Was ihm heute dabei hilft, mit dem Handicap umzugehen

Stottern und Priester sein – Wie ein Pfarrvikar das meistert

Veröffentlicht am 22.10.2025 um 00:01 Uhr – Von Madeleine Spendier – Lesedauer: 

Berlin ‐ Maximilian Hofmann arbeitet als Pfarrvikar im Erzbistum Berlin. Und er stottert. Als Kind wurde er deshalb von anderen Kindern ausgelacht. Noch heute spürt er, wenn Menschen unsicher auf ihn reagieren. Doch der 36-Jährige möchte sein Stottern nicht verstecken. Im Interview mit katholisch.de spricht er darüber.

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Der 22. Oktober ist der Welttag des Stotterns. Pfarrvikar Maximilian Hofmann aus der katholischen Pfarrei Sankt Matthias Schöneberg in Berlin ist Betroffener. Er ist mit sechs Geschwistern in München aufgewachsen. In seiner damaligen Heimatpfarrei wurde er für sein Stottern ausgelacht. Noch heute erlebt er unangenehme Gesprächssituationen. Dennoch im Rückblick ist er dankbar. Denn sein Stottern hat ihm bei einer seiner wichtigsten Entscheidung im Leben geholfen. Davon erzählt er im Interview mit katholisch.de.

Frage: Herr Hofmann, Sie sind mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Wann haben Sie begonnen zu stottern?

Hofmann: Seitdem ich sprechen kann, stottere ich. Je nach Lebensphase geht es mal schlechter oder besser. Man weiß bis heute nicht so genau, woher das Stottern kommt. Es ist eine genetische Veranlagung und mit neurologischen Faktoren verbunden, die die Übertragung zum Gehirnareal, das die Sprechmuskel steuert, behindern. Im Familienteil einer meiner Großväter gab es weitere Stotterer. Vielleicht kommt das daher. Von meinen Geschwistern stottert aber niemand außer mir. Als Kind wurde mir zeitweise vermittelt, dass ich ein Problem beim Sprechen habe und das Stottern loswerden muss. Weil mir vor Ort nicht mehr geholfen werden konnte, war ich dann in Behandlung bei einem Experten für Stottertherapie. Ich profitiere bis heute von dieser Therapie. Der Therapeut hat mir deutlich gesagt, dass das Stottern zu mir gehört und mich mein ganzes Leben begleiten wird. Mein Stottern ist nicht vollständig heilbar. Gerade das war befreiend, so paradox das klingt. Ich habe zuvor als Kind gedacht: Das Leben ist ungerecht, weil ich dadurch manches nicht tun konnte.

Frage: Was denn zum Beispiel?

Hofmann: Als Kind habe ich davon geträumt, Pilot zu werden. Flugzeuge und die Flugtechnik, das hat mich alles interessiert. Doch es war offensichtlich, dass ich nicht Pilot werden konnte. In stressigen Situationen stottere ich oft mehr als sonst. Daher ging das nicht. Das machte mich damals traurig. Heute im Rückblick spüre ich deshalb aber keinen Schmerz mehr. Ich habe die Erfahrung gemacht, wenn eine Tür zugeht, geht eine andere auf. 

Frage: Welche Tür ging für Sie auf?

Hofmann: Ich sehe das so: Wenn ich nicht gestottert hätte, wäre ich nicht Priester geworden. Ich war schon als Kind in meiner Heimatgemeinde aktiv. Genau dort in der Pfarrei wurde ich von anderen ausgelacht, weil ich stotterte und mir Sinnfragen stellte. Das war schlimm. In meiner Jugend habe ich in einer anderen Pfarrei einen Priester kennen gelernt, der mich begeistert hat. Er gehörte dem Neokatechumenalen Weg an. Diese geistliche Gemeinschaft hat mir gut gefallen. Damals habe ich mich gefragt, ob das nicht auch eine Berufung für mich sein könne. Beim Weltjugendtag in Köln 2005 fragte ich mich erstmals, ob Gott mich zum Priester ruft. Ich habe gespürt, dass ich Gott vertrauen kann, dass sein Wille geschieht. Fünf Jahre später habe ich dann begonnen, Philosophie und Theologie zu studieren und bin in das Priesterseminar Redemptoris Mater des Erzbistums Berlin eingetreten. 2020 wurde ich dann in Berlin zum Priester geweiht. Als Priester habe ich ein Stück weit auch mit dem Himmel zu tun, so wie ein Pilot. Ich erzähle den Leuten vom Himmel.

Frage: Ist es für Sie eine Herausforderung, als Priester vor den Leuten zu sprechen?

Hofmann: Ein Stück weit schon, denn ich habe einen Redeberuf. Aber ich muss sagen: Ich bin jetzt seit fünf Jahren Priester und habe noch keine einzige Situation erlebt, in der ich mich nicht souverän gefühlt habe. Das Stottern ist für mich keine Überraschung. Ich spüre beim Reden schon vorher, dass ich gleich stottern werde. Wie viele andere Stotterer vermeide ich manche Wörter und verwende stattdessen andere. Zum Beispiel sage ich statt "Bitte" dann "Gebet". Denn ich weiß, dass ich beim "B" von "Bitte" stottern muss. Das kann ich umgehen. Ich nutze auch immer wieder Füllwörter, denn sie helfen mir dabei, das Stottern zu vermeiden. Wenn ich singe, muss ich – wie alle Stotterer – gar nicht stottern. Singen fällt mir sehr leicht. Daher singe ich sehr gerne in einem Gottesdienst. Manche Gebete sind viel feierlicher, wenn sie gesungen werden. Aber Vermeidung soll eine Ausnahme bleiben. Ich möchte nicht alle Texte in der Messe singen. Es gibt Worte, die gesprochen werden sollten.

Bild: ©Alexander Aehlig

Im Gottesdienst singt er am liebsten, denn dabei muss er nicht stottern. Kaplan Maximilian Hofmann ist davon überzeugt, dass Gott ihn genauso wie er ist, als Priester gewollt hat.

Frage: Würden Sie gerne manche Worte oder Texte in der Messe umschreiben, so dass Sie diese leichter aussprechen könnten?

Hofmann: Nein, das wäre keine Option für mich. Ich halte es eher für problematisch, wenn man Wörter oder Texte aus dem Messbuch einfach umschreiben würde. In diesen Worten steckt oft eine lange Tradition der Kirche. Die kann ich nicht einfach so abändern, dass es für mich passt. Ich würde eher sagen: Ich möchte mein Stottern nicht verleugnen oder verstecken.

Frage: Erleben Sie dennoch als Seelsorger unangenehme Situationen, weil Sie stottern?

Hofmann: Ja, wenn ich in Kindergärten bin und dort vor Kindern spreche. Die Kinder sprechen mich immer wieder darauf an und sagen: "Sie sprechen komisch." Ich denke, das ist so, weil sie noch keinen Höflichkeitsfilter haben. Ich bemerke in Gesprächen mit Erwachsenen aber auch, wenn jemand unsicher auf mich reagiert oder schwer damit umgehen kann, dass ich für einen Satz länger brauche. Daher sage ich oft zu Beginn eines Gesprächs, dass ich stottere und um Geduld beim Zuhören bitte.

Frage: Haben die Menschen ausreichend Geduld zum Zuhören?

Hofmann: Manche ja und andere wiederum halten das nur schwer aus und lassen mich nicht ausreden. Sie warten nicht ab, bis ich meinen Satz beendet habe, sondern sagen ihn selbst laut zu Ende. Das demütigt mich. Es tut mir weh, auch wenn es bestimmt gut gemeint ist. Ich weiß, es soll eine freundliche Hilfestellung für mich sein, aber es verletzt mich dennoch. Es macht mich unsicher und gibt mir das Gefühl, dass ich nicht gut genug wäre. Manche unterstellen mir auch, dass mein Stottern ein psychisches oder intellektuelles Problem wäre. Das ist ein Vorurteil, dem viele Stotterer begegnen. Aber das stimmt so nicht. Es gibt einen guten Kinofilm über den britischen König Georg VI. Der Film heißt "The King’s Speech". Dort wird genau das klargestellt: Wer stottert, ist nicht krank oder hat ein Problem. Das Stottern ist eine Veranlagung. Der frühere amerikanische Präsident stottert und hat trotzdem Karriere gemacht. Das ist genau mein Anliegen: Ich bin nicht der stotternde Pfarrvikar, ich bin Max, Pfarrvikar. Punkt.

Frage: Hilft Ihnen dabei auch Ihr Glaube, das so anzunehmen?

Hofmann: Ja, ich bin überzeugt davon, dass Gott mich so geschaffen und gewollt hat. Er hat zugelassen, dass ich stottere und mich zum Priester berufen. Also steckt da ein Sinn dahinter. Wovor sollte ich denn Angst haben? Gerade durch das Stottern erfahre ich viel Gnade. Ich bin da Gott ganz nahe. Mein Handicap ist für mich wie ein Kreuz, das ich trage, nicht als ein Zeichen für Leiden, sondern als Schmuckstück. Und ich will das nicht verstecken.  

Von Madeleine Spendier