Standpunkt

Kirchengemeinden müssen "Dritte Orte" werden

Veröffentlicht am 26.11.2025 um 00:01 Uhr – Von Dominik Blum – Lesedauer: 

Bonn ‐ Cafés, Bibliotheken und Biergärten haben etwas gemeinsam: Sie bringen Menschen unkompliziert zusammen. Können solche Orte der Begegnung auch in der Kirche stattfinden? Ja, auf jeden Fall, meint Dominik Blum.

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Als im November 2022 der US-amerikanische Soziologe Ray Oldenburg starb, hat er der Nachwelt eine herausfordernde Idee hinterlassen. Neben dem Zuhause als erstem und der Arbeit als dem zweiten Ort interessierten den Stadtplaner besonders die sogenannten Third Places. Diese öffentlichen "Dritten Orte", an denen Menschen unkompliziert zusammenkommen können, sollten einer funktionierenden Zivilgesellschaft, bürgerschaftlichem Engagement und dem demokratischen Miteinander dienen.

Oldenburg dachte dabei vor allem an Cafés und Biergärten, Buchhandlungen und Bibliotheken, Barber-Shops und Pubs. Sie alle folgen, so seine Grundannahme, bestimmten Regeln: Sie sind offen und neutral, niederschwellig und ständig zugänglich. Third Places sind klassen- und communityübergreifend, so dass gesellschaftliche Unterschiede abgeschwächt werden. Konversation und Geselligkeit sind erwünscht und werden gefördert. Alle Menschen können jederzeit kommen und gehen. Die Orte sind weniger spektakulär als funktional und möglichst unkommerziell. Für manche regelmäßigen Besucher – die sogenannten "Stammgäste" – wird der Dritte Ort sogar ein "zweites Zuhause".

Sind auch Kirchengemeinden solche Dritten Orte? Noch viel zu selten, befürchte ich. Die einen, die Berufschristen wie ich, arbeiten dort. Mir kommt es immer mehr so vor, als ob die zukünftige kirchliche Entwicklung von denen, die sie als "Zweiten Ort" und als Arbeitsplatz betrachten (müssen), ausgebremst und blockiert wird. Für viele ehrenamtlich Engagierte ist die Kirchengemeinde gar Erster Ort, also Zuhause. Sie trauern einer überholten Gemeindetheologie und ihrer zerbröckelnden Pfarrfamilie hinterher. Und vollziehen – gefangen in Trauer und Zukunftsangst – die dringend nötigen Ab- und Umbrüche nicht mit.

Eine gemeinwohlorientierte Pastoral könnte Kirchengemeinden gut als Third Places verstehen und entwickeln. In einem Punkt allerdings würden sie sich hoffentlich von Oldenburgs Vorstellung unterscheiden: Die Stimmung am Dritten Ort sei vor allem "playfull", also spielerisch. Ernste Themen blieben besser außen vor. Das könnte dann das Alleinstellungsmerkmal der kirchlichen Dritten Orte sein – dass die großen, drängenden Fragen des Einzelnen und der Gesellschaft nach Leid, Streit und Scheitern wie nach Solidarität und Zukunftshoffnung endlich wieder gemeinsam besprechbar werden.

Von Dominik Blum

Der Autor

Dominik Blum ist Pfarrbeauftragter in der Katholischen Pfarreiengemeinschaft Artland im Bistum Osnabrück.

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung der Autorin bzw. des Autors wider.