Ein christliches "4G-Netz" auf dem Altöttinger Kapellplatz
Auf dem Altöttinger Kapellplatz gibt es an diesem ersten August-Wochenende besonders gutes 4G-Mobilfunknetz. Dennoch entdeckt man wenige Menschen, die den guten Empfang nutzen und über den Handybildschirm gebeugt ihr virtuelles soziales Netzwerk pflegen. Stattdessen füllen mehr als 1.300 junge und alte Menschen, kleine Kinder, Jugendliche, Familien und Priester den Platz. Sie begrüßen sich freudig, umarmen einander, singen gemeinsam und feiern die Messe unter freiem Himmel – es ist ein reales, menschliches Netzwerk, das sich in dem bayrischen Wallfahrtsort ausbreitet.
Das diesjährige 24. Open-Air-Glaubensfestival der Gemeinschaft Emmanuel bietet ein "4G-Netz", das aus den "vier Gs des Christseins" besteht: Gewollt, Geliebt, Gebraucht, Gerufen. Die vier Tage des Festivals beschäftigen sich jeweils mit einer dieser vier Eigenschaften eines Gotteskindes.
"Menschen aller Lebensstände und Lebensalter mit ihrem je persönlichen Hintergrund vereinen" – das ist eines der wichtigsten Ziele der katholischen, charismatischen Gemeinschaft, die seit ihrer Gründung in den 70er Jahren inzwischen in mehr als 67 Ländern tätig ist. Ein wesentliches Projekt, um dieses Ziel in die Tat umzusetzen, ist das jährliche Sommerforum in Altötting, und es scheint zu gelingen: Es gibt kaum eine Altersgruppe, die nicht anwesend und keine Lebenssituation, die nicht angesprochen wäre.
Kinder im Alter von drei bis zwölf Jahren nehmen an einem eigenen Kinderforum teil, Jugendliche im Alter von 13 bis 17 Jahren beschäftigen sich fernab von anstrengenden Eltern mit ihren eigenen Themen beim Teenie-Forum. Erwachsene können sich in diesem Jahr nach persönlichem Interesse zehn verschiedenen Themengruppen zuordnen. Zur Auswahl steht ein Projektchor, Themen wie Familie, Beziehung und Partnerschaft, ruhige Gebets- und Meditationsangebote genauso wie sportliche und kreative Workshops.
Ein "Mitmachforum"
"Ich brauche noch 44 Helfer für die Essensausgabe!", ruft Paula Ketteler von der Bühne. Schnell gehen mehr als 44 Hände in die Luft. Das Forum lebt vom Mitmachen, jeder Teilnehmer ist – passend zum diesjährigen Motto – gebraucht und gerufen. Martin Fenkart nennt das "Mosaik der Hilfsbereitschaft und Freiwilligkeit". Alte und junge Menschen, Frauen und Männer würden sich mit ihren individuellen Fähigkeiten für das Gelingen der Veranstaltung einsetzen, erklärt er. Er und seine Ehefrau Elisabeth sind für die diesjährige Organisation des Forums zuständig. Sie haben sich vor vielen Jahren selbst beim Forum kennengelernt und sind seit mehr als 20 Jahren Mitglieder der Gemeinschaft Emmanuel.
Das österreichische Ehepaar hat in den letzten Monaten gemeinsam mit einem großen Team von Ehrenamtlichen viele Stunden damit verbracht, das Programm der vier Forumstage zusammenzustellen. Trotz dieser zeitintensiven Aufgabe, die sie neben ihrem alltäglichen Berufs- und Familienleben auf sich genommen haben, wirkt das Ehepaar entspannt und gut gelaunt. "Natürlich ist die Vorbereitung einer so großen Veranstaltung anstrengend, aber mehr als alles andere ist sie sehr bereichernd. Wir haben alle die wunderbare Erfahrung gemacht, dass der Glaube uns trägt." Aus dieser Erfahrung entstehe die Bereitschaft sich für andere einzusetzen, erklärt die Mutter von vier Kindern.
Zur Gemeinschaft Emmanuel gehören neben Familien auch Priester und geweihte Schwestern. Für den 42-jährigen Priester Franziskus von Boeselager, der durch das Projekt "Valerie und der Priester" bekannt ist, macht gerade das bunte Mosaik von Menschen verschiedener Lebensstände das Charisma aus.
Als er die Gemeinschaft das erste Mal kennenlernte, war er fasziniert davon, dass sich Menschen in ganz unterschiedlichen Lebenssituationen auf Augenhöhe begegnen. Ehepaare mit ihren Kindern, Berufstätige, junge Erwachsene, Singles, Priester und geweihte Schwestern würden versuchen in ihrer konkreten Lebenssituation die "Emmanuel-Spiritualität" zu leben. Während er das erzählt, bittet ihn ein kleines Mädchen um Hilfe bei ihrer "Forumsrallye". Der Priester beugt sich zu ihr herunter und erklärt ihr den Namen seiner Gemeinschaft. "Emmanuel – das bedeutet Gott mit uns."
"Emmanuel – Gott mit uns"
Dieses "Gott mit uns", die Nähe Gottes zu den Menschen, ist die Erfahrung, die die Gemeinschaft Emmanuel prägt. Sie soll Quelle des geistlichen Lebens sein, aus der die ungefähr 11.500 Mitglieder schöpfen, um in ihrem normalen Alltag mit Gott in Verbindung zu sein. Dazu gehören zum Beispiel der regelmäßige Besuch der Messe, Gebetsformen von Lobpreis und Anbetung, geistlicher Austausch mit anderen Mitgliedern und das Engagement für Arme und Notleidende der Gesellschaft.
"In sogenannten Hausgemeinschaften versuchen wir uns wöchentlich zum Austausch und gemeinsamen Beten zu treffen. Das bedeutet in manchen Fällen eine einstündige Autofahrt", erzählt Matthias Petersen, der seit 1989 gemeinsam mit seiner Frau und drei Kindern in der Gemeinschaft Emmanuel ist. "Falls andere Mitglieder sehr weit entfernt wohnen, versuchen wir es telefonisch." Einmal im Monat gibt es dann ein Treffen, bei dem alle Mitglieder der Region zusammenkommen, sich austauschen, gemeinsam beten und musizieren.
Das größte jährliche Treffen ist für die Mitglieder in Deutschland das Forum in Altötting. Auch hier sind Gemeinschaft, Lobpreis und Anbetung zentrale Bestandteile. Eine große Band und viele Sänger übernehmen die musikalische Gestaltung des Festivals. "Es wäre schön, wenn wir immer so tolle Lieder in der Messe singen würden", flüstert die sechsjährige Aurelia nach einem pompösen "Gloria" in der Messe am Samstagmorgen ihrer Mutter zu. Sogar in der Schlange vor dem Essenszelt singt der Projektchor "Ihm sei die Ehre", um von hungrigen Mägen abzulenken.
Das sei "typisch Emmanuel", es gehe darum, eine ganz bewusst dankbare Haltung einzunehmen, so Boeselager. "Ich neige manchmal dazu, die Dinge schwarz zu malen und in meinen Sorgen zu versinken." In solchen Situationen helfe dem Priester der Lobpreis sehr. "Ich nehme dann meine Haltung als Kind Gottes ein, stelle die Dankbarkeit vor alle meine Ängste und Nöte und preise Gott für die guten Dinge in meinem Leben."
Während für die jüngeren Teilnehmer ein Auftritt der "Priest-Band" ihr Highlight des Forums ist, ist es für viele andere der traditionelle Barmherzigkeitsabend am Samstag. Nachdem am Nachmittag ein heftiges Gewitter den Kapellplatz überflutet, wird das Abendprogramm in die Basilika verlegt. Die Kirche ist in rötliches Licht getaucht, vor dem Allerheiligsten kann gebetet und eine Kerze entzündet werden, in den Seitenkapellen besteht die Möglichkeit zur Beichte, die von vielen Gläubigen genutzt wird.
Persönliche Zeugnisse
Viele kleine Kinder sind schon in den Armen ihrer Mütter und Väter eingeschlafen während der 19-jährige Conrad davon erzählt, wie er sich nach langen Jahren des Zweifels nach dem Tod seines Vaters wieder neu von Gott gewollt und geliebt fühlen durfte. Solche persönlichen Zeugnisse prägen das Forum und sollen anderen Gläubigen Inspiration geben. Ehepaare erzählen von starken Gotteserfahrungen in ihrem Familienleben, ein anderes "Fast-Ehepaar", das in zwei Wochen heiratet, erzählt von seiner Berufung in die Mission nach Afrika.
Die 20-jährige Alžběta berichtet von ihrem vergangenen Jahr auf der ESM, der "Emmanuel School of Mission". Die junge Tschechin hat neun Monate auf einer der weltweit sieben Evangelisationsschulen der Gemeinschaft verbracht, um dort "mehr über ihren Glauben, Jüngerschaft und Mission" zu erlernen, wie sie sagt. "Die Gemeinschaft schafft Orte der Anerkennung, wo jeder so sein darf, wie er ist. Von charismatisch bis gar nicht charismatisch, von jung bis alt." Das habe sie schon als kleines Kind beim Forum so erlebt und in ihrem letzten Jahr auf der ESM noch intensiver.
Am Sonntagmorgen feiert der vor wenigen Wochen zum Priester geweihte Gregor Schweizer die Abschlussmesse unter freiem Himmel. "Verliert nicht den Mut, wenn das 4G-Netz jetzt vielleicht abbrechen sollte, sobald ihr diese Stadt verlasst. Dort, wo ihr hingeht, seid ihr gewollt, geliebt, gebraucht und gerufen. An eurem Arbeitsplatz, in Schulen und Universitäten, in der Familie und in eurer eigenen Stadt. Wir müssen unser gutes Netz ausbreiten", verabschiedet der junge Priester der Gemeinschaft Emmanuel alle Teilnehmer und sendet sie zurück in ihre Heimatorte. Durch die Reihen gehen bunte Flyer, die zum 25. Forum der Gemeinschaft Emmanuel im nächsten Jahr einladen.