Schwangerenkonfliktberatung: Als Rom Stopp sagte
Die katholische Kirche in Deutschland stand vor einer Zerreißprobe: Vor 20 Jahren, am 11. Januar 1998, forderte Papst Johannes Paul II. die deutschen Bischöfe erstmals ausdrücklich auf, in der kirchlichen Schwangerenkonfliktberatung keine Beratungsscheine mehr auszustellen.
Ein Konflikt über Jahre
Im Kampf für das ungeborene Leben müsse die Kirche klaren Kurs halten, mahnte das Kirchenoberhaupt die Bischöfe. Der gesetzlich geforderte Beratungsschein habe eine "Schlüsselfunktion für die Durchführung straffreier Abtreibungen". Das Zeugnis der Kirche werde verdunkelt.
Zermürbender Streit, intensive Verhandlungen: Der Konflikt um die Konfliktberatung wogte über Jahre hin und her. Schon seit der Neuregelung der Abtreibungsregelung Mitte der 1970er Jahre arbeiteten katholische Beratungseinrichtungen im Zwiespalt: Sollten sie Schwangere vom Wert des ungeborenen Lebens zu überzeugen versuchen, auch wenn sie durch die Einbindung in das staatliche System vielleicht mitschuldig würden an Abtreibungen?
Viele Bischöfe, Laien sowie Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SkF) kämpften dafür, dass die rund 270 katholischen Beratungsstellen innerhalb des staatlichen Systems Ansprechpartner für Frauen bleiben konnten. Die Glaubenskongregation im Vatikan signalisierte Bedenken - gab aber lange keine konkrete Linie vor.
Schon 1993 allerdings verfügte der Fuldaer Erzbischof Johannes Dyba den Ausstieg seines Bistums. Er und der Kölner Kardinal Joachim Meisner galten fortan zusammen mit dem Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Joseph Ratzinger, als schärfste Kritiker des Beratungsscheins. Die Situation spitzte sich zu, als der Bundestag in der Folge der deutschen Einheit 1995 eine Fristenlösung mit Beratungspflicht einführte. Spätestens mit dem Papstbrief vom 11. Januar 1998 wurde dann klar, dass Rom Stopp sagte.
Immer wieder reisten Bischöfe in den Vatikan, formulierten Alternativen zum Beratungsschein. Die Beratung verhindere im Jahr 5.000 bis 6.000 Abtreibungen, argumentierten sie. Denn ohne Aussicht auf einen "Schein" würden viele Frauen kirchliche Beratungsstellen gar nicht mehr aufsuchen.
Vergeblich. Am 23. November 1999 verkündete der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, dass die katholische Beratung auf Wunsch des Papstes neu geordnet werde. Schon Anfang 2000 stellten die ersten Bistümer keine Beratungsscheine mehr aus. Widerstand leistete lange der Limburger Bischof Franz Kamphaus: "Nach meinen Erfahrungen werden jetzt Lebenschancen für Kinder vergeben. Darum kann ich nicht verschweigen, dass mich die Verfügung des Papstes sehr schmerzt." Im März 2002 beendete der Papst den Alleingang des Bischofs, beließ ihn aber im Amt.
Seit dieser Zeit haben die Bistümer die Arbeit der Beratungsstellen neu geordnet und teilweise sogar ausgeweitet - ohne aber den Beratungsschein auszustellen. Zusätzlich wurden Stiftungen gegründet, die Hilfen für Mutter und Kind anbieten. 2016 kamen mehr als 122.000 Ratsuchende in die 274 Beratungsstellen von Caritas und SkF. Ein Zuwachs von 19 Prozent gegenüber 2014 - der vor allem auf die Flüchtlinge zurückgeht. Über 50 Prozent hatten einen Migrationshintergrund. Die Zahl der Ratsuchenden, die sich im existenziellen Schwangerschaftskonflikt befanden, betrug allerdings nur 755. Das waren 0,6 Prozent.
Linktipp: Maxime Lebensschutz
Ein Kommentar von Felix Neumann über die Schwangerschaftskonfliktberatung.Den Beratungsschein stellt allerdings weiterhin der Verein "Donum Vitae" weiter aus, den prominente Katholiken im September 1999 gründeten. "Donum Vitae" berät Frauen innerhalb des staatlichen Systems auf der Grundlage des Beratungs- und Hilfeplans, den die Bischöfe im Frühjahr 1999 verabschiedet hatten.
"Schwer erträglicher Rigorismus"
Die Entscheidung zum Ausstieg stieß auch bei Politikern auf Kritik, die das Engagement der Kirche mitgetragen hatten, darunter Kanzler Helmut Kohl (CDU). Bei der früheren Gesundheitsministerin Rita Süssmuth (CDU) wirkt der Konflikt noch bis heute nach: Sie habe damals einen schwer erträglichen Rigorismus erlebt, erinnerte sie sich im Februar 2017. "Ich kann doch nicht aussteigen, nur weil es das Risiko gibt, dass sich die Ratsuchenden vielleicht zur Abtreibung entschieden und nicht so handeln, wie die Kirche es sich wünscht."