Wo jüdischer Terror geboren wird
Nur wenige Kilometer entfernt liegt die palästinensische Ortschaft Duma. Bei einem Brandanschlag radikaler jüdischer Siedler auf die Dawabscheh-Familie kam dort vor einem halben Jahr ein 18 Monate alter Palästinenserjunge zu Tode. Seine Eltern starben später an ihren schweren Verletzungen. Überlebt hat nur ein vierjähriger Bruder - der allerdings das Krankenhaus bis heute nicht verlassen hat. Der 21-jährige jüdische Hauptverdächtige, der jetzt gemeinsam mit einem Minderjährigen wegen Mordes vor Gericht steht, hat in einem anderen Außenposten ganz in der Nähe von Esch Kodesch gelebt. Amiram Ben Uliel, Sohn eines Rabbiners, gehört zu der sogenannten jüdischen "Hügeljugend", die für zahlreiche Anschläge auf Palästinenser und deren Besitz, aber auch auf christliche Einrichtungen verantwortlich gemacht wird.
Laut Anklageschrift sind sie Mitglieder einer jüdischen Terrororganisation, die mit tödlichen Anschlägen den Nahost-Konflikt anheizen und Angst unter der nicht-jüdischen Bevölkerung säen wollte. Der Duma-Anschlag war auch Rache für den Mord an Malachi Rosenfeld im Vormonat. Der junge Mann war am 29. Juni mit drei Freunden auf dem Rückweg von einem Basketballspiel, als palästinensische Angreifer nördlich von Jerusalem das Feuer auf ihr Fahrzeug eröffneten.
"Das Auto war von Kugeln durchlöchert."
Siedlersprecher Katzof, Mitglied eines örtlichen Sicherheitsteams, war damals einer der Ersten am Tatort. "Es ist nur zwei Minuten entfernt von hier passiert. Das Auto war von Kugeln durchlöchert." Die Verbitterung steht ihm ins Gesicht geschrieben. Gleichzeitig weist er jegliche Verbindung zu dem schockierenden Rachemord an der Palästinenserfamilie weit von sich. "Ich will nicht darüber sprechen, ich will es noch nicht einmal kommentieren - es hat nichts mit mir zu tun", sagt der Vater von fünf Kindern und zieht sich seine Schirmmütze tief über die Augen. Er ist in Kalifornien aufgewachsen, nach seiner Einwanderung nach Israel wohnte er zunächst einige Jahre in Tel Aviv. Seit fünf Jahren lebt er in dem Siedlungsaußenposten - als Grund nennt er "bessere Lebensqualität". "In Tel Aviv habe ich 5000 Schekel (1200 Euro) Miete gezahlt, hier bekommt man für weniger als 1000 Schekel (240 Euro) einen Wohnwagen."
Der Name Esch Kodesch bedeutet "heiliges Feuer". Der 1999 gegründete Ort ist benannt nach dem Israeli Esch Kodesch Gilmore, der bei einem palästinensischen Anschlag getötet worden war. Auf dem Hügel gegenüber liegt der palästinensische Ort Kusra. In den letzten Jahren gab es immer wieder Berichte über Reibereien zwischen den Einwohnern von Esch Kodesch und von Kusra.
Der Anschlag dokumentiert die Radikalisierung der Jugend
Seit dem Duma-Fall ist die Gewalt im Westjordanland weiter eskaliert. Die Tat ist ein Zeichen für eine zunehmende Radikalisierung von Teilen der Siedlerjugend. Israel hat danach auch jüdische Siedler in sogenannte Administrativhaft genommen. Unter den Festgenommenen ist auch der "Top-Extremist" Meir Ettinger, Enkel des 1990 in New York ermordeten rechtsextremen Rabbiners Meir Kahane. Die Administrativhaft, die ohne offizielle Anklage verhängt werden kann, war zuvor vor allem gegen Palästinenser eingesetzt worden.
Der israelische Historiker Professor Kimmy Caplan erklärt zu den Ursachen der Radikalisierung, in Israel und den besetzten Palästinensergebieten herrsche "andauernd eine gewalttätige Atmosphäre". "Wenn Menschen von Kindesbeinen an in so einer Situation aufwachsen, hat das verständlicherweise keinen guten Einfluss." Dies betreffe Juden und Palästinenser gleichermaßen, sagt er - auch mit Blick auf die seit mehr als drei Monaten andauernde Gewaltwelle und fast tägliche Messerattacken junger Palästinenser auf Israelis.
Fundamentalisten, Zionisten und eine messianische Idee
Gewalttätige Mitglieder der "Hügeljugend" seien eine fundamentalistische "kleine Splittergruppe innerhalb des religiösen Zionismus" mit messianischen Ideen, erklärt Caplan. "Sie glauben, dass sie die Ankunft des Messias mit Gewalttaten beschleunigen." Diese Randgruppen würden von bestimmten radikalen Rabbinern bestärkt. Es handelt sich allerdings um eine isolierte Gruppierung mit mehreren hundert Mitgliedern, deren Taten von der Mehrheit der mehr als einer halben Million Siedler im Westjordanland und Ost-Jerusalem eindeutig verurteilt wird.
Die Gewalttäter sind eine Minderheit, aber sie haben Anhänger. Dies beweist ein Video von der sogenannten "Hass-Hochzeit", das zuletzt für Empörung gesorgt hat. Es zeigt religiöse Juden, die zu einem "Rache-Lied" mit Waffen tanzen, einer sticht immer wieder auf ein Bild des in Duma getöteten Palästinenserjungen ein. Die Polizei hat inzwischen mehrere Teilnehmer festgenommen.
Linktipp: Rivlin: Nahost-Konflikt ist kein Religionskrieg
Vor Kirchenoberhäuptern hat Israels Präsident Rivlin zum Dialog der Religionen aufgerufen. Der Nahost-Konflikt drehe sich um Hass, nicht um den Glauben. Zugleich würdigte er den Einsatz von Papst Franziskus für gute Beziehungen zum Judentum."Das ist nicht neu, dieses Rachelied kann man seit Jahren auf Hochzeiten und religiösen Feiern hören", sagt Caplan. "Dies sind Prozesse, die nicht über Nacht passieren." Für viele seien die Duma-Täter "Helden, die den Kopf für die anderen hinhalten". Der Rechtsanwalt des Hauptverdächtigen warf dem israelischen Inlandsgeheimdienst Schin Bet vor, mit Folter ein Geständnis erpresst zu haben.
In Esch Kodesch findet man keinen Gesprächspartner, der sich offen mit dem Duma-Anschlag identifizieren würde. "Es ist eine traurige, schmerzhafte Geschichte", sagt die 23-jährige Hadasa Bitty zu dem Brandanschlag. "Aber sie hat mit mir nichts zu tun." Die Ehefrau eines Berufssoldaten und Mutter einer einjährigen Tochter lebt seit einem halben Jahr in dem Außenposten.
Die jüdische Bibel ist das Gesetz der Siedler
Auch die 33-jährige Zipora Aloni blendet die schwierige Situation mit den palästinensischen Nachbarn weitgehend aus. "Ich interessiere mich nicht für Politik, sie hat für mich keine Bedeutung", sagt die schwangere Zirkusakrobatin, die Kinder in der ganzen Umgebung unterrichtet. Die Mutter von zwei Kindern sieht den Außenposten als Teil von Israel, obwohl er in den Palästinensergebieten liegt. "Ich habe meine eigenen Gesetze, ich habe die Bibel, ich bin Jüdin und ich halte mich daran", antwortet sie auf die Frage nach internationalen Gesetzen, die eine Besiedlung besetzter Gebiete verbieten. Gewalt lehnt sie jedoch ab. "Ich glaube an Respekt für jedes Wesen - niemand sollte erstochen werden und niemand verbrannt. Alle sollten sich kontrollieren und nett zueinander sein."
Sahava Galon von der linksliberalen israelischen Merez-Partei sieht Außenposten wie Esch Kodesch als "Brutstätte jüdischen Terrors" und fordert ihre konsequente Räumung. Viele der radikalisierten jungen Siedler seien enttäuscht von der älteren Generation, die sie als zu weich ansähen, erklärt Dov Berkowitz. Er ist ein Rabbiner der Siedlung Schilo, zu der Esch Kodesch gehört. "Viele von ihnen sind Schulabbrecher." Auch die Wut über die Zwangsräumung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen vor mehr als einem Jahrzehnt habe zu ihrer Entfremdung beigetragen.
Terror ist "nicht der jüdische Weg"
Es sei nun die Verantwortung des national-religiösen Establishments, sie wieder auf den rechten Pfad zu bringen, meint der Rabbiner. Gewalt gegen Palästinenser sei auf jeden Fall "nicht der jüdische Weg". "Der Anschlag von Duma ist ein fundamentaler Verstoß gegen alles, was uns dieses Buch lehrt", sagt er mit Nachdruck und zeigt auf eine Bibel, die vor ihm auf dem Tisch liegt.