatz erklang, zeigte diesen Effekt. Neben das Bild des lächelnden Papstes trat eine röchelnde, beinahe versiegende Stimme. Sie stand für Verletzlichkeit und damit Menschlichkeit. Noch stärker ist da das Bild des Toten. Aus dem Postkartengesicht, dem Pappaufsteller, dem Emaillebild wird wieder ein Mensch, den anderen Menschen im Verfall, im Tod gleich geworden.
In einer Zeit, in der Bilder Sehnsucht erwecken, Druck erzeugen und verängstigen, ist das Bild des im Tod ruhenden Papstes eine wichtige Unterbrechung. Denn trotz Gewand und Petersdom drumherum sind wir im Tod doch alle gleich. Das ist Mahnung und Beruhigung gleichermaßen.
Der Autor
Christoph Paul Hartmann ist Redakteur bei katholisch.de.Hinweis
Der Kommentar spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.