"Wir haben unseren Glauben verharmlost"
Die Serie "Glaubensgespräche" soll zwei Menschen unterschiedlichen Alters und mit verschiedenen Hintergründen zusammenbringen. Für die dritte Folge trafen sich eine Abiturientin, die ein Freiwilliges Soziales Jahr bei einer Anlaufstelle für Drogenabhängige in Köln macht, und eine Ordensfrau der Unbeschuhten Karmelitinnen: Deborah Blum und Schwester Mirjam Kiechle. Beide begegneten sich im Karmel Maria vom Frieden in Köln - sie hatten sich vorher noch nie gesehen. Im Gespräch ging es um Glaubenseuphorie, Dankgebete und darum, wie Zweifel auszuhalten sind.
Frage: Was glauben Sie? Wovon sind Sie überzeugt?
Deborah Blum: Ich war Messdienerin, bin gefirmt worden und mit meiner Familie regelmäßig in den Gottesdienst gegangen. Außerdem ist mein Vater Theologe. Bei mir gehörte der Glaube also schon immer zum Leben dazu. Aber er hat sich geändert, als ich von Zuhause ausgezogen bin: Ich arbeite jetzt während meines Freiwilligen Sozialen Jahrs mit Drogenabhängigen zusammen. Ihnen aktiv helfen zu können, das ist für mich Glaube. Das ist ein Gefühl, das tief in mir verwurzelt ist. Manchmal ist es unglaublich überwältigend!
Schwester Mirjam Kiechle: Bei mir ist der Glaube nicht mehr so selbstverständlich wie vor etwa 40 Jahren, als ich ins Kloster eingetreten bin. Ich bin im katholischen Oberschwaben aufgewachsen, in ein katholisches Internat gegangen und dann, mit 22 Jahren, ins Kloster eingetreten. Aber je älter ich werde und je mehr ich so von der Welt mitbekomme, desto weniger unzweifelhaft wird er. Da kommt hier im Kloster manches Mal die Frage auf: Gibt es Gott wirklich? Warum greift er nicht ein? Und ab und zu habe ich Angst vor der Frage, ob ich wirklich glaube. Ich merke, dass meine ganze Existenz gefragt ist. Das erinnert mich an das Ende des Buches Ijob, als er einsieht, dass er ein Geschöpf Gottes ist, und in Staub und Asche betet. Dieser letzte Schritt, wo man nur noch sagt, 'ja, ich glaube' – dazu gehört für mich auch, meinem Leben hier im Kloster, zu dem ich berufen worden bin, treu zu sein. Aber natürlich kenne ich auch diese Freude, wenn der Glaube so richtig rausreißen kann. Zum Beispiel nach meiner Ewigen Profess, da war ich vier Wochen lang auf Wolke Sieben!
Frage: Sie sind beide katholisch sozialisiert worden. Aber wie haben Sie den Glauben für sich entdeckt?
Sr. Mirjam: Für mich war der entscheidende Punkt der Unterricht für die Erstkommunion. Unser Pfarrer hat uns damals erklärt, dass wir im Gebet mit Jesus sprechen können wie man mit einem Menschen spricht. Das fiel bei mir wohl auf fruchtbaren Boden, denn ab da wurde das Gebet für mich zu einem Lebensraum. Ein Raum, in dem ich für mich sein konnte. Das hat sich im Lauf der Jahre immer mehr verstärkt. Und ich glaube, dass das der Punkt war, wo ich zu einem lebendigen Glauben gekommen bin.
Blum: Bei mir waren einige Sonntagspredigten in meiner Heimatgemeinde der Anlass. In denen wurden die vielen Fehler kritisiert, die jeder Mensch macht, und wir wurden ständig ermahnt. Ich hatte aber keine Lust, mir Vorwürfe machen zu lassen. Ich wusste, dass ich meinen Glauben ernst nehmen will. Deshalb habe ich mich auch entschieden, nach dem Abi ein FSJ zu machen. Bis dahin war mein Glaube eher ein vorgegebener Weg durch Familie und Religionsunterricht. Jetzt lebe ich meinen Glauben aktiv, indem ich helfe. Natürlich spielte bei meiner Entscheidung, ein FSJ zu machen, auch mein zukünftiger Berufswunsch, soziale Arbeit zu studieren, eine große Rolle. Somit konnte ich beides gut verbinden.
Sr. Mirjam: Ich war auf einem Internat von Franziskanerinnen, aber Lehrerin wollte ich nicht werden, das war nichts für mich. Als ich einmal für Besinnungstage in einer Benediktinerinnenabtei war, fand ich den Gesang dort so toll! Da merkte ich, dass das Leben im Kloster etwas für mich sein könnte. Danach habe ich Biografien über Edith Stein gelesen, die ja Karmelitin war. Irgendwann habe ich aber nur noch die Kapitel über den Karmel durchgelesen. Nach einigen Wochen "Kloster auf Zeit" hatte ich dann das Gefühl: Das passt für mich. Warum, das kann ich nicht sagen. Aber heute, nach über 40 Jahren, weiß ich, dass das damals die richtige Entscheidung war, durch alle Höhen und Tiefen hindurch.
„Mit einem Schmalspur-Glauben kommt man da nicht weit, sonst kreist man irgendwann nur noch um sich selbst.“
Frage: Wie prägt der Glaube Ihren Alltag, also Ihr Denken und Handeln?
Sr. Mirjam: Der Glaube ist ja quasi mein Beruf. Ich denke, dass Gott sich das leisten kann, Menschen nur für sich zu haben. Wir versuchen, unser Leben zur vollen menschlichen und spirituellen Reife zu führen. Das ist nicht immer einfach, denn wir sind ja alle Menschen. [lacht] Ich mache zwar Kerzen und versorge eine ältere Schwester, aber dadurch habe ich nicht mit einem Funken die Welt verändert. Meine Hände sind eigentlich immer leer – was für mich keine dumme Floskel ist, denn so lebe ich. Wir haben täglich zwei Stunden Meditation. Damit sich der Horizont in der Klausur des Klosters nicht einschränkt, muss man weite Interessen haben. Mit einem Schmalspur-Glauben kommt man da nicht weit, sonst kreist man irgendwann nur noch um sich selbst.
Blum: Zu meiner Arbeit passt wohl am besten der Spruch aus dem Matthäusevangelium: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Ich bin überzeugt davon, dass wir Menschen respektvoll und liebevoll miteinander umgehen müssen, egal, ob mein Gegenüber auf der Straße lebt oder in einer Luxuswohnung. Diese Überzeugung kommt sicherlich daher, dass ich Christin bin. Im Gebet ist Gott für mich ein Gesprächspartner. In dem Stress auf der Arbeit ist das meine Möglichkeit, abzuschalten und alles Revue passieren zu lassen. Mein Glaube ist aber auch sowas wie mein Zuhause. Wenn ich in die Kirche gehe, dann fühle ich mich mit den Menschen verbunden, weil sie die gleichen Werte haben. Deswegen habe ich mich jetzt auch bei einer katholischen Hochschule beworben.
Frage: Suchen Sie noch nach etwas? Und wenn ja, wonach?
Sr. Mirjam: Natürlich habe ich ein Stück weit gefunden, was ich suche. Aber ich könnte von mir aus nicht sagen, dass ich schon bei Gott angekommen bin. Ich hoffe natürlich, ihn einmal zu finden und ihn zu schauen. Das ist eine sehr fromme Antwort, aber das ist ja das Ziel meines Lebens hier.
Blum: Ich habe das Gefühl, dass ich in Gebeten zu viel um Dinge bitte und zu wenig danke – obwohl ich ja für so vieles dankbar sein könnte. Ich würde mich freuen, wenn ich irgendwann mal ein Gleichgewicht zwischen beidem finden könnte und ich nicht mehr das Gefühl bekommen würde, ich müsste mich für meine vielen Bitten bei Gott rechtfertigen. Obwohl ich ja eigentlich weiß, dass er nicht berechnend ist.
Sr. Mirjam: Jesus sagt: Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid. Er stellt keine Bedingungen. Deswegen braucht man nicht im Hinterkopf haben, dass man vorher danken muss.
Blum: Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass ich ihn um zu vieles bitte.
Sr. Mirjam: Die heilige Theresa hat einmal sinngemäß gesagt: "Wenn wir wüssten, wie groß Gott ist und wie gerne er schenken würde! Das liegt nur daran, dass wir keine offenen Hände haben!" Ebenso, wenn man an die Brotvermehrung von Jesus denkt: Nach der Speisung tausender Menschen ist noch immer etwas übrig! Ich glaube, dass wir Gott nicht in unsere engen Kategorien pressen dürfen.
Frage: Was hilft Ihnen denn in Momenten des Zweifelns?
Sr. Mirjam: Ich habe nie daran gezweifelt, dass es Gott gibt. Aber ich habe trotzdem eine sehr eindrückliche Erfahrung gemacht: Nach einem Telefonat, das so furchtbar für mich war, dass ich abends im Bett lag und dachte: 'Das musst du geträumt haben!', hatte ich plötzlich das Gefühl, das ich ins Uferlose stürze. Ich dachte, ich drifte ab, es war dunkelste Nacht. Aber auf einmal habe ich gefühlt, dass mich Hände halten. Und in dem Moment konnte ich beten.
Blum: Ich hatte auch nie Zweifel daran, dass Gott existiert. Aber manchmal gibt es schlimme Situationen in der Drogenstelle, in denen ich mich frage, warum Gott das zulässt. Oder wenn ich Geschichten aus dem Leben der Drogenabhängigen höre und ich mich frage, warum ihnen so etwas passiert. Dann gehe ich in den Kölner Dom, einfach, um herunterzukommen. Was auch hilft, sind positive Erlebnisse, so wie letztens, als ein Klient, dem es vorher sehr schlecht ging, freudestrahlend in die Kontaktstelle kam. Er hat erzählt, dass sich mitten in der Nacht eine Frau zu ihm an seinen Schlafplatz auf der Straße gesetzt habe und sich zwei Stunden lang mit ihm unterhalten habe, einfach so. Das hat ihm so unglaublich gut getan, er hat so gestrahlt! Und das hat mir wiederum geholfen.
Sr. Mirjam: Mir hilft in solchen Momenten, blind zu glauben. Ich habe schon gebetet: 'Ich kann dir nichts mehr sagen, aber ich bleibe jetzt einfach hier.' Vielleicht muss man in einer solchen Situation mit aller Kraft versuchen, den Blick auf Jesus zu richten, wie Petrus, der über das Wasser läuft. Auch, wenn man gar nicht mehr kann. Das habe ich erfahren, als ich so schwer krank war, dass ich nicht die Kraft hatte, zu beten. Da habe ich ausgeharrt. Möglicherweise muss man solche Erfahrungen machen, um wirklich restlos vertrauen zu können. Wissen Sie – ich denke, wir haben unseren Glauben verharmlost. Wir haben das Kreuz reduziert auf einen frommen Gegenstand. Das ganze Leben von Jesus – es müsste uns alles noch ein bisschen mehr aufregen.