Gott am Ring
"Kirche muss raus aus ihren geschlossenen Räumen", sagt Martin Lörsch, Professor am Lehrstuhl für Pastoraltheologie an der Theologischen Fakultät Trier. Das gelte in zweifacher Hinsicht: "Wir müssen raus aus dem Kirchengebäude und raus aus volkskirchlichen Denkmodellen. Wir müssen an Orte gehen, wo das Leben pulsiert und wo Menschen mit existentiellen Fragen konfrontiert werden." Warum also nicht ins Café auf den Friedhof oder zu einem Rockfestival - unter dem Motto "Gott am Ring".
"Als wir gehört haben, 'Rock am Ring' kommt nach Mendig, war klar: Da müssen wir dabei sein", erzählt Oliver Serwas, Pastoralreferent im Dekanat Mayen-Mendig. Und als sich drei Monate später die Tore zum Festivalgelände öffneten war sie da, die Pfadfinderjurte mit den weithin sichtbaren Kreuzfahnen. "Wir lagen gleich bei der Erste-Hilfe-Station, etwas abseits vom Treiben", erzählt Serwas. Das änderte sich jedoch gleich am zweiten Tag.
Mittendrin und offen für alle
"Der Zeltplatz war schon am ersten Abend voll, es sollten aber noch weitere 40.000 Leute anreisen." Noch in der Nacht wurde mit den Bauern der umliegenden Felder verhandelt und das Gelände erweitert. Und plötzlich war Kirche mittendrin. Offen für alle, die kommen wollten. "Wir sind bewusst nicht mit Werbezetteln über das Festival gelaufen, sondern waren einfach da und ansprechbar." Dreizehn Helfer arbeiteten in Wechselschichten, Katholiken und Protestanten Hand in Hand.
"Viele Aufgaben der Kirche lassen sich heute nur noch gemeinsam stemmen. Wir werden in der Gesellschaft nur noch dann gehört, wenn wir uns gemeinsam zu Wort melden", so Pastoraltheologe Lörsch, "und das meiste, was wir in den vielen pastoralen Feldern tun, kann bereits heute ökumenisch getan werden." Das gleiche gelte für hauptamtliches und ehrenamtliches Engagement. Die Präsenz der Kirche zeige sich nicht nur durch den Klerus, sondern durch alle Menschen, die getauft und gefirmt sind." Sie sollten sich der Würde und Kompetenz bewusst werden, dass dort, wo sie sind, Kirche ist", macht Lörsch deutlich und verweist dabei auf das jüngst erschienene Wort der deutschen Bischöfe "Gemeinsam Kirche sein".
Den eigenen Glauben (mit-)teilen, auch darum ging es bei "Rock am Ring": "Einmal kam ein Rocker ins Kirchenzelt und haute ein paar Sprüche raus. Dann sah er unsere T-Shirts mit dem Aufdruck 'Gott am Ring' und fragte: Seid ihr alle gläubig? Wie macht man denn das?" Die Kirchenzelt-Crew berichtete von ihren Erfahrungen und er erzählte von seinem nicht ganz einfachen Leben und seinen Schwierigkeiten mit Gott. Nach einer Viertelstunde war er wieder weg. Aber es kamen andere.
Provokationen - aber auch viele gute Gespräche
"Die haben uns wirklich die Bude eingerannt", erzählt Serwas. Etwa die Hälfte der Besucher hatte selbst mit Kirche zu tun, die anderen waren einfach neugierig. Natürlich seien auch viele gekommen, um sich lustig zu machen oder zu provozieren. "Einige fragten, ob sie bei uns heiraten könnten, andere wollten beichten... Oft konnte man gar nicht genau sagen, was Klamauk war und wo doch eine ernsthafte Frage hinter stand. Als die gemerkt haben, dass hier ganz normale Leute sind, hörten auch die Provokationen auf und es gab viele lange und gute Gespräche."
"Ein Angebot auf zwei Beinen, Menschen, die bereit sind zuzuhören, genau das ist Kirche vor Ort", sagt Martin Lörsch und erzählt von einem Projekt am Saarparkcenter - einer Shoppingmall in Neunkirchen mit bis zu 35.000 Kunden am Tag. Das Bistum Trier hat dort mitten im Einkaufstrubel ein Ladenlokal angemietet, als offenes Angebot für alle Passanten. Viele Tausend haben bereits den Weg ins "Momentum" gefunden, um dort mit freiwilligen Helfern über Lebensfragen, Probleme oder den Glauben zu sprechen und auch, um konkrete Hilfe bekommen.
Menschen auf Augenhöhe begegnen, spontan helfen, wo Hilfe gebraucht wird. Auch das war Teil der Kirchenerfahrung bei "Rock am Ring". In der dritten Nacht schlug der Blitz ein. Die obdachlos gewordenen Festivalbesucher suchten und fanden Schutz im Kirchenzelt. "Einige hatten wirklich Angst. Die Fürbittenwand für Gedanken, Gebete und Wünsche wurde in der Nacht voll", erzählt Serwas.
Ein Gottesdienst bei "Rock am Ring"?
"Kirche muss diakonischer werden und das diakonische Profil als ihr Markenzeichen erkennbar machen. Nicht die Menschen herrschaftlich beseelsorgen, sondern sich dorthin bewegen, wo wir den Themen der Menschen unmittelbar begegnen", so Serwas. Wo Christinnen und Christen mit ihrer Unzufriedenheit kreativ umgingen, könnten neue Gemeinden entstehen, die nicht mehr an die lokale Pfarrgemeinde angebunden seien und Begegnungen, die über einen ersten Kontakt hinausgingen. Für Serwas ist klar: "Unsere von Erfahrungen bei 'Rock am Ring' waren wesentlich positiver, als zuvor angenommen. Sollte das Festival noch einmal nach Mendig kommen, sind wir wieder dabei." Und: "Vielleicht laden wir beim nächsten Mal auch zu einem Gottesdienst ein."
"Wir müssen die Portale öffnen und den Blick weiten, damit Menschen in ihrer persönlichen Lebenssituation mit Jesus und der frohen Botschaft in Kontakt kommen können", so Lörsch. Und es gibt viele Orte, an denen solche Begegnungen möglich sind, ob auf der Arbeit, in der Freizeit oder in anderen wichtigen Lebensbereichen. "Vielleicht sagt der ein oder andere dann irgendwann: Mit euch macht es mir Freude und mit Euch möchte ich den Weg weitergehen."