Politische Krippen spalten Amerikas Kirchen

Jesus in Handschellen: Wenn Weihnachtskrippen politisch werden

Veröffentlicht am 20.12.2025 um 12:00 Uhr – Von Mario Trifunovic – Lesedauer: 

Chicago ‐ Politische Weihnachtskrippen in den USA spalten Gemeinden. Darf eine Krippe provozieren? Zwischen Gotteslästerung und Gewissensruf entzündet sich ein Streit um die Deutung der Weihnachtsgeschichte. Missbrauch des Heiligen – oder notwendiger Weckruf?

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Ein Jesuskind liegt in einer Krippe im Schnee. Kein warmes Stroh, kein schützender Stall. Es ist eingewickelt in eine silberne Rettungsdecke, wie man sie von Unfallstellen kennt, die kleinen Hände mit Kabelbindern gefesselt. Neben ihm steht Maria, reglos, das Gesicht hinter einer Plastikgasmaske verborgen. Römische Soldaten flankieren sie, schwer bewaffnet, anonym, ihre Westen tragen die Aufschrift "ICE" – die Abkürzung der US-amerikanischen Einwanderungs- und Zollbehörde. Es ist ein Bild, das sich einbrennt, eine Weihnachtsszene vor der protestantischen Lake Street Gemeinde in Evanston, Illinois. 

In einem anderen Vorort von Chicago, unweit einer Einrichtung derselben Behörde, steht an der Krippe der Urban Village Church ein schlichtes Schild. Keine Figuren, keine Szene, nur ein Satz: "Aufgrund von ICE-Aktivitäten in unserer Gemeinde ist die Heilige Familie untergetaucht." Ein nüchterner Hinweis, und doch ein Satz voller Flucht, Angst und Schweigen. Rund tausend Kilometer weiter, in der katholischen Pfarrei St. Susanna in Dedham, Massachusetts, fehlt das Jesuskind ganz. Die Krippe bleibt leer. An seiner Stelle hängt ein handgemaltes Schild. Darauf steht nur: "ICE war hier." Drei Worte, die klingen wie ein Polizeibericht und doch eine ganze Geschichte erzählen. Die Installation blieb nicht ohne Folgen. Weltweit wurde zwar über diese ungewöhnliche "ICE war hier"- Krippe berichtet, innerhalb der Gemeinde gab es Konflikte und Streit – das Bistum schaltete sich schließlich ein. 

Weihnachtsgeschichte nie statisch

Weihnachtskrippen sind seit Jahrhunderten Sinnbilder von Hoffnung, Geborgenheit und Neubeginn. Seit dem Mittelalter erzählen sie die Geschichte der Geburt Jesu in Bethlehem, verbreitet vor allem durch Franz von Assisi. Doch diese Geschichte war nie statisch. Sie wurde immer wieder neu erzählt, neu gedeutet, in andere Zeiten und Wirklichkeiten hineingesprochen. Im Barock erreichte die Krippenkunst ihren handwerklichen Höhepunkt, vor allem durch die Förderung des Jesuitenordens. Die Neapolitanische Krippe (Presepio Napoletano) ist ein berühmtes Beispiel. Im 18. Jahrhundert wurden die Szenen gigantisch. Man beschränkte sich nicht mehr auf den Stall, sondern baute ganze Stadtviertel nach. Die Figuren hatten Köpfe aus Terrakotta, Glasaugen und prächtige Gewänder aus Seide.

Im 20. Jahrhundert löste man sich schließlich von der naturalistischen Darstellung. Die Figuren wurden schlichter, oft ohne Gesichter oder mit nur angedeuteten Zügen, um die spirituelle Bedeutung statt des Prunks zu betonen. In der Postmoderne wurde die Krippe zum Objekt der Designwelt und der gesellschaftlichen Kommentierung, während in der Postmoderne ein ikonisches Beispiel die Krippe von Massimo Giacon war. Figuren aus Porzellan, bunt, rundlich und wie Comic-Charaktere. Oder aber die Neufassung der heutigen Zeit, die "Modern Nativity". Hier macht Josef ein Selfie mit dem Jesuskind, während die Heiligen Drei Könige auf Segways anreisen und Amazon-Pakete bringen. Dies ist eine direkte Parodie auf den modernen Lebensstil. 

Notwendiger Weckruf oder Provokation? 

Die heutigen Weihnachtskrippen in den Vereinigten Staaten stehen in dieser Tradition der Gesellschaftskritik. Für die einen sind sie ein notwendiger Weckruf, eine moralische Anklage gegen die Einwanderungspolitik der Trump-Regierung. Für die anderen sind sie eine Provokation, ein Grenzübertritt, ein Missbrauch des Heiligen, wie es aus Kreisen innerhalb der Pfarrei St. Susanne heißt. Die Initiatoren der Darstellungen widersprechen hingegen einer solchen Kritik. Sie sagen, sie erzählten keine neue Geschichte, sondern dieselbe alte – nur aus der Perspektive der Gegenwart. Die Heilige Familie als Flüchtlinge, bedroht von Trennung, Verfolgung und Abschiebung. So, wie es heute viele Familien erleben. Auch in ihren eigenen Gemeinden. 

Bild: ©picture alliance/ZUMAPRESS.com/Tom Hudson

Das Heimatschutzministerium gab Ende Oktober selbst bekannt, in diesem Jahr 527.000 "illegale Ausländer" abgeschoben und weitere 1,6 Millionen zur freiwilligen Ausreise bewegt zu haben.

Die Fronten sind deshalb verhärtet. Befürworter berufen sich auf die Heilige Schrift, Kritiker sprechen von Gotteslästerung und politischer Instrumentalisierung. Selbst innerhalb der katholischen Kirche bleibt der Streit nicht ohne Konsequenzen. Das Erzbistum Boston erklärte, die Krippe müsse "ihrem ursprünglichen heiligen Zweck wieder zugeführt" werden. Der Erzbischof ordnete deshalb den Abbau der gesamten Installation an. Über einen Sprecher ließ er mitteilen, die Gläubigen hätten ein Recht darauf, in der Kirche "echte Möglichkeiten zum Gebet und zur katholischen Anbetung" vorzufinden – und keine spaltenden politischen Botschaften. 

Deportationen treffen die Kirche hart 

All das geschieht vor dem Hintergrund verschärfter Einwanderungskontrollen in Bundesstaaten und Städten, deren lokale politische Verantwortungsträger diese harte Linie eigentlich ablehnen. Allein im September wurden in Illinois und Massachusetts nach Angaben der Behörden mindestens 2.000 Menschen festgenommen, heißt es laut dem Portal "Crux". Das Heimatschutzministerium gab Ende Oktober selbst bekannt, in diesem Jahr 527.000 "illegale Ausländer" abgeschoben und weitere 1,6 Millionen zur freiwilligen Ausreise bewegt zu haben. 66.000 Einwanderer befanden sich in Bundesgewahrsam – ein Rekord. Die Massendeportationen treffen die katholische Kirche dabei überproportional hart. Rund 80 Prozent aller von Abschiebung bedrohten Menschen in den USA sind Christen. Jeder sechste Katholik lebt entweder selbst in der Angst vor Abschiebung oder teilt sie mit jemandem, der davon bedroht ist. 

Selbst die sonst tief gespaltene Bischofskonferenz der Vereinigten Staaten zeigte sich bei ihrer Vollversammlung Mitte November in Baltimore nahezu einstimmig, als sie sich gegen die Migrationspolitik von Präsident Donald Trump stellte. Man fühle sich verpflichtet, die Stimme "zur Verteidigung der von Gott gegebenen Menschenwürde zu erheben", hieß es. Historisch? Fast. Eine ähnlich klare politische Positionierung hatte es zuletzt 2013 gegeben, als sich die Bischöfe unter Präsident Barack Obama in der Debatte um kostenlose Verhütungsmittel gegen die Regierung stellten. 

Papst stellt sich hinter die US-Bischöfe

Die Botschaft der Bischöfe gegen die Migrantionspolitik wurde auch im Vatikan gehört. Papst Leo XIV. stellte sich hinter die Kritik seiner Mitbrüder. Das Vorgehen der US-Behörden gegen illegal Eingewanderte sei "extrem respektlos", sagte er – darunter auch Vorfälle von Behördengewalt. Die Trump-Administration jedoch zeigte sich unbeeindruckt. Tom Homan, ICE-Direktor und einer der Architekten der Massendeportationen, kritisierte die Bischöfe scharf. Er selbst sei ein "lebenslanger Katholik", sagte Homan, und erwarte von "seinen" Oberhirten, dass sie sich eher um die Kirche kümmerten, als politische Botschaften zur Migrationspolitik zu formulieren. Ob er dabei auch an den Papst dachte, bleibt offen. 

Derweil fordern in Dedham Kritiker der Weihnachtskrippe sogar die Absetzung des Pfarrers. Dieser verteidigte sich. Ziel der Installation sei es gewesen, "über statische traditionelle Figuren hinauszugehen und Emotionen und Dialoge hervorzurufen". Eine Reaktion auf die Angst, die viele Gemeindemitglieder täglich begleite. Die Behörden, so der Pfarrer, verhafteten längst nicht mehr nur undokumentierte Einwanderer, sondern auch langjährige legale Einwohner. Angst breite sich aus – vor allem unter Jugendlichen, Kinder würden traumatisiert. Dies müsse thematisiert werden, heißt es aus der Pfarrei. Bereits 2018 erregte die sie landesweit Aufsehen, als sie das Jesuskind symbolisch in einem Käfig und die Heiligen Drei Könige hinter einer Mauer darstellte. Auch das war ein Protest gegen die damalige US-Politik zur Familientrennung an der Grenze. Religiöse Kunst solle bewegen, fügt der Geistliche hinzu. Manchmal führe dies zu unbequemen Reaktionen, wie die Beispiele zeigen.

Von Mario Trifunovic