Wallfahrtsrektoren loben Dokument, aber…

Rom bremst Marien-Titel – Ob das die Gläubigen beeindruckt?

Veröffentlicht am 07.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Bonn ‐ Ob Maria Miterlöserin ist? Der Vatikan sagt nein und beendet eine Debatte, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurückreicht. Doch wird das neue Dokument zu den Titeln Mariens Einfluss auf Wallfahrtsorte haben? Katholisch.de hat nachgefragt.

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Wenn es um Marienverehrung geht, muss Christus immer das eigentliche Zentrum bleiben. So lautet die "Warnung" des Vatikans an Katholiken und Theologen. Das vatikanische Glaubensdikasterium hat eine "lehrmäßige Note" mit dem Titel "Mater populi fidelis" (Mutter des gläubigen Volkes) veröffentlicht, in der sich der Glaubenspräfekt, Kardinal Víctor Fernández, deutlich dafür ausspricht, Titel wie "Miterlöserin" in Marienverehrung und Theologie zu vermeiden. Laut Fernández würden solche Bezeichnungen einer angemessenen Betrachtung der christlichen Botschaft eher schaden.

Die Debatte ist allerdings keineswegs neu. Sie reicht bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts zurück und gewann unter dem polnischen Papst Johannes Paul II. (1978–2005) erneut deutlich an Fahrt. Der Papst hatte mehrfach von "Maria als Miterlöserin" gesprochen, ohne jedoch zu präzisieren, was er damit meinte. Zu dieser Zeit stand Kardinal Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., der Glaubenskongregation vor. Schon 2002 hatte er erklärt, die Formel "Miterlöserin" entferne sich von der Schrift und könne Missverständnisse hervorrufen. Der niederländische Theologe Hendro Munsterman betonte zuletzt, dass es bereits zuvor systematische Streichungen dieses Titels gegeben habe – etwa unter Pius XII. oder Johannes XXIII. Ebenso habe das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) den Titel abgelehnt, gefolgt von Paul VI. bis heute – einschließlich Papst Franziskus und der Päpstlichen Marianischen Akademie. 

Klarstellung von Vorstellungen 

In der Note spricht der Glaubenspräfekt zudem von "einigen mariologischen Kreisen" sowie Anfragen nach marianischen Dogmen, die nicht dieselben Merkmale der Volksfrömmigkeit aufweisen, sondern vielmehr eine gewisse dogmatische Weiterentwicklung vorschlagen und sich intensiv über soziale Netzwerke äußern. Welche Kreise damit gemeint sind? Marienwallfahrtsorte etwa, an denen Maria stärker verehrt wird als Jesus?

Papst Johannes Paul II. in Polen
Bild: ©KNA-Bild/KNA

Der polnische Papst hatte mehrfach von "Maria als Miterlöserin" gesprochen, ohne jedoch zu präzisieren, was er damit meinte.

Die Tübinger Dogmatikerin Johanna Rahner betonte im Interview mit katholisch.de, sie glaube nicht, dass damit primär bestimmte Gruppen in Deutschland oder Europa gemeint seien. Sie gehe vielmehr davon aus, dass dies auf Situationen in bestimmten Ortskirchen anspiele, die sich in einem regelrechten "Wettstreit um Wunder und Marienerscheinungen" befänden. "Das ist nicht zu dulden. Auch Papst Franziskus hat mehrfach Warnungen in diese Richtung ausgesprochen und die Bischöfe aufgefordert, die Frömmigkeit des Volkes hier nicht zu instrumentalisieren", so Rahner. Das aktuelle Vatikan-Schreiben wolle bestimmte Vorstellungen und Begriffe klarstellen. 

Wenig Einfluss auf Gläubige 

Ähnlich sieht es der Wallfahrtsdirektor von Maria Vesperbild, Pfarrer Michael Menzinger. Gegenüber katholisch.de sagte er, es handle sich in erster Linie um eine "theologische Klärung und Einordnung dieser Titel". Es gehe nicht um deren Abschaffung, sondern um die "korrekte Auslegung und Anwendung". Das Dokument stärke vielmehr die marianische Frömmigkeit. Während der Kirchengeschichte sei Maria eine besondere Stellung eingeräumt und verschiedene Titel seien verliehen worden, um diese herauszustellen. "Besonders in der Volksfrömmigkeit, die in Maria Vesperbild reichhaltig gepflegt wird, spiegelt sich nahezu alles wider, was in der vorliegenden Note angesprochen wird", so Menzinger. Nun sei es Aufgabe der Verkündigung und der Ausrichtung der Wallfahrt, die "lebendige Volksfrömmigkeit" im Einklang mit der Lehre der Kirche zu erhalten. 

Auf die Gläubigen und Wallfahrer in Maria Vesperbild und deren Marienverehrung werde das Dokument "wahrscheinlich wenig Einfluss haben", sagte der Wallfahrtsdirektor. "Die Gläubigen, die zu uns nach Maria Vesperbild kommen, wissen, dass die Mutter Gottes immer nur auf ihren Sohn verweist und er derjenige ist, auf den es ankommt." Unabhängig vom Ort der Verehrung – in Lourdes, Guadalupe, Kevelaer, Wemding oder Maria Vesperbild – "es ist immer dieselbe Muttergottes, durch die wir zu Jesus Christus geführt werden". Daher könne und werde das Dokument Vesperbild und dessen Wallfahrer und Gläubige "nur stärken", weiter auf Christus zuzugehen. 

Ökumenischer Kontext wichtig 

Der Domkapitular und Wallfahrtsrektor in Kevelaer, Stefan Dördelmann, betonte im Gespräch mit katholisch.de hingegen den ökumenischen Kontext. Das Marien-Dokument des Glaubensdikasteriums unterstreiche, dass Jesus der einzige Mittler sei – was ökumenisch sehr bedeutsam sei. Maria gebühre zwar hohe Wertschätzung, doch dürfe nicht der Eindruck entstehen, dass Jesu einzigartige Mittlerschaft infrage stehe. Die dogmatischen Aussagen seien wichtig; laut Dördelmann werde das Dokument jedoch keinen großen Einfluss auf die Gläubigen haben, die nach Kevelaer kommen. "Sie lieben die Muttergottes", so der Wallfahrtsrektor – und ihre Liebe zu Maria werde dadurch nicht gemindert, so wichtig die dogmatischen Klärungen auch seien. 

Bild: ©picture alliance/imageBROKER

"Besonders in der Volksfrömmigkeit, die in Maria Vesperbild reichhaltig gepflegt wird, spiegelt sich nahezu alles wider, was in der vorliegenden Note angesprochen wird", so Menzinger.

Mit Blick auf die Marienfrömmigkeit Johannes Pauls II. und dessen Gebrauch des Titels sagte Dördelmann, er habe sich oft gefragt, ob dieser damals nicht ein wenig über das Ziel hinausgeschossen sei: "Für den ökumenischen Kontext bin ich für die Klärung aus Rom dankbar. Ich glaube, die 'Trösterin der Betrübten' von Kevelaer auch."

Dem komme die "lehrmäßige Note" des vatikanischen Glaubensdikasteriums nun nach. Diese Klärung habe in den vergangenen Tagen auch der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück unterstrichen. Mariens teilnehmende Mittlerschaft und ihre mütterliche Fürsprache seien zwar im Rahmen, aber nicht als Konkurrenz oder Ergänzung zur einzigen Mittlerschaft Jesu zu verstehen. Mit Blick auf die Ökumene mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kirchen sei dies ein "wichtiges Signal". Für die Wallfahrtsorte dürfte sich wenig ändern, außer einem klareren theologischen Rahmen, den die meisten Gläubigen vermutlich gar nicht erst wahrnehmen werden.

Von Mario Trifunovic