Zum 100. Mal jährt sich der Weihnachtsfriede von 1914

Friede zwischen Schützengräben

Veröffentlicht am 25.12.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Erster Weltkrieg

Ypern ‐ Weihnachten 1914: Britische, französische, belgische und deutsche Soldaten beschließen, ihre Waffen schweigen zu lassen. Für wenige Stunden vergessen sie zwischen Stacheldraht und Schützengraben ihre Feindschaft. Damit schreiben sie mitten im "Großen Krieg" eine ganz besondere Weihnachtsgeschichte. Der Weihnachtsfriede von der Westfront des Ersten Weltkriegs jährt sich nun zum 100. Mal.

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"Am 24. Dezember dämmerte ein ganz und gar stiller, klarer und eisiger Tag herauf. Der Geist des Weihnachtsfestes begann, uns alle zu durchdringen." Pathetisch beginnt der englische Zeichner Bruce Bairnsfather seinen Bericht über die Begebenheiten an der Westfront des Ersten Weltkriegs im Jahr 1914. Auch exakt ein Jahrhundert nach dem "Weihnachtsfrieden" zwischen deutschen Soldaten und ihren britischen, französischen und belgischen Gegnern lassen die zeitgenössischen Schilderungen dem Leser einen Schauer über den Rücken laufen. Wie konnte es möglich sein, dass sich die verfeindeten Truppen spontan für eine begrenzte Zeit verbrüderten?

Bild: ©KNA

Soldaten tauschen Knöpfe ihrer Uniformen. Dokumente über den Weihnachtsfrieden im Forschungszentrum des Flandern Fields Museum in Ypern am 9. Dezember 2014.

Feind in Rufweite

Die Ausgangslage von 1914 war zweifellos eine besondere. Was im Rückblick als erste Auseinandersetzung von wirklich globalen Ausmaßen erscheint, war den Menschen am Ende des ersten Kriegsjahres noch nicht klar. Und dennoch: Entlang der rund 800 Kilometer langen Frontlinie zwischen dem Ärmelkanal und dem französisch-schweizerischen Grenzgebiet schwante den Soldaten allmählich, dass eine schnelle Rückkehr zu ihren Familien immer unwahrscheinlicher wurde. Besonders in Flandern, in der Umgebung der Stadt Ypern, zeichnete sich der weitere Verlauf der Kämpfe in Form eines blutigen Stellungskrieges ab. Kaum 50 Meter lagen hier deutsche und britische Truppen auseinander. Problemlos konnten sich die in Schützengräben festsitzenden Männer über Zurufe mit dem Gegner verständigen.

Wohl deswegen kam es hier zu den ersten Kontakten über die verfeindeten Linien hinweg. Der Wunsch, Weihnachten zu feiern , war offenbar größer, als weiter in den nasskalten, von Ratten bevölkerten Lehmgräben auf Befehle zu warten. Von einem "merkwürdig menschlichen Ereignis" sprach ein anderer britischer Soldat, Frederick W. Heath: "Während ich so da lag und träumte, nahm ich ein Flackern in der Dunkelheit war. Zu derart später Stunde war ein Licht im feindlichen Schützengraben selten, sodass ich Meldung erstattete. Ich hatte kaum zu Ende gesprochen, als entlang der deutschen Front Licht um Licht aufleuchtete." Schließlich, so Heath, "drang ein im Krieg wohl einzigartiger Gruß an unser Ohr: 'English soldier, English soldier, a merry Christmas, a merry Christmas!'"

Bild: ©KNA

Fußballspiel zwischen Briten und Deutschen während des Weihnachtsfriedens 1914. Dokumente über den Weihnachtsfrieden im Forschungszentrum des Flandern Fields Museum in Ypern am 9. Dezember 2014.

Weihnachtslieder und Fußballspiele

Die ersten Lieder erklangen. Das Repertoire reichte den Berichten zufolge von der "Wacht am Rhein" und "Rule Britannia" bis zu "Oh Du fröhliche" oder "Still, still, still, weil's Kindlein schlafen will". Nach und nach kletterten Soldaten aus ihren Gräben auf das zuvor so heiß umkämpfte Niemandsland. "Stell Dir vor: Während du zuhause Deinen Truthahn gegessen hast, plauderte ich da draußen mit den Männern, die ich ein paar Stunden vorher noch zu töten versucht hatte", schreibt ein Augenzeuge beinahe ungläubig seiner Frau. Tauschgeschäfte fanden statt: Britischer Plumpudding wanderte in deutsche Hände, Zigaretten "made in Germany" zirkulierten auf der anderen Seite.

Hier und da kam es zu Fußballspielen auf dem Schlachtfeld. In der Nähe des französischen Dorfs Fromelles feierten die Soldaten einen gemeinsamen Gottesdienst . Im belgischen Diksmuide übergab ein preußischer Offizier den Belgiern eine Monstranz aus einer zerstörten Kirche. An den meisten Frontabschnitten war der Waffenstillstand aber bald schon wieder vorbei. Und die Heeresleitungen sorgten mit drakonischen Strafandrohungen dafür, dass sich derlei nicht mehr wiederholte.

Dass die Kunde von dem "merkwürdig menschlichen Ereignis" schnell aus dem kollektiven Bewusstsein schwand, obwohl daran mehr als 100.000 Soldaten beteiligt gewesen sein sollen, hatte laut Michael Jürgs, Autor von "Der kleine Frieden im Großen Krieg", vor allem einen Grund. Die Befehlshaber fürchteten um die Kampfmoral ihrer Truppen und versuchten, jede Verbrüderung mit dem Feind zu verhindern. Nach Ansicht des belgischen Historikers Dominiek Dendooven markierte der "Weihnachtsfrieden", der auf traditionelle Gefechtspausen in der Wintersaison zurückging, einen grundätzlichen Wendepunkt. "Der Erste Weltkrieg wurde sehr schnell zu einem 'totalen Krieg'. Und in einem totalen Krieg sind solche Waffenstillstände nicht mehr vorgesehen."

Von Joachim Heinz (KNA)

Bild: ©Jean-Claude Lother

Eintracht am Weihnachtsmorgen: Der schottische Offizier Gordon (Alex Ferns) mit dem deutschen Leutnant Horstmayer (Daniel Brühl) und dem französischen Leutnant Audebert (Guillaume Canet).

Film-Tipp: "Merry Christmas"

Die Geschichte des Weihnachtsfriedens von 1914 ist für mich eine der schönsten Episoden der europäischen Geschichte überhaupt. Sie ist außergewöhnlich, in gewisser Weise sogar romantisch – und sie regt zum Nachdenken an.

Von dieser wundersamen Verbrüderung der Frontsoldaten erzählt auch der Film "Merry Christmas". Held des Films ist der deutsche Operntenor Nikolaus Sprink (Benno Fürmann). Am Heiligen Abend fasst er sich im Schützengraben ein Herz, steigt schutzlos ins Niemandsland zwischen den Fronten – und singt für alle "Stille Nacht". Der Film zeigt daraufhin all jene kleinen Geschichten, die von 1914 überliefert sind: Das Fußballspiel, den gemeinsamen Gottesdienst, das Teilen von Tabak und Alkohol. Es sind herzergreifende Szenen der Bruderschaft zwischen Kriegsgegnern.

Dann ist Weihnachten vorbei und der Krieg muss weitergehen. Die Soldaten auf beiden Seiten werden zurück in die Schlacht geworfen und für den spontanen Waffenstillstand sogar noch bestraft. Für den Zuschauer endet der Film mit einem mulmigen Gefühl, das unserem Wissen um den Fortgang der Geschichte erwächst. Ende Dezember 1914 ist der Erste Weltkrieg noch jung, das größte Schrecken steht Europa erst noch bevor.

"Merry Christmas" ist für mich gerade deshalb einer der schönsten Weihnachtsfilme. Über knapp zwei Stunden bietet er gute Unterhaltung und bleibt dennoch nicht banal. Es ist keine Wohlfühl-Weihnachtsgeschichte, die da erzählt wird. Jesus Christus, der Sohn Gottes, kommt in die Welt und Feinde werden zu Brüdern – bevor sie sich wenige Stunden später wieder bekriegen. Und doch birgt diese Geschichte des Weihnachtsfriedens von 1914 für uns einen Funken Hoffnung. Denn heute, 100 Jahre nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs wissen wir, dass auch "Erbfeinde" einmal zu Brüdern werden können.

"Merry Christmas" finden Sie als Streaming-Angebot bei vielen Online-Filmverleihern oder als DVD bei Versandhändlern und im gut sortierten Einzelhandel. Sehr zu empfehlen ist auch der Soundtrack zum Film. Die Musik von Philippe Rombi wurde unter anderem eingesungen von Natalie Dessay und Rolando Villazon.

Von Kilian Martin