Wie die Kirche zum Schutzraum für queere Menschen werden kann

Queerer Katholik: Franziskus war für uns bester Papst der Geschichte

Veröffentlicht am 31.07.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer – Lesedauer: 

Berlin ‐ Das gesellschaftliche Klima gegenüber queeren Menschen wird feindseliger, sagt Hendrik Johannemann. Im katholisch.de-Interview erklärt der Co-Sprecher des Katholischen LSBT+-Komitees, wo er in der Kirche positive Entwicklungen sieht und was er sich von Papst Leo XIV. erhofft.

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Aufgrund zahlreicher Anfeindungen mussten Veranstalter in diesem Jahr die Sicherheitsmaßnahmen auf Christopher-Street-Day-Veranstaltungen verstärken. Und nicht nur dort spüren queere Menschen Gegenwind. Im katholisch.de-Interview spricht der Co-Sprecher des Katholischen LSBT+ Komitees Hendrik Johannemann über Schutzräume in der katholischen Kirche und seine Bilanz zum Pontifikat von Papst Franziskus.

Frage: Herr Johannemann, wie nehmen Sie das gesellschaftliche Klima gegenüber queeren Menschen in Deutschland derzeit wahr?

Johannemann: Ich nehme das Klima schon als deutlich feindseliger wahr, als das noch vor ein paar Jahren der Fall war. Wenn es zum Standardprogramm bei Christopher-Street-Days wird, dass diese von rechten Mobs bedroht werden oder deswegen sogar abgesagt werden müssen, dann läuft etwas gehörig falsch. Und wenn man sich Umfragen anschaut, dann scheinen gerade bei jungen Männern queerfeindliche Narrative zu verfangen, die in den vergangenen Jahren aggressiv von rechtspopulistischen Akteuren in den Diskurs gebracht und leider auch teilweise von kirchlichen Akteuren befeuert wurden.

Frage: Kann die Kirche denn grundsätzlich als Schutzraum für queere Menschen auftreten?

Johannemann: Ich sehe es sehr positiv, dass sich an vielen Stellen in der katholischen Kirche in Deutschland einiges getan hat. Die Jugendverbände sind in den vergangenen Jahren wunderbare Schutzräume für queere Gläubige geworden und auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hat sich zu einem verlässlichen Verbündeten entwickelt – sowohl innerkirchlich als auch gesamtgesellschaftlich und politisch. Auch dass seit dem Frühjahr in Deutschland Segnungen für Paare, die sich lieben, ganz offiziell und offenbar sogar mit Zustimmung aus dem Vatikan möglich sind, ist ein Quantensprung in unserer Kirche. Darüber sollte viel mehr gesprochen werden.

Hendrik Johannemann ist Teil der Online-Delegation für die Europa-Etappe der Weltsynode und Berater beim Synodalen Weg
Bild: ©Privat

Mit queerfeindlichen Aussagen gewinne die Kirche keine Sympathien, sondern treibe nur immer mehr Menschen zum Austritt, sagt Hendrik Johannemann. "Das stimmt mich sehr traurig, weil doch unsere Frohe Botschaft so viel Potenzial für die Menschen bietet."

Frage: Gibt es denn auch Schattenseiten?

Johannemann: Von manchen Menschen innerhalb der Kirche wird weiterhin direkt oder indirekt Ausgrenzung und Abwertung queerer Menschen betrieben. Ein aktuelles Beispiel ist das Verbot von queeren Symbolen bei der Eröffnung des neuen katholischen Bildungscampus in Köln, wo ein Verantwortlicher des Erzbistums die Regenbogenflagge als Kampfsymbol gegen die katholische Kirche bezeichnet haben soll. Statt sich tatsächlichen kirchlichen Problemen wie der Aufarbeitung des Missbrauchs, dem Priestermangel oder eben der innerkirchlichen Queerfeindlichkeit zu widmen, betreibt man lieber Täter-Opfer-Umkehr, baut einen Sündenbock auf und kreiert eine Bedrohung, die es so in Wirklichkeit gar nicht gibt. Dabei werden oft auch zweifelhafte Glaubenswahrheiten angeführt, die theologisch fragwürdig sind. Das alles ist ein Jammer für unsere Kirche.

Frage: Inwiefern?

Johannemann: Durch diese Aussagen bekommen nicht nur queere Menschen, sondern auch Menschen in der gesamten Gesellschaft den Eindruck: Das ist das wahre Gesicht der katholischen Kirche. Mit Queerfeindlichkeit gewinnt man aber keine Sympathien als Kirche, sondern treibt nur immer mehr Menschen aus der Kirche hinaus. Das stimmt mich sehr traurig, weil doch unsere Frohe Botschaft so viel Potenzial für die Menschen bietet.

Frage: Wie ist es für Sie persönlich: Haben Sie Angst davor, in Kirchengemeinden offen als homosexueller Katholik aufzutreten?

Johannemann: Durch mein Engagement beim Synodalen Weg, aber auch bei der Aktion "Out In Church" bin ich im kirchlichen Bereich wahrscheinlich nicht komplett unbekannt. Ich könnte mich also vermutlich gar nicht verstecken, selbst wenn ich wollte. Ich suche mir aber bewusst kirchliche Räume, in denen ich weiß, dass ich nicht angefeindet werde. Und selbst in einer Stadt wie Berlin, in der ich wohne und die gemeinhin als offen und bunt gilt, gibt es an vielen Stellen konservative Priester oder Gemeindeleitungen, wo ich selbst schon erfahren habe, dass man sich mit mancher Predigt nicht wirklich wohlfühlt.

Bild: ©Synodaler Weg / Maximilian von Lachner (Archivbild)

Eine Zäsur auf dem Synodalen Weg der Kirche in Deutschland: Nach der Ablehnung des Grundtextes zur katholischen Sexualmoral durch die Bischöfe im September 2022 haben sich Mitglieder der Synodalversammlung zum Protest versammelt. Der Mangel an theologischen Argumenten sei noch heute zu spüren, sagt Hendrik Johannemann, der als Berater des Sexualmoral-Forums an der Ausarbeitung des Textes beteiligt war.

Frage: Was müsste sich denn ändern, damit queere Gläubige sich in allen Kirchengemeinden aufgenommen fühlen?

Johannemann: Ich fände es beispielsweise eine wunderbare Idee, wenn Kirchengemeinden ganz offensiv auf Ihrer Website schreiben würden, dass sie queerfreundlich sind und jeder Mensch bei ihnen willkommen ist. In Österreich gibt es derzeit eine Initiative, die Kirchengemeinden und andere kirchliche Einrichtungen zertifiziert, wenn diese queerfreundlich sind. Das wäre sicher auch ein Modell für Deutschland.

Frage: Gibt es bei diesem Thema eine Differenz zwischen der Kirche in Deutschland und dem Vatikan?

Johannemann: Ich habe den Eindruck, dass es hier in den vergangenen Jahren durchaus eine Annäherung gegeben hat – gerade weil Bischöfe und Vertreterinnen und Vertreter des ZdK nach Rom gereist sind und für die Positionen des Synodalen Wegs geworben haben. Damit haben dann offenbar auch die Verantwortlichen in Rom gemerkt: In Deutschland wollen die ja gar nicht unsere Kirche zerstören, sondern einen positiven Beitrag zur Einheit in Vielfalt leisten. Trotzdem glaube ich, dass es im Vatikan noch immer Kräfte gibt, die zum Teil auch in Deutschland aktiv sind und die einer gewissen queerfeindlichen Ideologie anhängen.

Frage: Sie waren Berater im Sexualmoral-Forum des Synodalen Wegs und haben auch an den Synodalversammlungen teilgenommen. Welche Rolle spielt es in diesem Zusammenhang, dass der Grundtext Ihres Forums der einzige ist, der nicht vom Synodalen Weg verabschiedet wurde?

Johannemann: Wir merken den großen Mangel an theologischen Argumenten in dieser Frage, das wurde auch in den Synodalversammlungen klar. Deshalb wollten wir zu einem veränderten Blick auf Sexualität und Geschlechtlichkeit kommen – ohne dass dieser Ansatz allzu radikal gewesen wäre. Einige Teilnehmende schienen aber noch nicht so weit zu sein. Trotzdem ist der Text in der Welt und ich hoffe, dass er auf die ein oder andere Weise wieder mehr Gehör findet – im Vatikan, aber auch in Deutschland. Gerade diese Angstmacherei rund um das Thema Sexualität ist ein großes Problem in unserer Kirche. Vor allem mit Blick auf die Fälle sexualisierter Gewalt und deren Vertuschung. Wenn wir dieses Thema nicht angehen, mache ich mir große Sorgen, dass wir in naher oder mittelfristiger Zukunft weiterhin Probleme mit Priestern haben werden, die mit ihrer Sexualität nicht klarkommen.

„Papst Franziskus war auch ein Papst der Ambivalenzen.“

—  Zitat: Hendrik Johannemann

Frage: Der verstorbene Papst Franziskus hat immer wieder vor einer "Gender-Ideologie" gewarnt. Gleichzeitig verbindet man Sätze wie "Wer bin ich, sie zu verurteilen?" oder "Die Kirche ist eine Kirche für alle" mit ihm. Welche Bilanz dieses Pontifikats ziehen Sie als queerer Katholik?

Johannemann: Für queere Menschen war Papst Franziskus wahrscheinlich der beste Papst, den wir jemals hatten. Mit seinem pastoralen Ansatz hat er vor allem für homosexuelle Menschen einiges angestoßen und er war der erste, der ganz proaktiv auf queere Menschen zugegangen ist. Eine Errungenschaft ist zum Beispiel seine eindeutige Ablehnung von Kriminalisierung und staatlicher Verfolgung von homosexuellen Menschen, die auch in der Erklärung "Dignitas infinita" festgehalten wurde. Aber Papst Franziskus war auch ein Papst der Ambivalenzen.

Frage: Was meinen Sie damit?

Johannemann: Sie haben seine Warnung vor einer vermeintlichen "Gender-Ideologie" genannt. Trotz seines pastoralen Ansatzes hat er vor allem Trans- und Inter-Personen krass ausgegrenzt. Sie haben nicht die "unendliche Würde" – was "Dignitas infinita" übersetzt ja bedeutet – zugesprochen bekommen. Solche Aussagen liefern dann vermeintlich christliche Argumente für menschenrechts- und demokratiegefährdende Kräfte in unserer Gesellschaft. Die Kirche macht sich unglaubwürdig, wenn sie einerseits auf sehr lobenswerte Weise Rechtspopulismus und völkischen Nationalismus verurteilt, auf der anderen Seite aber ähnlich wie Rechtspopulisten die Ausgrenzung von Trans- und Inter-Personen befeuert. Auch Trans- und Inter-Personen sind Teil Gottes guter Schöpfung. Dies hat die katholische Kirche endlich anzuerkennen, wenn sie ihre Grundüberzeugungen ernst nimmt.

Frage: Was erhoffen Sie sich von Papst Leo XIV.?

Johannemann: Wenn ich die Latte niedrig lege, würde ich sagen: Ich hoffe, dass das Positive, was Franziskus angestoßen hat, bestehen bleibt und beispielsweise Segnungen weiterhin erlaubt bleiben. Und trotzdem wünsche ich mir natürlich mehr. Ich wünsche mir, dass sich der Vatikan endlich ernsthaft mit den Beschlüssen des Synodalen Wegs beschäftigt, insbesondere mit denen zur lehramtlichen Neubewertung von Homosexualität und zur geschlechtlichen Vielfalt. Und ich hoffe, dass der Papst und der Vatikan sich in Gender-Fragen endlich offen für neue Impulse zeigen. In der Vergangenheit hat der Vatikan sich in diesen Fragen immer nur auf sich selbst bezogen und andere wissenschaftliche Erkenntnisse ausgeblendet. Hier muss der Vatikan offener werden.

Von Christoph Brüwer