Von der Erscheinung zum Wallfahrtsort

Was passiert, wenn die heilige Maria erscheint

Veröffentlicht am 17.07.2019 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Marienerscheinungen gibt es zu hunderten auf der Welt – auch in Deutschland. Aber nur ein winziger Teil davon wird von der Kirche offiziell anerkannt, bisher ist kein deutscher Ort dabei. Das liegt am Prüfungsprozess, der jedes Detail genau unter die Lupe nimmt. Manche Vision ist aber auch einfach nicht wichtig genug.

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Mal angenommen, jemand geht im Park spazieren und auf einmal erscheint die Muttergottes. Das kann passieren, vor allem jungen Frauen und Mädchen haben über die Jahrhunderte hinweg immer wieder überall auf der Welt diese Erfahrung gemacht – Schätzungen gehen von insgesamt mindestens 2.000 Berichten von Marienerscheinungen aus. Was die Kirche dann tut? Erstmal nichts. Wenn es bei dieser einen Erscheinung bleibt und die Betreffende das Erlebnis nur mit ihrer Familie und ihren Freunden teilt, wird das Ereignis wahrscheinlich niemand mitbekommen und die Verehrung an diesem Ort bald zu einem Ende kommen. Es kann sein, dass sich in der örtlichen Pfarrei eine Verehrung entwickelt – auch dann wird jedoch kirchlicherseits niemand intervenieren.

Anders sieht es aus, wenn sich Erscheinungen wiederholen, ein Ort eine größere Zahl von Menschen anzieht, die dorthin pilgern. Wenn das Bistum davon aus den Medien erfährt oder sich die Beteiligten an den Ortspfarrer wenden und dieser einen Bericht an das Bistum schreibt, kann es sein, dass sich die Diözese mit dem Fall auseinandersetzt. Das aber auch nicht immer. "Es muss schon größere Ausmaße annehmen, damit sich ein Bischof veranlasst sieht, eine Untersuchungskommission einzusetzen", sagt der Kirchenhistoriker Bernhard Schneider, der unter anderem selbst schon in einer solchen Kommission gesessen hat. Die Erwägung, Erscheinungen zu überprüfen, hat mit dem Hirtenamt des Diözesanbischofs zu tun: "Er muss dafür sorgen, dass die Gläubigen in seinem Bistum nicht durch Erscheinungen oder Aussagen solcher Erscheinungen im Glauben verwirrt werden", fasst er zusammen. Wenn Marienerscheinungen überprüft werden, geht es also in erster Linie darum, welche Substanz sie haben und ob sie dem Glauben schaden können.

Überprüfung durch unterschiedliche Disziplinen

Eine solche Kommission wird in der Regel von einem Vertrauensmann des Bischofs geleitet und vornehmlich mit Theologen besetzt – je nach Lage kommen aber auch Vertreter anderer Disziplinen dazu. Die Fachleute sammeln Material, das können Texte sowie Bild- und Tonaufzeichnungen sein, und beschäftigen sich mit einigen Leitfragen: Unter anderem geht es um die Personen, die eine Marienerscheinung wahrgenommen haben wollen. Mediziner und Psychiater überprüfen, ob nicht eine Krankheit oder geistige Besonderheit Ursache der Vision ist. Des Weiteren werden Begleiterscheinungen wie etwaige Äußerungen oder Prophezeiungen Marias untersucht: Stehen sie im Einklang mit der kirchlichen Überlieferung? Treffen Vorhersagen ein? Außerdem geht es um Folgen der Erscheinung vor Ort, beispielsweise, ob Wunder geschehen.

Bernadette (eigentlich Maria Bernarda Soubirous, 1844-1879)
Bild: ©dpa - Bildarchiv

Eine zeitgenössische Aufnahme von Bernadette Soubirous (späterer Ordensname Maria Bernarda, 1844-1879) in jungen Jahren. 1858 hatte die damals 14-Jährige in der Grotte von Lourdes mehrere Marienerscheinungen.

Am Ende bildet sich die Kommission einen Eindruck und spricht eine Empfehlung an den Bischof aus. Die kann dreierlei Art sein: Heißt es lateinisch "constat de supernaturalitate" steht fest, dass hier übernatürliche Vorgänge passieren, bei "constat de non supernaturalitate" ist klar, dass das Gegenteil der Fall ist. Sagt die Kommission "non constat de supernaturalitate", sind sich die Fachleute nicht sicher.

Ein großer Faktor: Unsicherheit

Die Zahlenverhältnisse sind dabei sehr ungleich verteilt: Dass es sich nach menschlichem Ermessen um übernatürliche Begebenheiten handelt, haben Fachleute nur insgesamt 15 Orten weltweit bescheinigt – darunter die großen Wallfahrtsstätten Lourdes, Fatima, Guadalupe und Banneux. Bei der weitaus größten Zahl der Fälle ließ sich kein sicheres Urteil fällen.

Selbst wenn ein positives Urteil gesprochen wird, ist das nicht übermäßig ambitioniert: Der Ortsbischof trifft keine Tatsachenfeststellung, sondern stellt lediglich heraus, dass er keine Bedenken hat, Gruppen zu diesem Ort pilgern und die Botschaften der Erscheinung verbreiten zu lassen. Es ist also eher eine Art Unbedenklichkeitsbescheinigung, ein "nihil obstat", das ausgestellt wird.

Wird eine Erscheinung dezidiert abgelehnt, vermuten die Fachleute oft Krankheiten oder wirtschaftliche Interessen hinter den Berichten oder erkennen theologisch problematische Aussagen. Bei diesem Urteil darf es keine offiziellen Wallfahrtsgottesdienste geben und die Erscheinungen dürfen nicht als solche bezeichnet werden. Solche Gottesdienste gibt es auch im dritten Fall nicht. Allerdings dürfen Privatleute dort beten und die Ortskirche kann einen solchen Ort pastoral betreuen

Keine anerkannten Erscheinungen in Deutschland

Die meisten Orte in Deutschland, in denen es angeblich Marienerscheinungen gegeben haben soll, fallen in jene dritte Kategorie. Am bekanntesten ist das saarländische Städtchen Marpingen, aber auch Heroldsbach, Sievernich oder Wigratzbad gehören dazu. Für die meisten dieser Orte haben die jeweiligen Ortskirchen pastorale Konzepte entwickelt: So wurden etwa Marpingen oder Heroldsbach zu Gebetsstätten deklariert, von einer offiziellen Wallfahrt darf aber nicht gesprochen werden.

Votivtafeln an der Marienkapelle in Marpingen.
Bild: ©Alexander Brüggemann/KNA

Votivtafeln an der Marienkapelle in Marpingen.

Was letztlich ausschlaggebend für eine Anerkennung oder Ablehnung ist, ist gewöhnlich ein Bündel von Indizien. Öffentlich erfährt das niemand genau, denn die Kommissionsakten bleiben geheim. Ganz allgemein kann Bernhard Schneider aber schon sagen: Manchmal liegt es an theologischen Gründen, wenn etwa Maria in den Botschaften der Erscheinung zum Zentrum der Heilsgeschichte wird und Jesus zu einer Randfigur degradiert. "Oft liegt es auch an Spannungen, die durch die Erscheinungen vor Ort entstehen. Dazu gehören Konflikte unter den Gläubigen oder mit dem Bistum." Das steht der Maßgabe entgegen, dass die Erscheinungen "positive Früchte" tragen sollen.

Lage in Međugorje bis heute schwierig

Genau das ist auch der Grund für die zögerliche Haltung des Vatikans zu den Geschehnissen in Međugorje in der Herzegowina: Dort soll seit 1981 bis zum heutigen Tag mehrmals die Muttergottes erschienen sein. Die Konflikte über die Echtheit der Visionen dort sind jedoch groß: Unter anderem haben sich die die Pilgerströme fördernden örtlichen Franziskaner mit dem Bistum verkracht, das den Erscheinungen kritisch gegenübersteht. Auch in der Bischofskonferenz des Landes spaltet der Fall Međugorje das Episkopat. Von uneingeschränkt "positiven Früchten" kann also keine Rede sein. Allerdings zieht das Örtchen seit Jahrzehnten Millionen Pilger an.

Bild: ©KNA

Pilger am kirchlich nicht anerkannten Marienwallfahrtsort Međugorje in Bosnien-Herzegowina.

Wie sich der Pilgerstrom eines Ortes entwickelt, hat in der Regel mit der kirchlichen Anerkennung nur bedingt zu tun. "Hören die Erscheinungen einmal auf, kann der Zustrom schnell nachlassen", weiß Schneider – dann ist häufig noch gar kein Urteil gesprochen. Manchmal etabliere sich eine gewisse Verehrung jedoch auch, "das ist von Ort zu Ort sehr unterschiedlich", so Schneider. Das hänge auch damit zusammen, ob das zuständige Bistum einen Ort fördere oder Pilgerfahren unterbinde.

Beobachter weisen immer wieder darauf hin, dass Zeit und Ort der Erscheinungsberichte keinesfalls zufällig sind: Kriegs- und Krisenzeiten haben in der Vergangenheit oft für ein Hoch bei Marienerscheinungen gesorgt. Außerdem sind oft wirtschaftlich abgeschlagene Regionen Zentrum solcher Vorgänge – das Saarland gehört etwa dazu. Nicht selten werden Visionen vor allem mit diesen sozialen Faktoren erklärt. Wie bereits erwähnt: Eine endgültige Antwort gibt es in den seltensten Fällen. Doch auch heute noch werden Erscheinungen anerkannt: Erst vor drei Jahren gab der Bischof der argentinischen Diözese San Nicolás de los Arroyos die offizielle Bestätigung für die dortige Marienerscheinung offiziell bekannt.

Bei alldem wichtig zu wissen: "Die Einschätzung eines Bischofs zu einem Erscheinungsort ist keine lehramtliche Aussage", sagt Schneider. Der Bischof handelt in seiner Funktion als Oberhirte, nicht als Vertreter der Lehre. Selbst, wenn ein Wallfahrtsort kirchlich anerkannt ist, muss kein Gläubiger daran glauben. Es wird nur erwartet, sich allzu scharfer Polemiken zu enthalten.

Von Christoph Paul Hartmann