Von der Sensation zur Tradition
Der erste Synagogenbesuch von Johannes Paul II. am 13. April 1986 war eine Sensation, ein historisches Ereignis, ein Höhepunkt in seinem an Premieren reichen Pontifikat. Johannes Paul II. besiegelte mit dieser bewegenden Geste den Richtungswechsel und Neuanfang des Konzils. Der Papst aus Polen, der seit Kindheitstagen Kontakte mit jüdischen Freunden pflegte, brach das Eis. Nach Jahrhunderten von Dissonanz, Kontroversen und Verfolgungen hatte die Kirche in der Konzilserklärung "Nostra Aetate" von 1965 ihr gemeinsames Erbe mit dem Judentum hervorgehoben. Sie strich alle antijüdischen Positionen aus Lehre und Liturgie, zog den pauschalen Vorwurf des "Gottesmordes" zurück und leitete den interreligiösen Dialog ein. Ausdrücklich beklagte sie jeden Antisemitismus und bezeichnete die Millionen Opfer des Holocaust als ewige Mahnung für die Menschheit.
Startschuss für katholisch-jüdischen Dialog
Seither hat sich im katholisch-jüdischen Verhältnis viel getan: Regelmäßige Dialogrunden, Verlautbarungen, Austausch und gemeinsame Initiativen. 1994 nahmen der Vatikan und Israel volle diplomatische Beziehungen auf, was Rom bis dahin aufgrund der ungeklärten politischen Situation in der Region abgelehnt hatte. 1998 veröffentlichte der Vatikan die vielbeachtete Erklärung "Wir erinnern: Eine Reflexion über die Schoah". Darin verurteilte er jede Form von Antisemitismus, beklagte Versäumnisse auch von Katholiken, verwies aber auch auf die Hilfe vieler Christen darunter namentlich Papst Pius XII. für jüdische Mitbürger.
Der römische Synagogenbesuch von Benedikt XVI. am 17. Januar 2010 stand in der Kontinuität des Dialogs und der Neuordnung der katholisch-jüdischen Beziehungen. Im Vorfeld sorgten der Streit um die Karfreitagsfürbitte und die Zuerkennung des "heroischen Tugendgrades" für Pius XII. für Missstimmungen. Dennoch wurde der Besuch zu einem neuen Brückenschlag über den Tiber, zu einer Festigung von Dialog und Freundschaft.
Für Franziskus ist das Treffen in der 111 Jahre alten Hauptsynagoge Roms beinahe eine Selbstverständlichkeit. Schon seine Biografie belegt enge Kontakte zur jüdischen Gemeinde in Buenos Aires, mit regelmäßigen Besuchen und festen Freundschaften. Mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka gab er ein gemeinsames Interviewbuch heraus. Und bei der Jerusalemreise 2014 lud Franziskus ihn in sein unmittelbares Gefolge ein.
"Altere Brüder" oder "Väter im Glauben"
In diesem Kontext dürfte der Synagogenbesuch ein freundliches Fest mit ernsten Erinnerungen und entschiedenen Zukunftsperspektiven sein. Wie Johannes Paul II. benutzt Franziskus den Begriff der "älteren Brüder", während Benedikt XVI. die Juden lieber als "Väter im Glauben" bezeichnete. Franziskus dürfte die jüdischen Wurzeln des Christentums unterstreichen. Er wird deutlich machen, dass beide Religionen unwiderruflich aufeinander angewiesen seien. Sicher wird er jede Form von Antisemitismus verurteilen und als ewige Mahnung die sechs Millionen Opfer der Schoah hervorheben. Dabei wird er wohl auch an die Deportationen von 2.091 römischen Gemeindemitgliedern durch die SS im Jahr 1943 erinnern, von denen nur wenige überlebten.
Gespannt darf man auf die Einlassungen des Papstes zum Land Israel sein, dessen religiöse Dimension Vatikan und Juden unterschiedlich beurteilen. Ganz sicher aber wird Franziskus seinen Synagogenbesuch zu einem Appell für Frieden im Heiligen Land nutzen. Und mit dieser dritten Visite des römischen Bischofs bei der jüdischen Gemeinde seiner Stadt dürften päpstliche Synagogenbesuche der Redensart nach nun zur festen Tradition werden.