Batlogg: Verheißungsvoll, wie Leo XIV. das Thema Synodalität angeht

Vor zwei Monaten wurde Papst Leo XIV. offiziell in sein Amt eingeführt. Viele sind gespannt, wohin der Weg der Kirche in seinem Pontifikat führen wird. Der Jesuit und Publizist Andreas Batlogg ist optimistisch, dass sich gerade beim Thema Synodalität einiges verstetigen wird. Batlogg hat schon die Amtszeit von Papst Franziskus (2013-2025) intensiv begleitet – und vor wenigen Wochen bereits ein Buch über Leo XIV. veröffentlicht. Im katholisch.de-Interview spricht er über seine ersten Eindrücke vom neuen Papst, erkennbare Unterschiede zu dessen Vorgänger und die Aufgaben, die vor ihm und der Kirche liegen.
Frage: Herr Batlogg, am Beginn eines Pontifikats gibt es viele Wünsche und Forderungen aus allen Richtungen. Auch Leo wird mit ihnen konfrontiert. Wie blicken Sie darauf?
Batlogg: Leo XIV. ist eine riesige Projektionsfläche geworden – wie einst Franziskus. Ich habe immer ein Unbehagen, wenn es heißt, "der Papst muss, der Papst soll …". Das finde ich merkwürdig. Das Wichtigste für ihn ist jetzt, zu sortieren und zu priorisieren – die Baustellen liegen ja offen zutage.
Frage: Viele legen jetzt jede Äußerung auf die Goldwaage und interpretieren jede Aktion und jedes Kleidungsstück. Was ist aus Ihrer Sicht das Auffälligste in den ersten Wochen des Pontifikats von Leo XIV.?
Batlogg: Er sucht seinen Stil, er imitiert nicht. Natürlich irritieren solche Dinge, etwa dass er manchmal wie Benedikt XVI. angezogen ist. Oder dass er gerade in Castel Gandolfo urlaubt. Aber da wird auch übertrieben. Er ist einer, der ganz entschieden seinen Weg geht. Für mich ist seit seiner Wahl am 8. Mai das Entscheidende: Er spricht von "una chiesa sinodale", eine Kirche auf dem Weg. Er nimmt ein Programmwort von Franziskus auf. Für mich ist das ein deutliches Signal.
Frage: Manche Stimmen sagen, die Kirche braucht nach zwölf Jahren Ausnahmezustand wieder etwas Normalität. Wie sehen Sie das?
Batlogg: Direktheit, Spontanität, manchmal gar Brutalität – das war der Stil von Franziskus. Manche sagen, er regierte autoritär: Er redet von Synodalität, trifft aber einsame Entscheidungen. Im Vorkonklave hat sich gezeigt, dass sich viele Kardinäle nach mehr Ruhe sehnen. Ich glaube aber, dass diese Art von Franziskus auch nötig war nach einem gewissen Stillstand in der Kirche. Theologisch ist wichtig, dass dieser weitweite synodale Prozess verstetigt wird. Leo war selbst acht Jahre Diözesanbischof und hat viel pastorale Erfahrung. Er weiß, was das Motto des synodalen Prozesses – Gemeinschaft, Teilhabe, Sendung – in der Praxis bedeutet. Und als Kirchenrechtler weiß er, dass sich Reformideen auch kirchenrechtlich abbilden müssen, weil sie sonst fromme Wünsche bleiben.
Andreas Batlogg (Zweiter von links) übergab mit Vertretern des Herder-Verlags am Rande einer Generalaudienz sein Buch an Papst Leo XIV.
Frage: Was lesen Sie aus dem in der vergangenen Woche veröffentlichten Synodenpapier heraus, das Leo approbiert hat?
Batlogg: Dass er diesen noch von Franziskus festgelegten Zeitplan des Prozesses bestätigt. Er geht diesen Weg auch in seiner Struktur weiter. Das ist verheißungsvoll. Es wird im Juni 2028 ein Arbeitsdokument geben, das aus einem umfangreichen, dynamischen Prozess heraus entsteht. Leo folgt den Spuren von Franziskus – aber anders und ruhiger. Das tut der Kirche wahrscheinlich gut. 2028, solange geht der Prozess vorerst weiter, ist der Papst drei Jahre im Amt. Dann werden wir sehen, was dieser Prozess auf den verschiedenen Ebenen bewirkt hat.
Frage: Inwiefern erwarten Sie, dass er den Prozess anders begleiten wird als sein Vorgänger?
Batlogg: Ich denke, er wird wie sein Vorgänger darum werben müssen, dass das keine Taktik oder Finte ist, sondern ein Stil und eine Haltung. Es gibt nach wie vor Widerstand, Marco Politi spricht sogar von "Bürgerkrieg". Die Kirche ist hierarchisch aufgestellt. Was bedeutete es vor diesem Hintergrund, dass der Schlussbericht der Synode vom Oktober 2024 von mehr Machtkontrolle und von Rechenschaftspflicht spricht? Was heißt Transparenz? Dann muss man auch kanonistisch und dogmatisch an das Bischofsamt herangehen. Da ist es sicher kein Nachteil, wenn der Papst als Kirchenrechtler weiß, was man konkret ändern kann. Er wurde auch schon als guter Teamplayer charakterisiert, der sich zuarbeiten lässt. Franziskus war vielleicht mehr der Impulsgeber, einer, der Visionen hatte, dann aber den Wagen laufen ließ. Leo ist da anders – das ist, glaube ich, gut und wichtig im Moment.
Frage: Neben dem Thema Synodalität gibt es innerkirchlich zahlreiche Themen. Inwiefern sehen Sie Leo als richtigen Mann für die Herausforderungen?
Batlogg: Vieles, was unter Franziskus angegangen oder angestoßen wurde, muss weitergedacht und dann auch abgeschlossen werden. Die Frage nach dem Umgang mit dem Alten Ritus, die Genderthematik: All dem kann man nicht auf Dauer ausweichen. Wenn Kardinal Fridolin Ambongo Besungu sagt, Homosexualität sei kein Thema in Afrika, ist das schlichtweg Unsinn. Der Papst wird noch einige Monate brauchen, um sich ein Bild zu verschaffen. Dass man jetzt jede Aussage ausgräbt, die er irgendwann als Generalprior der Augustiner oder als Bischof gemacht hat, zu welchem Thema auch immer, verstehe ich. Er hat ja auch getwittert und dabei J.D. Vance widersprochen. Nur er ist jetzt in einer anderen Rolle. Er wird sich genau überlegen, wie er auf Leute zugeht. Manche sagen schon, er wird sich nicht deklarieren und Probleme vermeiden. Das glaube ich nicht. Spannend aber bleibt: Will er es allen recht machen? Anders gesagt: Wann und wie zeigt der Löwe seine Zähne?
Frage: Weil Sie es ansprechen: Es gibt ja eine frühere Aussage von ihm, in der er einen homosexuellen "Lebensstil" kritisiert.
Batlogg: Menschen sind Menschen und wählen ihre sexuelle Orientierung nicht selbst. Ob es Männer oder Frauen sind: Sie wollen keinen Gnadenakt haben oder toleriert werden. Sie wollen akzeptiert werden. Die Sexualmoral ist im Umbruch – darauf schaut ein Kirchenrechtler eventuell anders als ein ehemaliger Jesuitenprovinzial. Die Aggressivität, die Militanz, die Verbissenheit, mit der zum Teil LGBTQ+-Themen in der Kirche behandelt werden, produziert neues Leiden.
„Direktheit, Spontanität, manchmal gar Brutalität – das war der Stil von Franziskus. (...) Ich glaube aber, dass diese Art von Franziskus auch nötig war nach einem gewissen Stillstand in der Kirche.“
Frage: Welchen Umgang vermuten Sie unter Papst Leo damit?
Batlogg: Ich vermute, dass er keinen Satz wie "Wer bin ich?" sagen wird. Aber ich denke, dass einer, der zum Papst gewählt ist, auch in seine Rolle hineinwächst. Wenn wir uns an Jesus orientieren: Was heißt barmherziges Handeln – und zwar nicht ein gönnerhaftes, sondern eines, das die Würde und die Freiheit des Menschen akzeptiert? Gleichzeitig ist die Lehre nicht so unveränderlich, wie manche tun. Die Kirche hat sich in ihrer Geschichte von vielen Dingen verabschiedet.
Frage: Anderes Megathema ist das der Ämter für Frauen. Wird Leo weitere Schritte in Sachen Diakonat der Frau gehen?
Batlogg: Als Bischof in Lateinamerika wusste Leo, dass Frauen sehr oft die Trägerinnen des Gemeindelebens sind und auch Gemeinden leiten. Da ist ihm die Frage, ob das auch mit einem Weiheamt verbunden sein muss, sicher nicht fremd. Mit seinen Ernennungen hat schon Franziskus gezeigt: Leitungskompetenz muss nicht automatisch an die Weihe gebunden sein. Nun haben Frauen auch im Vatikan Spitzenpositionen. Die Frage nach dem Weiheamt ist auf der Synode offengeblieben. Das Argument, wir hätten von Christus her nicht die Autorität, Frauen zu weihen, kann ich nicht mehr nachvollziehen. Man sieht an Bischöfen und Kardinälen, dass sie nachdenklich geworden und einen Lernweg gegangen sind. Franziskus hat hier viele Spielräume eröffnet: Man darf über Dinge reden, für die man früher gemaßregelt worden wäre.
Frage: Die Präsidenten des Synodalen Wegs, Bischof Georg Bätzing und Irme Stetter-Karp, scheinen beide angetan zu sein von der Papstwahl, weil Leo, damals noch Kardinal Prevost, wohl bei den römischen Gesprächen zum Synodalen Weg eine Art Einigung ermöglichte. Sind sie das zurecht?
Batlogg: Mich stimmt wirklich optimistisch, wie Leo über das Thema Synodalität spricht und es fortsetzt. Es gibt keinen deutschen Sonderweg. Aber es gibt, weltkirchlich gesehen, eine Kirche der unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Es geht auch darum, die Ergebnisse oder Impulse des Synodalen Wegs der Kirche in Deutschland in den weltweiten synodalen Prozess einzuspeisen – das findet auch statt. Die Australier sind bei ihrem Partikularkonzil in manchen Dingen viel weiter gewesen. Wir müssen nur wegkommen vom Lagerdenken, dass wir uns gegenseitig den Glauben ansprechen. Darauf achtet Leo, das hat er ja schon gezeigt, etwa indem er die Kurie lobt, um Verwundungen zu heilen.
Kardinal Robert Francis Prevost, heute Papst Leo XIV., saß mit an den runden Tischen der Synodalaula. "Leo folgt den Spuren von Franziskus – aber anders und ruhiger", sagt Andreas Batlogg.
Frage: Eines der großen Themen, die Papst Leo XIV. schon zu Beginn seines Pontifikats genannt hat, ist die Einheit. Wie viel Vielfalt verträgt diese Einheit?
Batlogg: Ein Papst sollte immer im Blick haben: Sind wir als Kirche wirklich unterwegs, schauen wir auf Christus? Einheit ist etwas anderes als Uniformität. Warum können sich Katholiken, ob sie jetzt links, rechts oder in der Mitte stehen – wobei diese Kategorien unter Franziskus überflüssig wurden –, gegenseitig verketzern oder sogar bis aufs Blut bekämpfen? Einheit im Geist lässt auch Verschiedenheit in den Ausprägungen zu. Die Denkweise, es brauche wieder Disziplin und so etwas wie "law and order" – diese Art von Kirche ist vorbei. Ich denke, Leo hat ein gutes Gespür dafür.
Frage: Wie sieht eine solche Einheit im Geist aus?
Batlogg: Die Kirche muss jeden Tag jesuanischer werden. Sie ist immer nur eine asymptotische Annäherung an das Reich Gottes. Diese Anmaßung, dass manche immer zu wissen meinen, was Gott will und was er nicht will: Davon müssen wir wegkommen. Gemeinsames Hören heißt auch akzeptieren lernen, dass es unterschiedliche Ausprägungen gibt. Das gemeinsame Hören auf den Geist – das will ja der weltweite synodale Prozess –, hat zutage gefördert, dass manche Fragen mitnichten nur deutschsprachige Fragen, sondern auch in anderen Erdteilen virulent sind. Was heißt zum Beispiel Partizipation? Nicht nur abnicken, sondern mitgestalten! Da ist die Kirche aus meiner Sicht in einem der größten Transformationsprozesse seit der Reformation. Es geht nicht um kosmetische Reformen, es geht um echte Teilhabe. Partizipation erzeugt Identifikation. Beides brauchen wir. Sonst kreist die Kirche um sich selbst und Menschen wandern weiter scharenweise aus.