Leiter von Katholischem Büro: Die AfD bedroht auch die Kirchen massiv
Nach 26 Jahren hat das Katholische Büro Sachsen-Anhalt seit 1. Juli einen neuen Leiter: Künftig hält Mathias Bethke als Verbindungsmann für die Kirche den Kontakt zur Politik in dem Bundesland. Im Interview mit katholisch.de spricht der 40-Jährige über seine neue Aufgabe, das Verhältnis von Kirche und Landespolitik, die im kommenden Jahr bevorstehende Landtagswahl und die Gefahr durch die auch in Sachsen-Anhalt vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestufte AfD.
Frage: Herr Bethke, seit 1. Juli leiten Sie das Katholische Büro Sachsen-Anhalt. Was hat Sie gereizt, diese Aufgabe zu übernehmen?
Bethke: In gewisser Weise erscheint mir die Aufgabe im Katholischen Büro als logische Folge meines biografischen und beruflichen Weges in den vergangenen Jahren. Biografisch bin ich – nachdem ich aufgrund meiner Ostbiografie als Kind nicht getauft wurde – seit meiner Erwachsenentaufe in der Osternacht 2006 immer tiefer in die katholische Kirche hineingewachsen und engagiere mich heute als Kommunionhelfer, Lektor und im Pfarrgemeinderat. Beruflich wiederum habe ich in verschiedenen Funktionen für die Landesregierung gearbeitet, zuletzt als Kirchenreferent im Bildungsministerium, und mich nebenberuflich auch noch als Doktorand mit dem Verhältnis von Politik und Religion in Sachsen-Anhalt beschäftigt. Als ich dann die Ausschreibung für die Stelle im Katholischen Büro sah, hat es mich in den Fingern gejuckt, den Seitenwechsel zu wagen.
Frage: Als Kirchenreferent im Bildungsministerium waren Sie für die Staat-Kirche-Beziehungen zuständig und standen dazu auch regelmäßig mit dem Katholischen Büro in Kontakt. Wie wirkt sich das auf Ihren Seitenwechsel und Ihre neue Aufgabe als Leiter des Büros aus?
Bethke: Ich sehe es als Vorteil an, weil ich durch meine vorherige Tätigkeit genau weiß, wie Verwaltung funktioniert – und vor allem, wer zuständig ist. Ich muss nicht gleich einen Minister behelligen, wenn ich ein Anliegen habe, sondern ich kann die zuständigen Kollegen auf der Arbeitsebene kontaktieren. Das sind die Menschen, die qua Amt tief in den Themen drin sind und im Zweifel schneller ein offenes Ohr haben. Das kann sehr hilfreich sein.
Frage: Die katholische Kirche befindet sich in Sachsen-Anhalt in einer extremen Diasporasituation; Kirche ist hier weder gesellschaftlich noch politisch ein mächtiger Faktor. Wie groß ist vor diesem Hintergrund der Einfluss Ihres Büros?
Bethke: Die Aufgabe des Katholischen Büros ist es vor allem, den Anliegen der katholischen Kirche und der kleinen Gruppe der Katholiken in Sachsen-Anhalt gegenüber der Landespolitik Gehör zu verschaffen und als Kirche für die Politik anschlussfähig und ansprechbar zu sein – trotz der extremen Diasporasituation. Ich denke, dass das meinem Vorgänger Stephan Rether in den vielen Jahren seines Dienstes stets sehr gut gelungen ist. Diesen Weg möchte ich gerne weitergehen. Hilfreich ist es dabei sicher, Verbündete bei den anderen Konfessionen und Religionen zu haben – gemeinsam sind wir einfach stärker. Neben dem selbstverständlichen Kontakt mit der evangelischen Kirche ist mir diesbezüglich auch das partnerschaftliche Miteinander mit dem Judentum und dem Islam wichtig. Meine beiden ersten Antrittsbesuche als neuer Leiter des Katholischen Büros habe ich ganz bewusst beim Landesverband Jüdischer Gemeinden und beim Dachverband islamischer Gemeinden absolviert.
„Die Landesregierung und die demokratischen Fraktionen im Landtag stehen den Kirchen und ihren Anliegen – das kann man, denke ich, wirklich im Plural und ganz ökumenisch sagen – grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber.“
Frage: Spüren Sie auf Seiten der Landespolitik eine Offenheit und Gesprächsbereitschaft, wenn es um kirchliche Positionen geht?
Bethke: Eindeutig ja. Die Landesregierung und die demokratischen Fraktionen im Landtag stehen den Kirchen und ihren Anliegen – das kann man, denke ich, wirklich im Plural und ganz ökumenisch sagen – grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber. Das ist mehr, als es die geringe Anzahl an Christen in der Gesamtbevölkerung vielleicht vermuten ließe. Ich denke, das liegt daran, dass sich die Kirchen in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten stets als verlässliche Ansprechpartner erwiesen haben.
Frage: Welches landespolitische Thema brennt Ihnen aktuell besonders unter den Nägeln? Was wollen Sie in Ihrer neuen Funktion möglicherweise prioritär angehen?
Bethke: Das ist eine gemeine Frage (lacht): Mein Dienstantritt fiel schließlich mit dem Beginn der Sommerferien und der parlamentarischen Sommerpause zusammen.
Frage: Sind Sie also direkt zum Nichtstun verdammt?
Bethke: Das haben Sie gesagt (lacht). Aber Spaß beiseite: Sehr aufmerksam beobachten werde ich in der nächsten Zeit sicher die weitere Entwicklung bei der geplanten Liberalisierung des Bestattungsgesetzes. Das ist ein Vorhaben, das uns als Kirche umtreibt.
Frage: Im Zuge der Liberalisierung ist unter anderem vorgesehen, dass künftig erstmals in Deutschland ein Teil der Asche von Verstorbenen zur Nutzung in Erinnerungsstücken – zum Beispiel in Form eines sogenannten Gedenkdiamanten – verwendet werden darf. Die katholische Kirche lehnt dieses Vorhaben strikt ab. Warum?
Bethke: Mein Vorgänger Stephan Rether hat bei diesem Thema immer mit der postmortalen Menschenwürde argumentiert – dem kann ich mich gut anschließen. Hinzu kommt aus meiner Sicht das Problem, dass wir mit der Liberalisierung einen weiteren Schritt in Richtung einer Privatisierung von Trauer gehen würden. Wer einen Erinnerungsdiamanten mit der Asche eines Angehörigen zu Hause aufbewahrt, schließt damit schließlich ein Stück weit andere aus, die vielleicht ebenfalls um den Verstorben trauern möchten – etwa an einem Grab. Außerdem würde sich früher oder später die Frage stellen, was mit dem Diamanten passiert, wenn etwa die Witwe stirbt und es keine weiteren Angehörigen gibt. Im schlimmsten Fall landet der Diamant dann bei "Bares für Rares" – das kann doch wirklich niemand wollen.

Mathias Bethke ist neuer Leiter des Katholischen Büros Sachsen-Anhalt.
Frage: Sehen Sie denn Chancen, noch Einfluss auf die Liberalisierungspläne zu nehmen?
Bethke: Das kann ich Ihnen seriös erst nach der parlamentarischen Sommerpause beantworten. Klar ist aber: Als Kirche werden wir unsere Position bei diesem Thema weiter klar zum Ausdruck bringen.
Frage: Im kommenden Jahr steht die nächste Landtagswahl in Sachsen-Anhalt an. Laut der jüngsten Umfrage würde die Koalition aus CDU, SPD und FDP dabei ihre Mehrheit verlieren und dem Land die Unregierbarkeit drohen. Mit welchen Gefühlen blicken Sie auf die Wahl?
Bethke: Mit einer Mischung aus Freude und Hoffnung, Trauer und Angst – wenn ich mal das Konzilsdokument "Gaudium et spes" zitieren darf. Als Christ habe ich immer die Hoffnung, dass alles gut werden wird. Gleichzeitig nehme ich natürlich wahr, dass viele Menschen angesichts der aufgeheizten gesellschaftlichen und politischen Stimmung und der aktuellen Umfragen mit Sorge auf die Landtagswahl blicken. Man muss allerdings auch bedenken, dass unser Parteiensystem inzwischen extrem volatil ist. Denken Sie nur an die jüngste Bundestagswahl: Ein halbes Jahr vor der Wahl war die Linke politisch quasi tot – bevor sie dann sehr überraschend mit fast neun Prozent in den Bundestag eingezogen ist. Umfragen sind immer nur Momentaufnahmen, bis zur Landtagswahl im September kommenden Jahres kann noch viel passieren.
Frage: Die AfD liegt laut der aktuellen Umfrage bei 30 Prozent. Politik-Experten warnen jedoch, dass die Partei bei der Wahl sogar mehr als 40 Prozent erreichen könnte. Was würde ein solches Ergebnis für Sachsen-Anhalt bedeuten?
Bethke: Für das Image von Sachsen-Anhalt wäre das ein erneuter Schlag in die Magengrube. Wie schon 1998, als die rechtsextreme DVU hier bei der Landtagswahl mit 12,9 Prozent ihren bundesweit größten Wahlerfolg feiern konnte. Noch schlimmer ist, dass ein starkes AfD-Ergebnis vielen Menschen Angst machen würde: Menschen mit anderer Hautfarbe, gesellschaftlichen und religiösen Minderheiten, aber auch älteren Menschen, die noch bewusst die Schrecken der NS- und SED-Diktatur miterlebt haben.
Frage: Bei über 40 Prozent könnte es für die AfD – je nachdem, wie die anderen Parteien abschneiden – sogar zur absoluten Mehrheit und damit zu einer Alleinregierung reichen. In diesem Fall würde die Partei das Land wohl radikal umbauen. Was bereitet Ihnen diesbezüglich die größten Sorgen?
Bethke: Wenn man sich das Programm der AfD und die Anträge anschaut, die die Fraktion im Landtag stellt, kann es einen nur schaudern. Die Partei will ganz offensichtlich viele gesellschaftliche und politische Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte zurückdrehen und das Land zurück in dunkle, vormoderne Zeiten führen. Das dürfen wir nicht zulassen!
„Ein so aggressiv auftretendes, kirchenfeindliches Gebaren hat es in der deutschen Politik meines Wissens seit 1945 nicht mehr gegeben.“
Frage: Laut Medienberichten will die AfD unter anderem die Kulturpolitik massiv in ihrem Sinne formen – zum Beispiel, indem Gelder für NS-Gedenkstätten und Antirassismus-Projekte gekürzt werden und ein "Stolz-Pass" eingeführt wird, mit dem es ermäßigten Eintritt an geschichtsträchtigen Orten wie den Domen in Magdeburg und Merseburg geben soll. Wie bewerten Sie diese Pläne?
Bethke: Braucht es für ermäßigten Eintritt in Dome und dergleichen dermaßen bekundeten Stolz? Das ist doch eine Farce, diese Pläne insgesamt sind in vielerlei Hinsicht eine Bedrohung – übrigens auch für uns Kirchen. Die AfD-Landtagsfraktion hat allein im vergangenen Jahr knapp ein halbes Dutzend explizit antikirchliche Pressemitteilungen und Kleine Anfragen veröffentlicht, in denen Katholiken und Protestanten auf unflätigste Art und Weise ihr Fett wegbekommen haben. Damit ist klar: Auch die Kirchen als Institutionen und zivilgesellschaftliche Akteure werden durch die AfD massiv bedroht. Ein so aggressiv auftretendes, kirchenfeindliches Gebaren hat es in der deutschen Politik meines Wissens seit 1945 nicht mehr gegeben.
Frage: Die bisherige Taktik der demokratischen Parteien und auch der Kirchen im Umgang mit der AfD ist ganz offensichtlich nicht aufgegangen; die Partei ist heute stärker denn je. Haben Sie eine Idee, wie man die AfD erfolgreicher bekämpfen könnte?
Bethke: Ich denke, es braucht im Umgang mit der AfD mehr Realismus und weniger Aktionismus. Es gibt nicht den einen Hebel, mit dem man die Partei zum Verschwinden bringt. Trotzdem glaube ich, dass viele AfD-Wähler für die demokratischen Parteien weiterhin grundsätzlich erreichbar sind. Mit erfolgreicher und glaubwürdiger Politik, die einer subjektiven Wahrnehmung eines Staatsversagens etwas entgegensetzt, können diese Menschen zurückgeholt werden. Gleichzeitig dürfen wir die AfD auch nicht größer machen, als sie ist. Vor der Partei wie das Kaninchen vor der Schlage zu erstarren, bringt uns nicht weiter.
Frage: Welche Rolle kann die katholische Kirche auf dem Weg zur Landtagswahl spielen?
Bethke: Sie kann Gewissensbildung leisten. Wir appellieren an das Herz und das Gewissen – nicht an niedere Instinkte. Bevor die Menschen mit Wut im Bauch zur Wahl gehen, wollen wir sie zumindest dazu bringen, noch einmal über ihre Wahlentscheidung nachzudenken. Wir werden als katholische Kirche im Wahljahr auf jeden Fall sichtbar bleiben – auch wenn wir in Sachsen-Anhalt nur knapp drei Prozent der Bevölkerung stellen.
Frage: Kirchliche Wahlaufrufe, in denen mindestens indirekt vor der AfD gewarnt wurde, haben bei den jüngsten Wahlen keine sichtbaren Effekte gehabt. Wird es vor der Landtagswahl trotzdem wieder einen solchen Aufruf geben?
Bethke: Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Klar ist aber: Als Katholiken können und dürfen wir bei wichtigen gesellschaftlichen und politischen Fragen nicht schweigen – schon um unseres eigenen Seelenheils willen. Und ob die kirchlichen Wahlaufrufe der vergangenen Jahre einen Effekt gehabt haben oder nicht, lässt sich nicht ohne Weiteres messen. Vielleicht wäre manches Wahlergebnis ohne vorherigen kirchlichen Appell noch problematischer ausgefallen. Der Erfolg kirchlicher Interventionen lässt sich nicht in Prozentpunkten messen – er liegt eher im Gewissen jedes Einzelnen.