Kirche als großzügige Mutter
Daher drängt die Sorge um das Heil der Seelen, das - damals wie heute - der höchste Zweck der kirchlichen Institutionen, Gesetze und des Rechts bleibt, den Bischof von Rom, dieses Reformdokument den Bischöfen anzubieten; denn sie teilen mit ihm die Aufgabe der Kirche, die Einheit im Glauben und der Disziplin hinsichtlich der Ehe zu wahren, die Angelpunkt und Ursprung der christlichen Familie ist.
Genährt wird der Antrieb zur Erneuerung von der enormen Zahl der Gläubigen, die, obwohl sie den Wunsch haben, für ihr Gewissen Sorge zu tragen, aufgrund einer räumlichen oder moralischen Distanz allzu oft von den Justizeinrichtungen der Kirche Abstand genommen haben; Nächstenliebe und Barmherzigkeit verlangen daher, dass die Kirche als Mutter auf die Kinder zugeht, die sich getrennt wähnen.
In diese Richtung gingen auch die Voten der Mehrheit meiner Mitbrüder im Bischofsamt, die in der jüngsten Außerordentlichen Synode schnellere und leichter zugängliche Verfahren anmahnten. In völligem Einklang mit solchen Wünschen habe ich beschlossen, mit diesem Motu Proprio Verfügungen zu treffen, die nicht die Nichtigkeit von Ehen, sondern die Schnelligkeit der Prozesse fördern sollen; sie sollen auch eine gerechte Einfachheit fördern, damit das Herz der Gläubigen, die eine Klärung ihres Status erwarten, nicht aufgrund eines verspäteten Rechtsentscheides lange von Dunkel und Zweifel bedrückt werde. (...)
Es sollen einige Grundkriterien aufgezeigt werden, die bei der Reform leitend waren:
I. Nur ein einziges rechtskräftiges Urteil für die Nichtigkeit. - Vor allem schien angemessen, für eine Zulassung der Partner zu neuen kirchlichen Trauungen nicht mehr zwei übereinstimmende Entscheidungen zugunsten der Ehenichtigkeit zu verlangen; die nach Maßgabe des Rechts gewonnene moralische Gewissheit des ersten Richters soll genügen.
II. Ein Einzelrichter unter Verantwortung des Bischofs. - Die Einrichtung eines Einzelrichters, der auf jeden Fall Kleriker sein muss, in der ersten Instanz wird rückgebunden an die Verantwortung des Bischofs, der in der seelsorglichen Ausübung seiner richterlichen Gewalt sicherstellen muss, dass sich keine Laxheit einschleicht.
III. Der Bischof selbst ist Richter. - Um endlich die Lehre des Zweiten Vatikanischen Konzils in einem Bereich von großer Wichtigkeit in die Praxis umzusetzen, wurde beschlossen, augenfällig zu machen, dass der Bischof in seiner Kirche, deren Hirte und Haupt er darstellt, auch Richter zwischen den Gläubigen und den ihm Anvertrauten ist. Es wird daher gewünscht, dass in großen wie in kleinen Diözesen der Bischof ein Zeichen des Wandels der kirchlichen Strukturen setzt und das Richteramt in Ehesache nicht gänzlich den Bistumsbehörden überlässt. Das soll speziell für das besonders kurze Verfahren gelten, das zur Lösung der offenkundigsten Fälle von Nichtigkeit eingerichtet wird.
IV. Das kürzeste Verfahren. - Über eine Verschlankung des Eheprozesses hinaus wurde - zusätzlich zu dem aktuellen schriftlichen Verfahren - eine Form für ein besonders kurzes Verfahren entworfen; dieses ist in Fällen anzuwenden, in denen die behauptete Nichtigkeit der Ehe von besonders offensichtlichen Argumenten gestützt wird. Mir ist allerdings bewusst, dass ein Schnellentscheid das Prinzip der Unauflöslichkeit der Ehe gefährden kann; genau deswegen wollte ich, dass als Richter in einem solchen Verfahren der Bischof selbst fungiert, der kraft seines Hirtenamtes mit Petrus der größte Garant der katholischen Einheit in Glaube und Disziplin ist.
V. Berufung am Metropolitansitz. - Es ist geboten, die Berufungsmöglichkeit am Sitz des Metropolitanbischofs wieder einzurichten, denn dieses Amt als Leiter einer Kirchenprovinz, bestehend seit Jahrhunderten, ist ein entscheidendes Merkmal der Synodalität der Kirche.
VI. Die besondere Aufgabe der Bischofskonferenzen. - Die Bischofskonferenzen - die vor allem von der apostolischen Sorge getrieben sein müssen, die verstreuten Gläubigen zu erreichen - sollen nachdrücklich die Verpflichtung verspüren, den besagten Wandel mitzutragen, und vorbehaltlos das Recht der Bischöfe respektieren, ihre richterliche Gewalt innerhalb der eigenen Teilkirche zu organisieren. In der Tat wird eine neue Nähe zwischen Richter und Gläubigen nicht gelingen, wenn nicht die einzelnen Bischöfe von den Konferenzen den Anstoß und zugleich Hilfe erhalten, die Reform des Eheverfahrens umzusetzen. Neben der Verfügbarkeit des Richters sollen die Bischofskonferenzen nach Kräften dafür Sorge tragen, dass unbeschadet einer angemessenen Vergütung für die Beschäftigten der Gerichte eine Kostenfreiheit der Verfahren sichergestellt ist; denn in einer Materie, die so eng mit dem Seelenheil zusammenhängt, soll die Kirche sich den Gläubigen als großzügige Mutter zeigen und jene kostenlose Liebe Christi erweisen, durch die wir alle gerettet sind.
VII. Berufung beim Heiligen Stuhl. - Es empfiehlt sich in jedem Fall, in Respekt von einem uralten Rechtsprinzip die Berufung beim üblichen Gerichtshof des Apostolischen Stuhls beizubehalten, also der Römischen Rota; so soll das Band zwischen dem Stuhl Petri und den Teilkirchen gefestigt werden, wobei in der Anwendung des Berufungsrechts jeder Rechtsmissbrauch unterbunden wird, damit nicht das Seelenheil daran Schaden nimmt. Das Recht der Römischen Rota wird im Rahmen des Notwendigen schnellstmöglich den Regeln des erneuerten Verfahrens angepasst. (...)