Serie: Propheten im Alten Testament

Nahum: Mit Gewalt zum Frieden?

Veröffentlicht am 30.11.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Im Buch Nahum geht es vor allem um die assyrische Stadt Ninive. Es handelt von einer Zeit, in der die assyrische Armee wegen ihrer Grausamkeit bekannt war. Letztendlich geht es aber um die Zukunft des Volkes Israel.

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Außer seinem Namen und seinem heute nicht mehr lokalisierbaren Geburtsort ist über Nahum aus Elkosch nichts Weiteres bekannt. Der Prophet tritt scheinbar völlig hinter die Botschaft seines Buches zurück, das dem hebräischen Namen seines Autors gerecht wird: Es ist "trostreich" – und verkündet einen Gott, der für Leichenberge verantwortlich ist und seine Feinde mit Kot bewirft (Nahum 3,3.6). Die Unheilsansagen gegen das Großreich Assyrien sind eine frohe Botschaft für das kleine Königreich Juda und das Volk Israel.

Gott ist barmherzig, aber – das betont das Buch Nahum – das bedeutet auch, dass Gott um seiner Gerechtigkeit willen Vergeltung übt und sein Zorn entbrennt, um seine Feinde zu bestrafen. Dies verdeutlichen bereits die ersten Worte des Buches: "Ein eifernder Gott, der Vergeltung übt, ist der HERR. Vergeltung übt der HERR und ist voll Zorn. Der HERR übt Rache an seinen Gegnern und hält fest am Zorn gegen seine Feinde." (Nahum 1,2). Assyrien werde vom Schwert gefressen werden. Die damalige Hauptstadt Ninive, die in der Nähe des heutige Mossul im Norden Iraks lag, wird als Prostituierte beschrieben, die öffentlich entblößt werden wird. Dem übermächtigen Feind werden unheilbare Wunden zugefügt werden. Die Gewaltsprache des Buches Nahum ist eine Reaktion auf die Grausamkeit der Assyrer und antwortet in der Sprache der assyrischen Propaganda auf die Übermacht des Großreiches.

Assyrische Armee war die Geißel des Alten Orients

Dem Staatsgott Aššur war der assyrische König als oberster Heerführer unterstellt. Bei der Thronbesteigung musste sich der Monarch ihm gegenüber verpflichten das Reichsgebiet zu vergrößern. Jährlich musste im sogenannten Gottesbrief dem Staatsgott Aššur ein ausführlicher Bericht über die königlichen Kriege und Eroberungen vorgelegt werden. Die unterworfenen Völker wurden mit den Mitteln brutalster Abschreckung unterdrückt. Als Rechtfertigung der Unterdrückung erklärte die assyrische Propaganda, dass die Götter der Fremdvölker Aššur angerufen hätten, damit er ihre Völker bestrafe. Die assyrischen Armeen waren aufgrund ihrer sprichwörtlichen Grausamkeit die Geißel des Alten Orients, wie es in der abschließenden Frage des Buches Nahum an die Stadt Ninive deutlich wird: "… wen traf nicht deine Schlechtigkeit zu jeder Zeit?" (Nahum 3,19).

Der Prophet Nahum vor den einstürzenden Mauern der Stadt Ninive
Bild: ©picture alliance/akg-images/Jean-Claude Varga

In der Initiale O. einer lateinischen Bibel ist der Prophet Nahum vor den einstürzenden Mauern der Stadt Ninive zu sehen. Buchmalerei aus dem 13. Jahrhundert.

Unter dem assyrischen König Adadnirari I. (1295-1263 v.Chr.) begann Assyrien seine offensiven Expansionskriege und wurde zum ersten Großreich der Weltgeschichte, das sich in der Zeit als das Buch Nahum vielleicht geschrieben wurde, von Ägypten bis in den Iran erstreckte. In Nahum 3,10 wird auf die Niederlage der als uneinnehmbar geltenden ägyptischen Stadt Theben durch die Assyrer verwiesen. Somit ist das Buch nach 664 v.Chr. geschrieben worden. Die sogenannte Herausforderungsformel, "Siehe, ich [Gott] gehe gegen dich [Ninive] vor" (Nahum 2,14, 3,5) könnte darauf hinweisen, dass die Unheils-Ansagen gegen Assyrien vor der Zerstörung Ninives durch die Meder und Babylonier im Jahr 612 v.Chr. niedergeschrieben wurden. 722 v.Chr. eroberte der assyrische König Sargon II das Nordreich Israels und 701 v.Chr. belagerte sein Nachfolger Sanherib die Hauptstadt Judas. Jerusalem fiel zwar nicht, aber das Königreich bewahrte sich die Eigenstaatlichkeit nur als assyrischer Vasallenstaat.

In diesem geschichtlichen Kontext richtete sich der Prophet Nahum gegen die Unterdrückung durch Assyrien und gegen das Ohnmachtsgefühl innerhalb des Volkes. Der Hauptteil des Buches schildert den bevorstehenden Untergang Assyriens (Nahum 2,4-3,19). Darin spiegelt sich die Grausamkeit des Großreiches wieder und die Zerstörung dessen Hauptstadt Ninives wird in militärischer Sprache vorausgesehen. Die Vergeltung findet ihren radikalsten Ausdruck im Bild der öffentlichen, durch Gott vollzogenen Entehrung der weiblich personifizierten, als Hure titulierten Stadt Ninive (Nahum 3,4-7). Die Vision der Zerstörung Ninives ist in drei Gerichtsworte gegliedert, die jeweils in Spott enden (Nahum 2,12f.; 3,7; 3,18f.).

Rubrik: Unsere Bibel

Im Grunde ist schnell erklärt, was die Bibel ist: Die anerkannten Schriften von der Erschaffung der Welt bis zur Entstehung der ersten christlichen Gemeinden. Allerdings greift die Erklärung zu kurz. Informationen über einzelne Bücher des Neuen und Alten Testaments sowie über die Bibel allgemein gibt es in der Rubrik "Unsere Bibel".

Die eigentliche Botschaft des Buches betrifft aber nicht Assyrien und Ninive. Sondern der einleitende Psalm (Nahum 1,2-8) und der folgende Trostspruch (Nahum 1,9-2,1) verkünden, dass sich am Untergang des Großreiches die Geschichtsmächtigkeit Gottes beweisen wird: "… in reißender Flut macht er [Gott] seinen Gegnern ein Ende und Finsternis verfolgt seine Feinde" (Nahum 1,8). Diese Worte stellen für die israelitischen und heutigen Leser und Leserinnen klar, dass alle Feinde Gottes, egal welchem Volk sie angehören, sich vor seiner Vergeltung fürchten müssen. Im Falle Assyrien ist diese Gewissheit eine Freudenbotschaft für das Königreich Juda: "Seht auf den Bergen die Schritte des Freudenboten! Er verkündet Frieden! Juda, feiere deine Feste, erfülle deine Gelübde! Denn der Unheilsstifter durchstreift dein Land nicht mehr; er ist völlig vernichtet." (Nahum 2,1).

Die Vergeltung Gottes ist im Buch Nahum keine rechtlose Rache, sondern eine Form der Schaffung von Recht. Die Gerechtigkeit Gottes erweist sich gegenüber den Feinden Gottes als Vergeltung, während sie Hilfe und Rettung für die Unterdrückten bedeutet. Nahum legt stellvertretend für die Erniedrigten und Entrechteten das Recht auf Gewalt vollständig in die Hände Gottes und verkündet somit den menschlichen Gewaltverzicht. Er glaubt an keinen Gott der Gewalt, sondern einen mächtigen Gott, der die menschliche Gewalt beendet. Zu diesem Glauben fordert er in seinem Buch auf und provokant wendet er sich gegen den Zweifel der Leser und Leserinnen: "Was plant ihr gegen den HERRN? [oder: Was denkt ihr denn über JHWH?] Er macht doch ein Ende. Es soll nicht wieder Not aufkommen." (Nahum 1,9)

Von Till Magnus Steiner