Polak: Rückkehr zu Religion bei Jugendlichen nicht unkritisch bejubeln
Die Wiener Theologin Regina Polak warnt davor, die in einigen westlichen Ländern zu beobachtende Rückwendung junger Menschen zur Religion uneingeschränkt positiv zu beurteilen. Die von manchen Bischöfen vorgenommene Bewertung dieses Phänomens als "Zeichen des Himmels" sei problematisch, da die sozialwissenschaflichen und religionspädagogischen Befunde zu dieser unerwarteten "neuen" Religiosität sehr "irdisch" seien, schreibt die Professorin für Praktische Theologie und Interreligiösen Dialog in einem Gastkommentar für die "Herder Korrespondenz" (November-Ausgabe).
Verantwortlich mit neu erwachtem religiösen Interesse umgehen
Die Befunde müssten "auch im Kontext identitätspolitischer Dynamiken betrachtet werden, also als Sehnsucht nach ambivalenzbefreiten und sicheren Zugehörigkeiten in Gesellschaften, deren multiple Krisen viele junge Menschen nach Halt, Orientierung und Refugien suchen lassen", so Polak weiter. Den Alltag strukturierende Rituale, eindeutige Antworten auf komplexe Fragen, spirituelle Erfahrungen und unbekannte alte Traditionen machten Religion als Option interessant. "Unkenntnis über kirchliche Realitäten und deren Belastungen ermöglichen unbefangene Begegnungen." Deutlich unattraktiver sei dagegen die intellektuelle oder kritische Auseinandersetzung mit Religiosität, erst recht mit deren Schattenseiten. "Entscheidend ist, ob Religion individuell im Alltag 'funktioniert', also beim Leben hilft."
Kirchenleitung, Seelsorgende und Religionskräfte sind nach Ansicht von Polak verpflichtet, mit dem neu erwachten religiösen Interesse junger Menschen theologisch verantwortlich umzugehen: "Sie sollten nicht der Versuchung erliegen, in den jungen Menschen primär die Zukunft und Stabilisierung ihrer krisengeschüttelten Kirche zu sehen, und nicht erleichtert darüber sein, dass da eine Generation kommt, die weniger kritische Fragen stellt und sich kaum für Reformen und Strukturen interessiert." Zwar seien die spirituelle Tiefe, die religiösen Erfahrungen und Fragen, die viele dieser jungen Menschen in eine alt und müde gewordene Kirche brächten, tatsächlich ein Geschenk. "Aber junge Menschen dienen nicht dazu, die Zukunft einer in Europa erschöpften Institution abzusichern."
"Jugendliche können Kirche mit ihren Gaben verändern"
Junge Menschen sollten laut Polak deshalb nicht einfach in bestehende Strukturen in den Religionsgemeinschaften eingemeindet werden. "Vielmehr können sie als Gegenwart der Kirche diese mit ihren Gaben verändern. Dazu müssen aber auch die theologisch problematischen Schlagseiten ihrer Religiositäten wahr- und ernst genommen werden, unter anderem die individualistische Funktionalisierung, die Versuchung zur Identitätssicherung, die Sehnsucht nach Rückzug, die Tendenz zum Anti-Intellektualismus." Solle der Trend junger Menschen zur Religion wirklich zum "Zeichen des Himmels" werden, sei nicht nur die Zahl religiöser junger Menschen entscheidend, "sondern es muss gemeinsam um die Qualität dieser Religiositäten gerungen werden", so die Theologin.
Unter anderem in Frankreich ist die Zahl der Taufen junger Menschen in der jüngsten Vergangenheit angestiegen. Allein am diesjährigen Osterfest wurden in dem Land rund 7.400 Jugendliche im Alter von 11 bis 17 Jahren getauft. (stz)
