"Es geht um Beispiel und Zeugnis"
Die Serie "Glaubensgespräche" soll zwei Menschen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Hintergründen zusammenbringen. Für diese Folge treffen sich ein gerade erst getaufter Katholik und einer, der mit dem Glauben groß geworden ist: Thomas Lillis, Jurastudent, und der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp. Im Büro des Weihbischofs im Erzbischöflichen Generalvikariat ist es gemütlich, eine Kerze brennt auf dem Tisch. Schon vor der ersten Frage beginnt Weihbischof Dominikus Schwaderlapp das Gespräch.
Weihbischof Dominikus Schwaderlapp: Wie ist es dazu gekommen, dass Sie sich an Ostern vergangenes Jahr haben taufen lassen?
Thomas Lillis: Mein Vater ist Franzose und der französische Teil meiner Familie ist katholisch, ich war also mit diesem Hintergrund vertraut. Aber wie ich zum Glauben gefunden habe, das war ein längerer Prozess. Als ich 2007 zum Studieren nach Deutschland gekommen bin, passierten einige Dinge: Meine Mutter war schwer krank, mein Großvater starb und ich hatte Klausuren und konnte nicht zurückfahren. Eines Abends bin ich in eine Kirche gegangen – das war der einzige Ort, der noch offen war – und habe dort eine Kerze angezündet und dann wohl die erste Fürbitte meines Lebens gebetet. Das hat mir gut getan. Ab dem Moment habe ich angefangen, mir Fragen darüber zu stellen, was ich eigentlich glaube und was der Sinn in meinem Leben ist. Und wie war das bei Ihnen?
Schwaderlapp: Ich hatte eine normale katholische Biografie, wenn man das so sagen kann. Ich komme aus einer größeren Familie, habe vier ältere Brüder. Für uns alle war es selbstverständlich, die Sonntagsmesse zu besuchen und Messdiener zu sein. Wir haben sogar die Werktagsmessen besucht. Übrigens nicht immer zu meiner Freude: Denn Freitagabends kam genau zu der Zeit Dick und Doof im Fernsehen. Ich habe mich dann gefreut, wenn der Priester mal im Urlaub war… [lacht] Die Kirche war schon immer Teil meines Lebens: Die Sonntagspredigt wurde in unserer Familie beim gemeinsamen Frühstück nach der Messe diskutiert. Dazu kam, dass mein drittältester Bruder mir oft aus der Bibel vorgelesen und mit mir gebetet hat. Die Priesterberufung war eine eigene Geschichte. Da hatte ich kein spezielles Vorbild vor Augen, aber ich habe einen Roman über einen Priester gelesen. Der hat mich nicht mehr losgelassen und dann kam die Frage auf: Ist das nicht was für dich, Priester zu werden? Daraufhin habe ich mit einem Priester gesprochen. Der sagte: "Naja, halten wir mal fest, Gott will irgendwas von dir, und was das ist, das können wir ja noch sehen." Auf dieser Basis hat es sich dann weiterentwickelt.
Linktipp: "Ab diesem Moment wollte ich mehr wissen"
Mehrere Schlüsselerlebnisse führten ihn zum Glauben: Thomas Lillis hat sich vergangenes Jahr in der Osternacht taufen lassen. Der Jurastudent erzählt im Interview, wie er zu Gott gefunden hat.Lillis: Ich finde das sehr interessant. Bei mir war es ganz anders: Ich musste mir das alles selbst aneignen. Ich hatte natürlich ein eigenes Wertesystem, aber ich musste nach und nach sehen, wie ich das mit dem christlichen Glauben vereinbare, um diesen als eigen aufzunehmen.
Frage: Woran glauben Sie denn? Wovon sind Sie überzeugt?
Lillis: Ich erzähle gerne eine Geschichte, die entscheidend für mich war. Das war während meines Studiums in Paris. Ich saß abends mit meiner Lerngruppe zusammen, es ging um Verwaltungsrecht, um die Trennung von Staat und Kirche. Jemand machte dann eine Bemerkung über die Jungfrau Maria und die unbefleckte Empfängnis. Es sollte ein Scherz sein, aber eine Kommilitonin, die tief gläubig ist, hat das tief verletzt. Das hat man ihr sofort angesehen. Aber anstatt sich aufzuregen oder sich zu verteidigen, ging sie auf die Person zu und hat gefragt, warum diese das gesagt habe und hat ihr anschließend verziehen. Das fand ich sehr bewundernswert. Ein Mensch, der in der Lage ist, einem anderen zu verzeihen und auf ihn zuzugehen, obwohl der ihn in dem, was ihm heilig ist, tief verletzt hat – damit konnte ich mich schon damals sehr gut identifizieren.
Schwaderlapp: Diese kleine Begebenheit hat Ihnen einen so entscheidenden Impuls gegeben?
Lillis: Das war sehr wichtig für mich, nicht nur inhaltlich, sondern weil es auch den Bezug zu meinen Mitmenschen qualifiziert hat. Für mich sind zwei Dinge zentral im Glauben: Das Erste ist die Nächstenliebe. Die wichtigste Bibelstelle ist für mich die Goldene Regel, die besagt, dass man den anderen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden möchte. So können wir in der Gesellschaft miteinander leben, das ist ein fundamentaler christlicher Wert. Das zweite ist die Gemeinschaft, die man findet, wenn man glaubt. Es reicht nämlich nicht aus, zu sagen, dass man sich für bestimmte Werte entscheidet und daran glaubt. Sondern es kommt darauf an, diesen Glauben auch mit anderen zu teilen, sich auf die Gemeinschaft zu verlassen und mit ihr zu diskutieren.
Schwaderlapp: Ich finde es regelrecht bewegend, was Sie sagen. Dadurch ist mir eben noch einmal klar geworden, worum es eigentlich geht. Glaubensleben, Glaubensverkündigung – da geht es nicht um Rezepte oder Programme, sondern um Beispiel und Zeugnis, um Einzelne und wie überzeugend sie sind. Was Sie von Ihrer Kommilitonin erzählt haben… Die hat es begriffen, was Christsein bedeutet!
Frage: Und wie ist das bei Ihnen, Herr Weihbischof?
Schwaderlapp: Auch, wenn man wie ich katholisch sozialisiert wurde, heißt das nicht, dass man den Glauben übernimmt. Man entscheidet sich irgendwann dafür oder dagegen, oft in der Pubertät. Ich kann nicht genau sagen, wann ich persönlich dazu "ja" gesagt habe. Ich glaube natürlich das, was in unserem Glaubensbekenntnis gesagt wird. Aber mein persönliches Credo ist, dass Jesus Christus der Freund meines Lebens ist, der mich niemals im Stich lässt und auf den ich mich immer verlassen kann. Das ist auch mein Zugang für alles andere: Ich versuche, diesen Freund immer besser zu verstehen. Ich sehe, was er für mich und für andere tut und dass er als Sohn Gottes in die Welt gekommen ist. Das ist so großartig und überwältigend! Und von da aus erschließt sich mir der ganze Kosmos des Glaubens.
Lillis: Aber in dem Punkt unterscheiden wir uns dann gar nicht so sehr, denn es geht bei Ihnen wie bei mir um die Frage, wie wir nach unseren Moralvorstellungen handeln.
Schwaderlapp: Statt von Moralvorstellungen würde ich lieber von Christus sprechen beziehungsweise davon, dem Vorbild Christi zu folgen. Ich habe als Moraltheologe immer ein bisschen Sorge, dass wir das Christentum zu einer "moralinsauren Soße" machen, so dass das Christentum zu einem "Du sollst" wird. Bildlich gesprochen: Christsein bedeutet nicht, am Rhein entlang zu joggen, um an die Mündung zu kommen. Das ist ein Ziel, das nicht erreichbar ist, dafür ist man nicht stark genug. Christsein bedeutet vielmehr, in das Boot Christi einzusteigen und sich von ihm ans Ziel führen zu lassen – wobei man im Boot auch mit anpacken muss. Aber das eigentliche ist nicht das, was wir leisten, sondern es geht darum, dass wir uns dem öffnen, was Christus uns schenkt und das weitergeben. Wir müssen nicht etwas geben, was wir selbst nicht haben, sonst wird das zu einer Art Leistungsreligion. Und das ist es nicht. Wir haben alle unsere Fehler und Unzulänglichkeiten. Daher müssen wir oft wieder von vorne anfangen. Aber dabei sind wir nicht allein, wir werden an die Hand genommen und auch getragen.
Lillis: Das klingt nach schicksalhafter Fügung. Ich glaube, es dauert noch etwas, bis ich das so überzeugt sagen kann.
Schwaderlapp: Das war jetzt meine Deutung. Sie müssen das gar nicht so sehen. Entscheidend ist, dass Sie diese Begegnung erlebt haben. Als ich letztes Jahr zum Ad Limina-Besuch beim Papst war, wurde er gefragt, wie man die Jugend, die alles hat, für Gott begeistern kann. Papst Franziskus hat dann von den drei Sprachen des Menschen erzählt: der Sprache des Kopfes, des Herzens und der Hände. Er hat vorgeschlagen, die jungen Leute dazu zu bringen, etwas Gutes für die Allgemeinheit zu tun. Das tut man nämlich gerne und es macht froh. Und im Nachhinein ist man begeistert, es öffnet das Herz. So versteht man, dass man ein Glied einer großen Gemeinschaft ist, und denkt irgendwann darüber nach, woher das alles kommt und arbeitet so mit der Sprache des Kopfes. Auf diese Weise kommt man also vom Handeln über das Herz zum Glauben. Und so ähnlich war es ja auch bei Ihnen, Herr Lillis.
Unser Glaube
Die Beziehung zwischen Gott und den Menschen ist von Worten und symbolischen Handlungen geprägt. Was Jesus vor 2.000 Jahren lehrte und bewegte, ist heute noch immer lebendig. Erfahren Sie hier mehr über die Sakramente.Frage: Wie zeigt sich denn Ihr Glaube im Alltag?
Schwaderlapp: Das ist ein Ringen, das nicht immer gelingt. Es gibt einerseits bestimmte Punkte, die ich jeden Tag pflege – das sind die heilige Messe und das Stundengebet. Darüber hinaus nehme ich mir Zeit für das persönliche Gebet. Was ich außerdem lieb gewonnen habe, ist der Rosenkranz, weil man sich da so hineingeben und sozusagen aus der Perspektive von Maria das Leben Jesu betrachten kann. Das ist das Gerippe, aber im Alltag muss es auch mit Fleisch gefüllt werden. Dieses Jahr habe ich mit viel mit Mutter Teresa beschäftigt. Sie hat so einfache Dinge gesagt, die mich fasziniert haben. Zum Beispiel "Jeden Tag fünf Leuten zulächeln", also diesen Leuten einen Ausdruck der Wertschätzung geben. Das gilt es zu üben, wenn man etwa im Stau steht und es das totale Chaos ist, an dem man nichts ändern kann. Man würde am liebsten auf die Hupe hauen und allen einen Vogel zeigen. Da hilft es mir dann, wenn ich den Rosenkranz bete.
Lillis: Bei mir ist der Glaube noch nicht allzu präsent im Alltag, aber ich versuche, mir das nach und nach anzueignen. Zum Beispiel führe ich einmal im Monat ein Gespräch mit einer Theologin über das Neue Testament. Es hilft mir, meinen Glauben besser zu verstehen. Als angehender Jurist ist mir der Respekt vor dem Recht sehr wichtig, da ich es auch als Ausfluss christlicher Werte sehe. Schließlich heißt es in der Präambel zum Grundgesetz in "Verantwortung vor Gott und den Menschen"; womit wir wieder beim respektvollen Umgang mit anderen wären. Ich versuche selbst zu helfen: Während meines Katechumenats habe ich einen Flüchtling aus Nigeria kennengelernt. Ihn unterstütze ich jetzt unter anderem bei seinem Asylantrag. Und um auf Mutter Teresa zurück zu kommen: Ich versuche offen und freundlich auf Menschen zuzugehen. Das kostet nichts, freut aber die meisten.
Schwaderlapp: Ich freue mich, dass Sie in dieser Frage einen guten Weg für sich gefunden haben. Jetzt wissen Sie, wie einfach man etwas verändern kann! Wenn ich mal jogge, dann gibt es hin und wieder Fahrradfahrer, die einen richtig anmotzen, weil man ihnen im Weg ist. Wenn ich aber selbst Fahrrad fahre, dann versuche ich das anders zu machen: Ich bedanke ich mich bei den Leuten, die mir ausweichen oder ich wünsche ihnen einen guten Tag. Da kommt dann oft etwas Nettes zurück. Mit so einer Kleinigkeit kann man schon viel erreichen.
Frage: Wonach suchen Sie?
Lillis: Wenn es um den Glauben geht, dann würde ich sagen, dass ich den gefunden habe. Aber ich frage mich, was in Zukunft auf mich zukommt und ob ich durch den Einsatz meiner Talente dem gerecht werden kann, woran ich glaube. Ich weiß nicht, ob das eine Suche ist, aber es ist auf jeden Fall eine Hoffnung.
Schwaderlapp: Ich kann Ihnen in beiden Punkten komplett zustimmen: Grundsätzlich habe ich das gefunden, wonach ich vielleicht nie oder nie bewusst gesucht habe. Ich habe Jesus Christus gefunden, ich suche niemand anderes mehr. Aber ich möchte ihn immer noch mehr kennenlernen und noch mehr verstehen. Auch beim zweiten Punkt geht es mir so wie Ihnen: Gott hat mir Gaben gegeben und mich so reich beschenkt in meiner bisherigen Lebensgeschichte. Ich frage mich manchmal bange: Entfaltest du diese Gaben so, dass du wenigstens ein bisschen dafür sorgst, dass die Welt von seiner Gegenwart erfüllt ist? Manchmal fragt man sich ja auch, was man noch alles mit seinen Gaben hätte tun können. Das treibt mich dann um. Aber ich denke, dass wir da auf die Barmherzigkeit Gottes bauen dürfen. Er ist nicht der, der auf einer Checkliste unser Versagen nachhält, sondern er ist eher wie ein Trainer, der uns immer wieder ermutigt und aufbaut. Selbstzufriedenheit wäre hier allerdings auch nicht angebracht. Daher ist die gewisse Unruhe, ob man genug tut, sicherlich hilfreich.
Frage: Haben Sie Zweifel? Und wenn ja, wie gehen Sie damit um?
Schwaderlapp: Ich muss bekennen, dass ich keine Glaubenszweifel habe. Das ist weder ein Verdienst noch ein Zeichen dafür, dass man besonders tief glaubt. Ich begreife manches auch nicht, zum Beispiel die Theodizee-Frage, also warum Gott Leid zulassen kann. Ich kann dafür verschiedene Erklärungen anführen. Aber warum die Menschen in Syrien seit fünf Jahren die Hölle erleben und wir im Vergleich dazu das Paradies auf Erden haben, das kann ich nicht beantworten. Das ist eine Frage, die ich gerne mal dem lieben Gott stellen würde. Aber es ist nicht etwas, was mich im Innersten zweifeln lässt. Deswegen frage ich mich, was Gott mir damit sagen will. Denn nie am Glauben zu zweifeln ist in der Seelsorge nicht immer unbedingt günstig. Vielleicht könnte jemand, der schon einmal eine Nacht des Zweifelns durchlitten hat, bei Leuten mit den gleichen Zweifeln tiefgründiger mitfühlen und ihnen nahe sein.
Lillis: Dadurch, dass mein Glaube noch nicht so gefestigt ist wie Ihrer, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Zweifel aufkommen, vielleicht etwas höher. Aber ich habe mir die Entscheidung, Katholik zu werden, nicht leicht gemacht. Ich denke, dass mir die Antworten, die ich durch das Bibelstudium oder durch Gespräche mit anderen finden kann, in Momenten des Zweifelns zumindest einen Lösungsansatz geben können. Die Gewissheit, dass diese Möglichkeit da ist, ist beruhigend. Zum anderen gibt es die soziale Komponente: Wenn es mir wirklich schlecht geht, habe ich eine Kirche und eine Gemeinschaft – egal wo ich auf der Welt bin, kann ich schnell zu Gleichgesinnten finden. Auch diese Gewissheit, dass es jemanden gibt, der in der Lage ist, mir zu helfen, wenn ich darum bitte, tut mir gut. Ich fühle mich also gut gewappnet, Zweifeln entgegenzutreten.