Mehr Misshandlungen bei den Domspatzen
"Die sexuellen Übergriffe reichten von Streicheln bis zu Vergewaltigungen", berichtete der Rechtsanwalt. Weber geht davon aus, dass die Dunkelziffer der misshandelten Kinder noch deutlich höher liegt. Er rechnet damit, dass etwa jeder Dritte der rund 2100 Vorschüler zwischen 1953 bis 1992 unter körperlicher Gewalt litt. Nach Webers Worten wusste auch Georg Ratzinger, Bruder des emeritierten Papstes Benedikt XVI. und langjähriger Leiter des Knabenchors, von den Misshandlungen.
Der Jurist sprach von einem "System der Angst", das über Jahrzehnte hinweg in der Vorschule der Domspatzen in Etterzhausen und Pielenhofen sowie im Internat in Regensburg geherrscht habe. Schüler seien mit Rohrstöcken und Siegelringen geschlagen worden, zudem mussten sie unter Zwang essen oder hätten keine Nahrung erhalten.
Kleiner Kreis von Priestern, Lehrern und Mitarbeitern
Die überwiegende Zahl der Beschuldigungen richtet sich nach seinen Angaben lediglich gegen einen kleinen Kreis von Priestern, Lehrern und weiteren Mitarbeitern. So betreffen die 216 Misshandlungsfälle in Etterzhausen und Pielenhofen zumeist nur fünf Personen. Nach 1992 lägen nur noch "vereinzelte Meldungen" über körperliche Gewalt und sexuellen Missbrauch vor, erläuterte der Rechtsanwalt, der vom Opferhilfeverein Weißer Ring benannt worden war. Die Vorschule wurde von 1953 bis 1992 von Johann Meier geleitet.
Zu den Folgen für die Betroffenen sagte Weber, es gebe Opfer, "die ihr Schicksal gut aufgearbeitet haben und an Aufklärung interessiert sind". Andere wollten dagegen nicht, dass das, was sie ihm offenbarten, an das Bistum weitergegeben oder gar öffentlich werde. Viele hätten den Wunsch, "anerkannt zu werden" und jemanden zu treffen, der ihnen zuhöre.
Webers Zahlen sind damit deutlich höher sind als diejenigen, die das Bistum Regensburg im Zuge seiner eigenen Nachforschungen vor rund einem Jahr öffentlich gemacht hatte. Im vergangenen Februar hatte das Bistum mitgeteilt, dass Berichte von 72 früheren Mitgliedern des weltberühmten Chors aus den Jahren 1953 bis 1992 vorlägen, die so schwer geschlagen worden seien, dass von Körperverletzung auszugehen sei. Die Kirche hatte zudem angekündigt, jedem von ihnen eine Entschädigung von 2500 Euro zu zahlen. Im Sommer 2015 hatte Weber selbst Berichte über höhere Opferzahlen noch dementiert.
Das Bistum Regensburg bittet unterdessen um Verständnis dafür, dass es zu diesem Zwischenbericht nicht weiter Stellung nimmt. "Bis zum Abschlussbericht sollen Gespräche mit Betroffenen und deren Vertretern stattfinden", heißt es in einem Statement, das katholisch.de vorliegt. Diesen Gesprächen wolle man nicht durch öffentliche Äußerungen vorgreifen.
Domspatzen sind Deutschlands ältester Knabenchor
Die Regensburger Domspatzen sind Deutschlands ältester Knabenchor und einer der berühmtesten Chöre der Welt. Die reisefreudigen Singknaben der Kathedrale zu St. Peter feierten 1976 ihr 1000-jähriges Bestehen. Die Knaben und jungen Männer haben schon vor Papst Benedikt XVI. gesungen. Sein Bruder Georg leitete den Chor von 1964 bis 1994. Hinter dem traditionsreichen Namen verbirgt sich eine Institution aus drei Säulen: Chor, Schule und Internat.
Zu den Aufgaben des Chors gehört vor allem die Gestaltung der Gottesdienste im Dom. Die "Spatzen" unternehmen aber auch Konzertreisen in alle Welt und sind durch zahlreiche Einspielungen bekannt. Die schulische Ausbildung der Domspatzen erfolgt in einer Grundschule und einem Musischen Gymnasium, denen jeweils ein Internat und eine Tagesbetreuung angegliedert sind. (bod/dpa/KNA)
08.01.2015, 11 Uhr: Zahlen präzisiert, Quelle nun der Zwischenbericht statt die "Süddeutsche Zeitung"
08.01.2015, 12 Uhr: Weitere Details ergänzt
08.01.2015, 12.30 Uhr: ergänzt um ein Statement des Bistums Regensburg