Von Paul VI. bis Leo XIV.

Mit diesen Texten starteten die Päpste ihre Pontifikate

Veröffentlicht am 15.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Christoph Brüwer und Steffen Zimmermann – Lesedauer: 

Berlin/Bonn ‐ Seit vergangener Woche ist es öffentlich: das erste Lehrschreiben von Papst Leo XIV. Der Text "Dilexi te" gibt dabei die Richtung vor, die er für sein Pontifikat einschlagen will – so, wie bei seinen Vorgängern. Katholisch.de hat die ersten Schreiben der Päpste seit Paul VI. noch einmal gelesen.

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Ein neuer Papst zieht immer die Blicke und das Interesse der Welt auf sich: Was für ein Mensch ist der Mann auf dem Stuhl Petri? Wo steht er kirchenpolitisch? Gibt es ein Schwerpunktthema in seinem Pontifikat? Welche Reformen wird er möglicherweise in Angriff nehmen? Antworten auf diese und ähnliche Fragen lassen sich fast immer auch in den ersten großen Lehrschreiben neuer Päpste finden. Nach der Veröffentlichung der Apostolischen Exhortation "Dilexi te" von Leo XIV. in der vergangenen Woche hat sich katholisch.de auch die ersten großen Veröffentlichungen früherer Päpste noch einmal angeschaut.

Leo XIV. (seit 2025)

Mit "Dilexi te" hat Papst Leo XIV. nach rund fünf Monaten im Amt am 9. Oktober seine erste Apostolische Exhortation veröffentlicht. Allein am Titel wird deutlich, dass er damit die thematische Linie seines Vorgängers fortsetzen will. Die Enzyklika "Dilexit nos" (2024) gilt als geistliches Vermächtnis von Franziskus. In dem streckenweise sehr persönlich gehaltenen Text beschrieb der gesundheitlich bereits angeschlagene Papst seine eigenen spirituellen Quellen und verband sie mit Erfahrungen aus seiner Kindheit. Außerdem beschrieb er, wie Jesus selbst sich in Liebe mit den Armen identifiziert habe.

In den letzten Monaten seines Lebens habe Franziskus bereits eine Exhortation mit dem Titel "Dilexi te" über die Sorge der Kirche für die Armen vorbereitet, schreibt sein Nachfolger Leo XIV. in dem nun veröffentlichten Mahnschreiben. "Da ich dieses Projekt gewissermaßen als Erbe erhalten habe, freue ich mich, es mir – unter Hinzufügung einiger Überlegungen – zu eigen zu machen und es noch in der Anfangsphase meines Pontifikats vorzulegen."

Auch wenn die Überlegungen seines Vorgängers also Grundlage für Leos erstes Schreiben waren, lassen sich doch Punkte festmachen, die der neue Papst in seinem noch jungen Pontifikat betont hat. So ist das – neben der Kontinuität zu seinem "verehrten Vorgänger" – etwa die Beschäftigung mit sozialen Themen. Nicht umsonst wählte Kardinal Robert Francis Prevost nach seiner Papstwahl den Namen "Leo".

Besondere Beachtung finden meist die "Antrittsenzykliken" der Päpste, da sich hier oft eine Art Regierungsprogramm ablesen lässt. Eine eigene Enzyklika hat Leo XIV. noch nicht vorgelegt. Spekulationen gibt es aber bereits: Sie könnte sich mit den Herausforderungen der Menschheit durch Künstliche Intelligenz beschäftigen. Auch das wäre passend.

Franziskus (2013-2025)

Mit seiner ersten Enzyklika sorgte Papst Franziskus für Aufsehen: Das am 29. Juni 2013 veröffentlichte Schreiben "Lumen Fidei" ("Licht des Glaubens") war die erste Enzyklika zweier Päpste, da sie auf einem Entwurf von Franziskus' verstorbenem Vorgänger Benedikt XVI. beruhte.

Die erste komplett eigenständige Enzyklika des argentinischen Pontifex war zwei Jahre später "Laudato si", mit der sich Franziskus die wissenschaftliche Hypothese einer drohenden Klimakatastrophe zu eigen machte und zu einer radikalen Umkehr in Politik und Wirtschaft aufrief. Er mahnte einen besseren Umgang mit der geplünderten Umwelt an und verband die Sorge um die Umwelt mit der Sorge um die Menschen, die darin leben. Es sei "unvertretbar", dass einige "mehr und mehr konsumieren und zerstören, während andere noch nicht entsprechend ihrer Menschenwürde" leben könnten, so Franziskus. "Laudato si" wurde schnell einer der wirkmächtigsten päpstlichen Texte der jüngeren Vergangenheit, zumal das Schreiben wie nur wenige Enzykliken zuvor auch außerhalb der Kirche große Beachtung fand und bis heute findet.

Große Relevanz für das Franziskus-Pontifikat hatte zudem das Apostolische Schreiben "Evangelii gaudium" ("Freude des Evangeliums") vom 24. November 2013, also rund acht Monate nach der Wahl des Argentiniers Jorge Mario Bergoglio auf den Stuhl Petri. In dem Schreiben prangerte Franziskus die Auswüchse der globalen Wirtschaftsordnung an ("Diese Wirtschaft tötet") und entwickelte Linien für eine zeitgemäße Verkündigung der christlichen Botschaft sowie für eine Reform der Kirchenstrukturen. Im Zentrum des Schreibens stand die Forderung nach einer gerechteren Welt und nach einer Kirche im Dienst der Armen.

Bild: ©KNA/Wolfgang Radtke (Archivbild)

In seiner ersten Enzyklika entfaltete Papst Benedikt XVI. an Weihnachten 2005 den Kern des christlichen Glaubens.

Benedikt XVI. (2005-2013)

In seiner ersten Enzyklika entfaltete Papst Benedikt XVI. den Kern des christlichen Glaubens: Gott selbst ist Liebe, und wer liebt, bleibt in ihm. In einer Welt, in der Religion oft mit Gewalt oder Hass verbunden wird, erinnert Benedikt XVI. in dem auf den 25. Dezember 2005 datierten Schreiben "Deus caritas est" daran, dass das Christentum die Liebe als Ursprung, Ziel und Mitte des Glaubens begreift.

Der erste Teil der Enzyklika widmet sich der Natur der Liebe. Benedikt unterscheidet zwischen Eros (begehrende Liebe), Philia (freundschaftliche Liebe) und Agape (schenkende Liebe). Der Eros, von Gott in die Schöpfung gelegt, muss geläutert werden, um nicht in bloßen Trieb oder Konsum zu verfallen. Erst in der Verbindung mit Agape erreicht die Liebe ihre Vollendung: Sie wird zur Hingabe, die das Ich übersteigt und zum Göttlichen hinführt. In Christus, der sich am Kreuz für die Menschen hingibt, findet diese Einheit ihren Höhepunkt. In der Eucharistie bleibt seine Liebe gegenwärtig und verbindet die Gläubigen miteinander – so werden Gottesliebe und Nächstenliebe eins.

Der zweite Teil der Enzyklika beschreibt die Nächstenliebe als Kernaufgabe der Kirche. Sie gehört untrennbar zur Verkündigung und Liturgie. Die Kirche setzt die Liebe Christi in tätige Hilfe um. Gegen ideologische Kritik betont Benedikt, dass die Kirche keine politische Macht anstrebt, sondern das Gewissen erhellen und zur Gerechtigkeit beitragen will. Keine noch so gerechte Gesellschaft kann den persönlichen Dienst der Liebe ersetzen; wer Liebe abschafft, entmenschlicht den Menschen.

Nächstenliebe und Caritas werden nach Einschätzung Benedikts XVI. immer notwendig bleiben – denn auch in der gerechtesten Gesellschaft werde es materielle und menschliche Not geben. Die Lösung liege nicht im Versorgungsstaat, der bürokratisch alles an sich reißt. Der leidende Mensch brauche persönliche Zuwendung. Nach dem Subsidiaritätsprinzip sollte der Staat daher die freien Initiativen aus unterschiedlichsten gesellschaftlichen Bereichen anerkennen und unterstützen. Die Kirche stelle mit ihren Hilfsdiensten eine solche aktive Kraft. Zum spezifischen Profil kirchlicher Hilfstätigkeit gehört nach Worten des Papstes die menschliche Zuwendung bei der Pflege, die über berufliche Kompetenz und technisch korrekte Behandlung hinausgeht.

Die Enzyklika wurde weit überwiegend positiv aufgenommen, sowohl auf kirchlicher Seite als auch von Politik und Wissenschaft. Jan Heiner Tück bemerkte in der "Neuen Zürcher Zeitung": "Anders als lehramtliche Dokumente seiner Vorgänger, die primär auf die Quellen von Schrift und Tradition zurückgreifen und mitunter einen fast selbstreferenziellen Charakter haben, führt die erste Enzyklika Benedikts XVI. das Gespräch mit bedeutenden Stimmen der abendländischen Tradition. Platon und Aristoteles werden ebenso zitiert wie Nietzsche und Marx."

Johannes Paul II. (1978-2005)

Am 4. März 1979, ein knappes halbes Jahr nach seiner Wahl zum Papst, veröffentlichte Johannes Paul II. sein erstes größeres Schreiben: die Enzyklika "Redemptor hominis" ("Der Erlöser des Menschen"). Darin legte der polnische Papst bereits zentrale theologische Programmpunkte seines Pontifikats dar. Das Schreiben stellt Christus, den Erlöser des Menschen, und den Menschen selbst ins Zentrum. Es geht um seine Würde, seine Rechte und seine Verantwortung in der modernen Welt – Themen, die bis heute aktuell sind.

Zu Beginn des Schreibens blickt Johannes Paul II. sehr persönlich auf seine Wahl zum Papst zurück. Als er in der Sixtinischen Kapelle vom Kardinaldekan gefragt worden sei, ob er die Wahl annehme, habe er geantwortet: "Im Glaubensgehorsam gegenüber Christus, meinem Herrn, und im Vertrauen auf die Mutter Christi und seiner Kirche nehme ich ungeachtet der großen Schwierigkeiten an." Wie seine Vorgänger Johannes XXIII. und Paul VI. betont Johannes Paul II. den Gedanken der Öffnung der Kirche und den Dialog mit der Welt, auch mit Nichtgläubigen.

Im theologischen Kern der Enzyklika beschreibt der Papst das "Geheimnis der Erlösung" als Grundprinzip des Lebens und der Sendung der Kirche. Christus sei Mittelpunkt und Maßstab, an dem sich alles kirchliche Handeln orientieren müsse. Zugleich richtet Johannes Paul II. den Blick auf den konkreten Menschen in der Welt von heute – geprägt von technologischem Fortschritt, Angst und Bedrohung. Der Mensch, so der Papst, dürfe nicht zum Objekt seiner eigenen Entwicklungen werden, sondern müsse in Freiheit und Wahrheit leben.

Vor dem Hintergrund des Kalten Krieges ruft Johannes Paul II. zu einer erneuerten Achtung der Religion und der Menschenrechte auf. Diese seien unveräußerlich und Prüfstein jeder Gesellschaft. Die Kirche müsse dort eintreten, wo Würde und Freiheit des Menschen verletzt werden. "Redemptor Hominis" verbindet so persönliche Glaubenserfahrung, theologische Tiefe und gesellschaftliche Analyse. Johannes Paul II. entwirft darin ein klares Bild seines Pontifikats: den Menschen im Licht Christi zu sehen und seine unveräußerliche Würde gegen alle Bedrohungen zu verteidigen.

Papst Paul VI. im Portrait
Bild: ©epd/akg-images GmbH (Archivbild)

Papst Paul VI. führte in seiner Enzyklika "Ecclesiam suam" erstmals den Begriff "Dialog" als zentrales Prinzip päpstlichen Denkens ein.

Johannes Paul I. (1978)

Nach nur 33 Tagen im Amt starb Papst Johannes Paul I. im Jahr 1978. In dieser kurzen Zeit konnte der bislang letzte italienische Pontifex kein eigenes Regierungsprogramm und keine eigene Enzyklika vorlegen. In Erinnerung blieb der "lächelnde Papst" für etwas anderes: seine Nahbarkeit und Menschlichkeit. Er verzichtete auf das monarchische "Wir" in seinen Ansprachen und sagte stattdessen einfach "Ich". Den tragbaren Papst-Thron nutzte er nur widerstrebend und auf Drängen der Kurie. Er war auch der erste Papst, der auf eine Papst-Krönung verzichtete. Theologisch stand er in Kontinuität zu seinen beiden unmittelbaren Vorgängern. Das wird schon an seinem Doppelnamen deutlich.

Paul VI. (1963-1978)

Papst Paul VI. wird heute vor allem mit seiner letzten Enzyklika "Humanae vitae" aus dem Jahr 1968 in Verbindung gebracht, für die er in Deutschland den spöttelnden Spitznamen "Pillen-Paul" erhielt. Sein erstes Lehrschreiben, die Enzyklika "Ecclesiam suam" ("Seine Kirche") vom 6. August 1964, ist dagegen weitgehend in Vergessenheit geraten. Das Besondere an diesem Schreiben: Es führte erstmals den Begriff "Dialog" als zentrales Prinzip päpstlichen Denkens ein – und das zu einer Zeit, als das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) noch tagte und der Austausch zwischen Kirche und Welt kaum selbstverständlich war.

Das Schreiben, das erst mehr als ein Jahr nach der Wahl Pauls VI. erschien, war keine klassische Antrittsenzyklika; es enthielt weder ein Programm für das Pontifikat noch konkrete Aussagen zu kirchlichen, moralischen oder politischen Fragen. In dem Schreiben, das laut dem Kirchenhistoriker Jörg Ernesti "etwas Nachdenkliches, ja geradezu Meditatives" hat, formulierte Paul VI. stattdessen Leitlinien für eine Kirche im Dialog mit der modernen Welt, mit Christen anderer Konfessionen, mit anderen Religionen und mit Nichtglaubenden. Dialog, so der Pontifex, müsse die eigentliche "Art, Kunst und der Stil" kirchlichen Wirkens sein.

Paul VI. beschrieb den Dialog als Ausdruck seelsorgerischer Verantwortung – offen, aber standhaft im Glauben. Die Kirche solle sich der Welt zuwenden, ohne ihre Identität preiszugeben. Zugleich verurteilte der Papst wie seine Vorgänger die "gottesleugnerischen und die Kirche vorfolgenden ideologischen Systeme" wie den "gottlosen Kommunismus", um den Glauben klar von ideologischen Systemen abzugrenzen.

Der Dialoggedanke blieb für Paul VI. nicht bloß Theorie. Schon vor Veröffentlichung der Enzyklika gründete er das Sekretariat für die Nichtchristen, um den interreligiösen Austausch zu fördern. Innerhalb der Kirche stärkte er die Kollegialität, indem er die Weltbischofssynode als ständige Einrichtung ins Leben rief. Auch die ökumenische Dimension spielte eine wichtige Rolle. Paul VI. suchte das Gespräch mit den orthodoxen Kirchen, symbolträchtig unterstrichen durch seine Begegnung mit Patriarch Athenagoras 1964 – der ersten Begegnung dieser Art seit mehr als 500 Jahren.

Kritiker bemängelten später, der Papst habe den eigenen Dialoganspruch beim Thema Empfängnisverhütung nicht eingelöst. Dennoch bleibt "Ecclesiam suam" ein Schlüsseltext: das Manifest einer Kirche, die reden, zuhören und zugleich sich selbst treu bleiben will.

Von Christoph Brüwer und Steffen Zimmermann