96-Jähriger ist einer der letzten Zeitzeugen des Zweiten Vatikanums

Kardinal Brandmüller: Für ein neues Konzil ist es noch viel zu früh

Veröffentlicht am 13.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Ludwig Ring-Eifel (KNA) – Lesedauer: 

Vatikanstadt ‐ Am 8. Dezember 1965 endete das Zweite Vatikanische Konzil. Die größte Bischofsversammlung aller Zeiten beschloss wichtige Reformen für die katholische Kirche. Kardinal Walter Brandmüller als einer der letzten Zeitzeugen würdigt das Ereignis.

  • Teilen:

Der deutsche Kurienkardinal Walter Brandmüller ist Kirchenhistoriker. Im Interview sagte der 96-Jährige, was er als einer der letzten Zeitzeugen über das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) und dessen Folgen denkt.

Frage: Herr Kardinal, Sie sind einer der letzten Zeitzeugen des 1965 zu Ende gegangenen Konzils und als Kirchenhistoriker ein Experte für die Geschichte der Konzilien. Wie reagierten Sie damals persönlich auf die Ankündigung des Zweiten Vatikanums?

Brandmüller: Meine erste Reaktion war, dass ich als junger Kirchenhistoriker eine Vortragsreihe organisieren wollte, um zu erklären, was das überhaupt ist, ein Konzil. Das konnte ich aber damals nicht verwirklichen. Wenig später war ich dann im Rahmen meiner Promotionsstudien hier in Rom, während das Konzil im Gang war. Ich erinnere mich, dass viele wie elektrisiert waren. Die Stadt war voll mit Bischöfen aus aller Herren Länder, überall war das Konzil Gesprächsthema. Auch mein damaliger Erzbischof Josef Schneider – ich gehörte ja zum Erzbistum Bamberg – war begeistert und voller Hoffnung auf eine Erneuerung der Kirche. Er nahm an allen vier Sessionen des Konzils teil. Doch schon wenige Jahre später war er tief enttäuscht, ja erlebte einen gesundheitlichen Zusammenbruch. Das Konzil brachte zunächst keineswegs die erhoffte neue Vitalität für die Kirche. Stattdessen ging es in den Jahren nach dem Konzil mit der Kirche in Deutschland und anderen Ländern bergab, die Zahl der Kirchenaustritte nahm bisher unvorstellbare Ausmaße an.

Frage: Das klingt pessimistisch. Ist also das Zweite Vatikanische Konzil schuld an der Kirchenkrise der Gegenwart?

Brandmüller: Die Wahrheit ist komplizierter. Tatsache ist, dass nach dem Konzil sehr viel in Frage gestellt wurde. Plötzlich schien nichts mehr Geltung zu haben. Und an den Theologischen Fakultäten wurde da und dort keine wirklich katholische Theologie mehr gelehrt. Und dann hat sich der Zeitgeist der Ergebnisse des Konzils bemächtigt und sie umgedeutet. Zitiert wurde meist nur noch "der Geist des Konzils" in einem Sinne, den die Texte gar nicht hergaben. Doch eigentlich hat das Konzil sehr gute Ergebnisse hervorgebracht.

Frage: Manche Traditionalisten meinen ja, dass die vom Konzil in Gang gesetzte Liturgiereform die Wurzel vieler Übel sei ...

Brandmüller: Die vom Konzil beschlossenen Grundsätze einer Liturgiereform waren gut und richtig, auch Erzbischof Lefebvre hat diesem Text zugestimmt! Die sogenannte Tridentinische Messe ist ja keineswegs vollkommen, da gibt es manch Korrekturbedürftiges, und auch eine Reform des liturgischen Kalenders war sinnvoll. Was dann später zur Abspaltung der "Traditionalisten" führte, waren hingegen die Exzesse der Nachkonzils-Zeit, als man nicht die Beschlüsse von "Sacrosanctum Concilium" umsetzte, sondern eigene Dinge hinzuerfand und mancherorts die Liturgie – meist unbeanstandet – in Willkür und Chaos endete.

Mit Kardinälen voll besetztes Kirchenschiff
Bild: ©KNA (Archivbild)

Feierliche Eröffnung des Zweiten Vatikanischen Konzils am 11. Oktober 1962 im Petersdom, der als Konzilsaula diente.

Frage: Heute scheint die alte Liturgie erstaunlicherweise wieder etliche Menschen zu faszinieren ...

Brandmüller: Das ist auch eine Folge des missbräuchlichen Umgangs mit der ihrerseits reformbedürftigen Liturgiereform. Wäre sie korrekt umgesetzt worden, hätte es diese neue Sehnsucht nach der alten Form kaum gegeben.

Frage: Das Konzil hat noch viele andere Texte beschlossen, mit denen Traditionalisten nicht zufrieden sind. Gibt es da Schwachpunkte?

Brandmüller: Die wirklich wichtigen Dokumente, also die Konstitutionen zur Liturgie, zur Kirche, zur Heiligen Schrift, haben Bestand, und sie stehen ganz im Strom der kirchlichen Überlieferung. Und manche Dekrete, etwa zur Priesterausbildung, sind bis heute nicht wirklich umgesetzt worden. Merkwürdig ist, dass die Traditionalisten gerade gegen die Texte Sturm laufen, die anders als die genannten Konstitutionen den geringsten Verbindlichkeitsgrad haben und lediglich "Deklarationen" sind. Ich spreche hier von "Nostra aetate" über die Elemente der Wahrheit in den anderen Religionen und über "Dignitatis humanae" zur Glaubens- und Gewissensfreiheit. Das sind zeitbedingte Erklärungen des Konzils, die mittlerweile überholt sind – man denke nur an die damaligen Aussagen über den Islam oder über die sozialen Kommunikationsmittel.

Frage: Bis ein Konzil in der Kirche umgesetzt wird und ein neues Konzil am Horizont erscheint, dauert es oft mehrere Generationen. Wo stehen wir da beim Zweiten Vatikanum?

Brandmüller: Es dauert manchmal noch länger. Denken Sie an das Konzil von Trient, das 1563 endete. Einige zentrale Beschlüsse wurden erst 100 Jahre später, ab Mitte des 17. Jahrhunderts, allmählich umgesetzt. Und das nächste Konzil, das Erste Vatikanum, wurde dann erst nochmals gut 200 Jahre später, also 1869, einberufen. Konzilien kann man mit einem Wasserfall vergleichen: Da rauscht es auf einmal gewaltig, und da, wo der Wasserfall auftrifft, bildet sich erst ein Strudel und alles ist in Bewegung. Aber nach einer Weile fließt der Bach und mündet dann ein in den großen Strom. An diesem Punkt sind wir beim Zweiten Vatikanum noch nicht, es ist noch immer manches aufgewühlt. Und: Ein Konzil ist nicht Sackbahnhof oder Endstation, sondern Durchgangsbahnhof auf der Strecke zum Ziel.

Frage: Also kein Drittes Vatikanum in Sicht?

Brandmüller: Dafür ist es viel zu früh. Und außerdem weiß niemand, wie man heute eine Versammlung von mehr als 5.000 Bischöfen der Weltkirche rein praktisch organisieren könnte. Schon damals beim Zweiten Vatikanum waren es viel zu viele, die teilnahmen. Wie soll da jeder wenigstens einmal zu Wort kommen? Eine Möglichkeit wäre, nur die Metropoliten einzuladen, das wären dann auch immerhin etwa tausend Teilnehmer. Aber noch stellen sich diese Fragen nicht, und nicht wir sind es, die sie zu beantworten haben.

Von Ludwig Ring-Eifel (KNA)