So denkt Benedikt XVI. über das Priesteramt
Frage: Herr Schaller, welche Sicht auf das Priestertum zeigt sich in den Schriften Joseph Ratzingers?
Schaller: Für ihn steht der Dienst- und Verkündigungscharakter im Mittelpunkt. Das zeigen ganz deutlich seine Texte zu Priestertum, Weihe und Fragen der Ordination. Ratzinger versteht den Priester als Zeugen Jesu Christi, der mit Wort und Tat verkündet, dabei aber nicht eitel oder selbstherrlich ist, sondern sich hinter die Sache zurückstellt. Priester zu sein bedeutet für Joseph Ratzinger, die eigene Existenz ganz Gott zu überantworten. Das hat er auch als Papst so verstanden. In den ersten Worten nach seiner Wahl bezeichnete er sich auf der Loggia des Petersdoms als "einfachen und bescheidenen Arbeiter im Weinberg des Herrn": Er gab sich Gott voll und ganz hin und fand gerade darin die Größe und Freiheit für das Amt als Papst.
Frage: Das Institut Benedikt XVI. kümmert sich um die Herausgabe des Gesamtwerks Ratzingers. Hat er zur Zeit seiner Priesterweihe überhaupt schon wissenschaftliche Texte veröffentlicht?
Schaller: Die Doktorarbeit über den Kirchenbegriff des Heiligen Augustinus war schon in Arbeit und wurde 1951 abgeschlossen. Eine erste Drucklegung erfolgte dann 1954. Und nur drei Jahre später, 1957 folgte seine Habilitation über Aspekte der Theologie des Heiligen Bonaventura. Beides sind Texte, die ihn als Fundamentaltheologen und Priester bis heute prägen: Er hat immer die grundlegenden Dinge hinterfragt, die den Menschen in seiner Beziehung zu Gott betreffen. In seiner Habilitation geht es zum Beispiel um den Offenbarungsbegriff: Ist es überhaupt möglich, dass Gott in Kontakt mit den Menschen tritt und in der Geschichte wirkt? Und wie kann der Mensch in seiner historischen Situation darauf antworten?
Frage: Es gibt die Anekdote, seine Habilitation sei zunächst gar nicht angenommen worden…
Schaller: Tatsächlich wurde seine Arbeit zunächst von einem der beiden Gutachter nicht angenommen, dem Dogmatiker Michael Schmaus. Es liegt nahe, dass die beiden eine methodische Auseinandersetzung hatten. Ratzinger hat seine Schrift dann überarbeitet und nur einen Teil als Habilitationsarbeit eingereicht, die dann auch angenommen wurde.
Frage: Wie sehr hat das Priestersein Joseph Ratzinger überhaupt geprägt? Hat er als junger Wissenschaftler damit vielleicht ein wenig gefremdelt?
Schaller: (lacht) Nein, das glaube ich nicht. Wenn jemand wie die Familie Ratzinger voll vom katholischen Denken, Fühlen und Leben geprägt ist, dann ist die Pastoral nichts Fremdes. Joseph Ratzinger ist in das kirchlich-katholische Umfeld hineingewachsen - der sonntägliche Kirchgang, das Gebet in der Familie, die Feier des Kirchenjahres waren Selbstverständlichkeiten. In seinen Anfängen als Priester war er Kaplan in München und auch später als Erzbischof unmittelbar mit den Problemen der Pastoral konfrontiert. Zudem sieht er Wissenschaft und Priestersein nicht getrennt. Theologie ist für ihn Bestandteil des priesterlichen Verkündigungsdienstes.
Frage: Sie haben immer wieder persönlich Kontakt zu Benedikt XVI., fahren auch kommende Woche zum Festakt nach Rom. Wie geht es ihm?
Schaller: Er ist natürlich etwas schwächer geworden ist, aber in seiner Regheit, seinem Erinnerungsvermögen und der geistigen Flexibilität immer noch erstaunlich brillant. Jede Begegnung ist aber auch immer ein persönlicher Gewinn. Ich bin immer angetan und berührt von der Herzlichkeit, die er ausstrahlt. Zu seinem 65-jährigen Priesterjubiläum wird er sich sicher an vieles noch einmal erinnern, für vieles dankbar sein – so wie wahrscheinlich jeder, der in einem solchen Alter auf eine große Etappe seines Leben zurückblickt.
Frage: Was wird im Jahr 2041, also 100 Jahre nach der Priesterweihe, vom wissenschaftlichen Werk Benedikt XVI. geblieben sein?
Schaller: Das wird sich erst zeigen. Erst, wenn wir die Edition seiner gesammelten Schriften abgeschlossen haben, gibt es einen Überblick über das gesamte Werk. Erst dann werden sich die Dimensionen zeigen, die Architektur dieser Theologie, die Themenvielfalt, aber auch der kritische Disput, den Benedikt XVI. stets gesucht hat. Erst dann kann die unvoreingenommene wissenschaftliche Auseinandersetzung ganz beginnen. Was aber ganz sicher herausstechen wird, ist die Größenordnung seines Schaffens. Es ist schon erstaunlich, was da in sechs Jahrzehnten entstanden ist. Auch die Intensität der theologischen Auseinandersetzung wird jedem, der Ratzinger liest, begegnen und die Sprachgewalt, die fast lyrische Züge hat. Eine ganz spezifische Stärke Joseph Ratzingers ist es, Theologie in schönen Worten zu vermitteln, die jeder versteht. Insofern bin ich sicher, dass seine Theologie immer wieder Ausgangspunkt sein wird für ein Weiterdenken der großen Fragen, die wir uns alle stellen.
Frage: Wo zeigt sich das?
Schaller: Ein großes Beispiel ist die "Einführung in das Christentum" über das Glaubensbekenntnis, die Grundlagen unseres Glaubens. Das Buch ist den 60er Jahren auf der Basis einer Vorlesung entstanden, die für alle Fakultäten offen war. Es ist in fast 30 Sprachen übersetzt worden und noch heute ein Klassiker der Theologie. Auch solche, die dem Glauben ferner stehen, werden dort sicher etwas finden, das sie anspricht. Besser verstehen, was es heißt "ich glaube".
Frage: Inzwischen ist Benedikt XVI. selbst Gegenstand der Forschung geworden. Ist das nicht sehr ungewöhnlich?
Schaller: Es ist ein Glücksfall – sowohl für Benedikt XVI., der noch erleben darf, dass es eine Rezeption seines Werkes gibt, die in Zukunft sicher noch stark zunehmen wird. Ich bin schon jetzt sehr dankbar, dass auf allen Kontinenten Studenten und Doktoranden sich mit Joseph Ratzinger beschäftigen. Derzeit ist ein Gast im Institut aus Boston, der über die Gottesfrage bei Benedikt XVI. seine Dissertation schreibt, um nur ein Beispiel dafür zu benennen. Und auch für mich als Herausgeber seiner Werke ist es ein großer Vorteil, weil der Autor noch lebt und ich mich bei Fragen der Konzeption und der Gliederung an ihn wenden kann. Keiner kennt sein Werk besser als der Autor selbst.