Tausend Aufbrüche – auch in der Kirche

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In dem Buch "Tausend Aufbrüche: Die Deutschen und ihre Demokratie seit den 1980er-Jahren" untersucht die Historikerin Christina Morina das Demokratieverständnis west- wie ostdeutscher Bürger in den 1980er und frühen 1990er Jahren. Das Buch ist wissenschaftlich-nüchtern gehalten. Und doch durchzieht die Zeilen zuweilen ein Bedauern darüber, welch geringen Nachhall "die unbändige, demokratiehungrige Fantasie", die aus den Quellen spricht, in der wiedervereinten Bundesrepublik Deutschland gefunden hat.
Beim Lesen drängten sich mir Parallelen im Staatskirchenverhältnis auf. Auch in diesem Bereich wurden nach 1989 unter Zeitdruck Strukturen der alten Bundesrepublik auf die neuen Bundesländer übertragen. Dabei gab es zahlreiche Aufbrüche, die Anlass zu Reformen hätten geben können.
Beispielsweise ergab der konfessionell getrennte Religionsunterricht schon damals in vielen Gegenden wenig Sinn. Zu wenige getaufte Kinder gab es, um diese noch nach Konfessionen aufzuteilen. Ein Pilotprojekt für einen ökumenischen Religionsunterricht aber wurde gestoppt. Menschen, die sich im Zuge der Friedlichen Revolution für den Glauben zu interessieren begannen, fanden in bestimmten kirchlichen Einrichtungen keine Anstellung, weil sie (noch) nicht getauft waren. Das kirchliche Arbeitsrecht war auf "Schwellenchristen" (Christian Bauer) noch nicht eingestellt.
Einen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht gibt es mittlerweile in mehreren Bundesländern. Auch das kirchliche Arbeitsrecht ist reformiert worden. Schließlich haben sich die ost- und westdeutschen Gesellschaften in puncto konfessioneller Bindung angenähert. Doch bleibt die Frage, ob der frische religiöse Wind der späten 1980er Jahre eine größere Wirkung entfaltet hätte, wenn er sich nicht so schnell im Windfang des bundesrepublikanischen Staatskirchenrechts verfangen hätte.
Heute gibt es wieder zahlreiche Ideen, wie das Staatskirchenrecht reformiert werden könnte. Ob Kirchensteuer, theologische Fakultäten oder Staatsleistungen: Das Verhältnis zwischen Staat und Kirche gleicht einem Haus, das Risse zeigt. Ein kluger Besitzer würde jetzt alles tun, um den Bau an die unvermeidlichen Bodenbewegungen anzupassen und beherzt zu renovieren.
Die Autorin
Prof. Dr. Juliane Eckstein ist Vertretungsprofessorin für Katholische Theologie/Religionspädagogik an der Pädagogischen Hochschule Freiburg mit dem Schwerpunkt Biblische Theologie und ihre Didaktik.
Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der jeweiligen Autorin bzw. des Autors wider.