"Die Liebe der anderen fühlen"
Die Serie "Glaubensgespräche" soll zwei Menschen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Hintergründen zusammenbringen. Für die zweite Folge trafen sich eine junge, aus Syrien geflüchtete Christin und ihre deutsche Firmpatin, eine vierfache Mutter aus Osnabrück: Benita Kourbaj, Schülerin, und Annette Frische, Altenpflegerin und Pfarrgemeinderatsmitglied. Beide kennen sich seit über einem Jahr. Im Gespräch geht es um das Reden über den Glauben, das Leben in Syrien und Deutschland sowie die Bedeutung der Bibellektüre.
Frage: Woran glauben Sie?
Annette Frische: Ich glaube an einen Gott der Liebe, durch den ich da bin. Ich glaube an einen Gott, der allumfassend ist, der für uns Menschen da ist, der uns kennt und durch den wir leben können. Aber ich stelle mir Gott nicht als Menschen, als Mann mit langem Bart vor. Ich habe da keinen Umriss, keine Form im Kopf. Ich glaube vielmehr, dass Gott mir im Alltag in jedem Menschen begegnet.
Benita Kourbaj: Ich glaube, dass Gott diese Welt gemacht hat. Wenn ich zum Beispiel hohe Berge sehe, dann denke ich daran, dass sie von Gott geschaffen wurden. Ich glaube, dass Gott auch in traurigen Situationen da ist, wie im Krieg in Syrien, wenn Freunde sterben oder ich selber Angst habe. Dann merke ich, Gott stützt mich und hilft mir. Das habe ich einmal am eigenen Leib erlebt: Ich habe in Aleppo immer an der gleichen Kreuzung auf eine Freundin gewartet, mit der ich zur Nachhilfe gegangen bin. Als ich eines Tages wartete, rief sie mich an und sagte mir, dass wir uns an einem anderen Ort treffen sollten. Ich war zunächst sogar etwas sauer über diese spontane Idee meiner Freundin. Später erfuhr ich dann, dass ich so einer Bombe entgangen bin, die genau an meinem üblichen Wartepunkt niedergegangen ist. Ich glaube, in diesem Moment hat Gott seine schützende Hand über mich gehalten.
Frische: Wenn ich an deine Situation und die deiner Familie denke, dann kann ich mir das nur schwer vorstellen. Ich wohne in Deutschland, einem sicheren Land, und seit ich lebe, ist hier nie Krieg gewesen. Sollte ich einmal solche Not und Todesangst haben, dann wünsche ich mir, dass ich so viel Gottvertrauen wie du habe und nicht beginne zu hassen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Gott uns Menschen nie alleine lässt und durch schwierige Zeiten begleitet. Ich möchte ihn nicht enttäuschen, sondern immer zu ihm stehen und Zeugnis von seiner frohen Botschaft geben. Ich hoffe, dass das immer gelingt.
Frage: Wie sind Sie zu Ihrem Glauben gekommen?
Kourbaj: Ich bin durch meine Familie und meine Freunde zum Glauben gekommen. In Syrien waren wir Christen nur eine kleine Gruppe in der Gesellschaft. Ich komme aus Aleppo und dort gab es Straßen, in denen ausschließlich Christen gelebt haben. Wir kannten uns untereinander sehr gut, denn diese Situation hat uns zusammengeschweißt. In der Familie und im Bekanntenkreis haben wir viel über Jesus und den Glauben geredet. Auch deshalb, weil meine Eltern wollten, dass ich Christin bleibe. Sie hatten Angst, dass ich zum Islam konvertiere, da wir auch immer mit Muslimen in Kontakt standen. Die glauben auch an Gott, haben aber ein anderes Bild von ihm. Mir war es daher wichtig, mich in meiner Religion auszukennen. Ich habe immer in der Bibel gelesen, das tue ich auch heute noch. Ich hatte verschiedene Bibeln, erst eine Kinderbibel und dann eine Ausgabe für Jugendliche. Mit meinem Vater haben wir in der Familie die Bibel gelesen, er hat uns vorgelesen und die Geschichten erklärt. Als wir noch in Syrien waren, habe ich mich in der Jugendarbeit gemeinsam mit vielen anderen jungen Christen engagiert. Auch meine Eltern haben sich in der Kirchengemeinde eingebracht. Wir Jugendlichen haben viel über Fragen des Glaubens diskutiert, denn wenn man erwachsen wird, hat man viele Anfragen an den Glauben. Wir haben mit Mönchen geredet und anderen Leuten, die viel Erfahrung hatten.
Frische: Ich finde es faszinierend, dass ihr in der Familie zusammen in der Bibel gelesen habt und euer Vater euch vorgelesen und alles erklärt hat. Das habe ich so nie kennengelernt. Ich finde das total klasse.
Kourbaj: Unsere Kinderbibel hatte viele Bilder. Ich erinnere mich an die Geschichten immer mit den Bildern zusammen. Die Personen, die dort abgebildet sind, habe ich noch sehr gut im Kopf.
„Von der Musik habe ich Kraft geschöpft.“
Frage: Frau Frische, Sie haben gesagt, dass Sie das Vorlesen aus der Bibel nicht kennengelernt haben. Wie war Ihr Glaubensweg?
Frische: Ich bin auch in einer katholischen Familie groß geworden. Der Glaube gehörte einfach dazu. Alles, was man ganz klassisch als Kind in einer Kirchengemeinde tut, habe ich mitgemacht: Wir sind regelmäßig zur Kirche gegangen, haben Erstkommunion und Firmung gefeiert und sind ins Zeltlager mitgefahren. Das war für meine Geschwister und mich sehr wichtig. Trotzdem haben wir wenig in der Familie über unseren Glauben gesprochen. Zumindest habe ich daran keine Erinnerungen. Es ist mir immer schwer gefallen, über den Glauben zu reden. Dann bin ich aber durch die Musik, durch den Jugendchor, der mich angezogen hat, zu einer engen Verbindung zur Kirche, zur Gemeinde, zum Glauben gekommen. Auch wenn ich mich nicht gut zum Glauben äußern konnte, habe ich mich dort zuhause gefühlt. Von der Musik habe ich Kraft geschöpft, weil ich mich daran beteiligen konnte und ich dort eine Art des Redens gefunden habe. Das hat mich geprägt.
Kourbaj: Als ich etwa 15 Jahre alt war, habe ich den Glauben stark hinterfragt. Meine Fragen konnte ich aber meinem Vater stellen. Mit 16 Jahren bin ich in ein Zeltlager einer christlichen Jugendorganisation gefahren, zusammen mit 3.000 jungen Christen aus Syrien, Jordanien und dem Libanon. Dort haben wir zusammen gebetet und es war ein beeindruckendes Gefühl, alle um mich herum im Gebet vereint zu sehen. Ich konnte die Liebe der anderen fühlen. Das war für mich ein sehr wichtiges Erlebnis.
Frage: Gab es eine Entwicklung des Glaubens bei Ihnen?
Frische: Durch die Ehe mit meinem Mann hat sich mein Glaube vertieft. Er ist ein sehr gläubiger Mensch und engagiert sich in der Gemeinde und der Kolpingsfamilie. Das hat mich mitgerissen. Vielleicht wäre mein Weg ohne ihn ein anderer geworden. Ein besonderes Erlebnis war 2005 der Weltjugendtag, als wir für eine Woche bei uns zu Hause zwei Kubaner aufgenommen haben. Es war sehr bereichernd, dass wir sehen konnten, dass wir viele Gemeinsamkeiten haben, obwohl wir so weit auseinander leben: Sie sind Christen und wir auch. Christ kann ich überall sein. Zudem konnten wir eine andere Kultur erleben. Wir haben gemerkt, dass es nicht selbstverständlich ist, wie hier in Deutschland in Freiheit zu leben. Auf Kuba unterdrückt der Staat das Christentum. Aber vielleicht glauben unsere Freunde aus Kuba deswegen so stark. Ähnlich wie bei Euch, Benita: Ihr habt ja vorher ein ganz normales Leben geführt, aber wegen des Krieges musstet ihr weg. Dadurch ist euer Leben mit Gott und dem Glauben auch viel intensiver geworden, oder?
Kourbaj: Es hat sich nichts grundlegend verändert, sondern ich habe den Glauben anders erfahren. Meine ganze Lebenssituation ist ja auch neu: die Menschen in Deutschland sind anders. Es ist ein anderes Land, eine andere Sprache, eine andere Art zu glauben. In Syrien habe ich immer viel über den Glauben geredet, hier schweigen viele Menschen darüber. Aber ich liebe die Menschen, egal wer sie sind und wo sie leben. Zu Anfang war das Leben in Deutschland schwer, aber jetzt finde ich es schön. Mein Glaube hat sich inhaltlich nicht verändert, aber er ist jetzt größer.
„Zu Anfang war das Leben in Deutschland schwer, aber jetzt finde ich es schön.“
Frage: Hat das gegenseitige Kennenlernen etwas im Glauben verändert?
Frische: Dadurch, dass ich Benita und ihre Familie kennengelernt habe, ist mir die Situation in Syrien viel bewusster geworden. Ich finde es sehr beeindruckend, mit welcher Überzeugung und Offenheit sie über den Glauben spricht. Das beschämt mich aber auch ein wenig, weil wir hier in Deutschland vernachlässigt haben, über das zu sprechen, was wir glauben. Über den Glauben zu sprechen ist kein Problem, wenn ich in der Kirchengemeinde bin. Aber bei der Arbeit oder anderen Gelegenheiten wird man oft belächelt. Das stört mich, aber ich sage dann auch nichts. Meine Freundschaft mit Benita zeigt mir, dass ich mutiger werden will, um vom Glauben zu sprechen.
Kourbaj: Einige meiner Freunde aus Syrien haben mich vor Deutschland gewarnt. Sie hatten eine falsche Vorstellung von Westeuropa und dachten, hier halten die Menschen die Gebote nicht ein. Sie befürchteten, dass mein Glaube abnimmt. Ich sage ihnen immer, dass es in Deutschland auch gläubige Menschen gibt, so wie die Familie von Annette. Sie sind wirklich ein Vorbild für mich, denn sie leben den Glauben. Oder ich denke an die Jugendlichen, die mit mir die Firmung gemacht haben. Auch ihnen ist der Glaube wichtig.
Frische: In Deutschland gibt es schon sehr viele, denen Kirche oder Religion nicht wichtig sind. Die Christen werden hier weniger und ich kann verstehen, dass man davor gewarnt wird, in Deutschland nicht vom Glauben abzufallen. In der Familie versuchen wir, den Glauben weiterzugeben und ich denke, das bekommen wir ganz gut hin. Wir wollen unseren Kindern vermitteln, dass man in einer Gemeinschaft besser leben kann als allein: Denn wenn man mit anderen zusammen ist und etwas weitergeben kann, haben alle etwas voneinander. Das ist viel bereichernder, als wenn man alleine für sich lebt.