Glaubensgespräche, Folge 6: Der Atheist und der Katholik

"Ich habe mit dem Begriff 'Glauben' ein Problem"

Veröffentlicht am 20.11.2017 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Eduard Habsburg und Alexander Waschkau im Petersdom.
Bild: © privat
Serie

Bonn ‐ Alexander Waschkau ist Atheist, Eduard Habsburg-Lothringen Katholik - und beide sind gute Freunde. Für das letzte "Glaubensgespräch" haben sie sich darüber unterhalten, was ihnen im Leben Kraft gibt.

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Für den letzten Teil der Serie "Glaubensgespräche" diskutieren der Atheist Alexander Waschkau (41) und der Katholik Eduard von Habsburg-Lothringen (50) miteinander. Der Hamburger Psychologe und der Botschafter Ungarns beim Heiligen Stuhl haben sich über den Podcast "Hoaxilla" von Alexander Waschkau und seiner Frau Alexa kennengelernt, über den sie Diskussionen führten. Seit fast vier Jahren machen sie selbst gemeinsam Podcasts zum Thema "Glaubenssache. Atheismus und Katholizismus im Diskurs". Das sechste Glaubensgespräch findet, wegen der großen Entfernung, über Skype statt. Schon vor der ersten Frage entspinnt sich eine lebhafte Diskussion.

Eduard Habsburg-Lothringen: Unsere gemeinsame Theorie ist, dass, obwohl der eine glaubt und der andere nicht, Alexander und ich in unseren Grundprinzipien sehr nahe sind.

Frage: Woran glauben Sie denn?

Habsburg-Lothringen: Ich glaube, dass es einen Gott gibt, der nicht nur die ganze Welt, sondern auch mich erschaffen hat, der mich schrecklich gern hat und sehr gut kennt. Ich glaube also an eine persönliche Beziehung zu jemandem, mit dem man sein Leben verbringen kann. Das hat natürlich Konsequenzen für meinen Alltag und mein Verhalten, denn ich muss meinen Glauben leben, sodass es für andere spürbar ist. Ich versuche also, andere Menschen zu lieben, so gut ich kann, weil ich als Christ glaube, dass Gott das von mir möchte.

Alexander Waschkau: Ich habe mit dem Begriff "Glauben" ein Problem und würde die Frage für mich umformulieren: Ich bin der Überzeugung, dass es keine höhere Macht gibt, die auf irgendeine Weise in einer Beziehung zu mir oder anderen Menschen steht. Zeitgleich bin ich der Überzeugung, dass die Menschheit insgesamt besser funktionieren würde, wenn wir alle humanistische Grundprinzipien annähmen. Wenn ich zu jedem Menschen, dem ich begegne, gut wäre, und er mir gegenüber auch gut wäre, hätten wir das Paradies auf Erden, um diesen religiösen Begriff zu entlehnen. Wenn alle Menschen humanistischen Grundprinzipien anhängen würden, bräuchten wir nicht unbedingt eine Religion. Es gibt Elemente der Religion, die dem Humanismus sehr nahe kommen, wie die Zehn Gebote. Weiter kondensiert wäre das der Kategorische Imperativ von Immanuel Kant, also nur nach der Maxime zu handeln, die jederzeit zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzgebung gelten könnte. Man muss also nicht gläubig sein, um die Zehn Gebote als gute Vorgaben zu sehen. Wenn sich alle an sie hielten, wären wir auch schon ein Stück weiter.

Habsburg-Lothringen: Du hast gerade gesagt, wenn wir alle Humanisten wären, bräuchte man die Religion nicht. Ich könnte das wieder umdrehen und sagen: Wenn es die Religion nicht gäbe, würde es wahrscheinlich den Humanismus nicht geben.

Waschkau: Den Wert des Glaubens brauchen wir nicht zu diskutieren. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass wir den Glauben nicht mehr als Regulativ benötigen.

„Der Glaube ist wie eine Halteschlaufe in der Straßenbahn, die mich stützt.“

—  Zitat: Eduard Habsburg-Lothringen

Habsburg-Lothringen: Ich sehe da das Problem, dass der Mensch nicht so hehr und aufrecht ist. Wenn es eng wird, reicht vielleicht die Güte des Menschen nicht so weit, dass er seine humanistischen Prinzipien bis in den Tod weiterträgt. In solchen Grenzmomenten tut der religiöse Mensch mit seinem Blick auf ein Jenseits eventuell eher Dinge, die ihn über sich hinauswachsen lassen - aber auch im negativen Sinne, zum Beispiel bei islamistischen Gotteskriegern. Es kann sein, dass das eine Charakterfrage unabhängig vom Glauben ist. Ich bin mir aber sicher, dass der Glaube einen dazu bringen kann, den inneren Schweinehund zu überwinden.

Waschkau: Natürlich ist Glaube ein großer Motivationsfaktor. Denn in manchen Situationen ist es ganz schön anstrengend, keinen Glauben zu haben. Ich habe Anfang des Jahres meine Mutter verloren. Es war schwierig, damit umzugehen. Das Ende des Lebens ist das maximal Unbekannte. Niemand möchte nicht mehr sein, weil wir uns durch unsere Existenz definieren. Ich kann jeden Menschen verstehen, der gerade bei den Themen Tod und Verlust beginnt, wieder aktiver zu glauben. Das soll aber nicht heißen, dass gläubige Menschen feige sind, weil sie sich zurückziehen und sagen können, dass es weitergeht. Allerdings glaube ich, dass Eduard in seiner Lebensanschauung den etwas bequemeren Lebensweg hat.

Habsburg-Lothringen: Das stimmt. Der Glaube ist da so wie eine Halteschlaufe in der Straßenbahn, die mich stützt. Ich begebe mich sozusagen in ein Korsett, das seit 2.000 Jahren Menschen durch Grenzerfahrungen führt. Die Kirche hat Erfahrung mit Tod, Leiden, aber auch mit Familie, Ehe oder Geburt. Und das ist in gewisser Weise beruhigend und entspannend. Jemand, der nicht glaubt, hat das nicht - und macht es sich dadurch schwerer. Ich habe großen Respekt vor jedem Menschen, der diesen Weg gehen will.

Frage: Wie sind Sie denn zu Ihrem Glauben gekommen?

Habsburg-Lothringen: Ich habe mein ganzes Leben hindurch den Glauben als etwas Positives erfahren – durch meine Eltern, durch die ersten Erfahrungen mit Kirche, besonders auch durch zwei Brüder meines Großvaters, die Jesuiten waren. Einer davon war über Jahre mein Beichtvater; er war gütig, liebevoll, ja mütterlich. Mir wurde der Glaube auch nicht aufgepfropft. Zwar wurden wir jeden Sonntag zur Messe mitgenommen, aber uns wurde auch erklärt, was die Idee davon ist. Ich hatte eine Glaubenskrise zwischen dem 13. und dem 18. Lebensjahr, während der ich das alles in Frage gestellt habe. Für mich hat das allerdings gepasst – und das ist ein großes Geschenk. Spannender ist für mich die Frage, wie ich dabeigeblieben bin. Denn Glaube entwickelt sich weiter. Es gibt gewisse Konstanten, aber man macht die verschiedensten Phasen durch.

Waschkau: Etwas, was mir erst in der Auseinandersetzung mit Eduard bewusst geworden ist, ist, dass Atheisten in der Regel auf der Sachebene argumentieren und Glaubende auf der Beziehungsebene. Ich habe realisiert, wie echt die Beziehung und der Austausch mit Gott für einen glaubenden Menschen sein können. Das hat mir sehr für das Verständnis geholfen.

Habsburg-Lothringen: Das sind zum Teil Beziehungen, die bis in die Kindheit zurückgehen und etwas ganz intimes. Deswegen regen wir Katholiken uns auch auf, wenn jemand etwas vulgäres über die Muttergottes sagt. Das tut weh. Es ist wie als wenn der Ehepartner beleidigt würde.

Ein Screenshot aus dem Skype-Videochat zum Glaubensgespräch.
Bild: ©katholisch.de

Frage: Wovon sind Sie überzeugt, Herr Waschkau?

Waschkau: Tatsächlich bin ich getaufter Protestant und wurde auch konfirmiert. Meine Familie würde ich als christlich bezeichnen, der Glaube wurde aber nicht gelebt. Ich war naiv gläubig: Ich habe eine göttliche Existenz angenommen und es wenig hinterfragt. Der Konfirmationsunterricht war dann auch die Zeit, die mich hat kritisch werden lassen. Ein Anlass war eine banale Situation: Wir haben gebetet. Ich war in innerer Einkehr, hatte aber nicht meine Hände gefaltet. Da bin ich von meinem Pastor dazu ermahnt worden. Er hat erklärt, damit zeige ich meinen Respekt vor Gott. Das hat einen Prozess bei mir ausgelöst: Ich rede doch gerade mit Gott und verhalte mich dabei nicht respektlos. Warum muss mir dann jemand erklären, wie ich mein privates Verhältnis zu ihm gestalte? Über die Jahre habe ich mich immer mehr dem wissenschaftlich-kritischen Denken zugewandt, bin dann Agnostiker geworden. Das war eine sehr lange Reise, bis ich gesagt habe, dass ich Atheist bin. Dieser letzte Schritt ist für mich mit einem großen Verlust verbunden gewesen, wie ich eben schon erzählt habe. Und diese Lücke ist auch nicht zu füllen, dessen muss man sich bewusst sein.

Frage: Wie prägt denn der Glaube Ihr Leben?

Waschkau: Es heißt ja oft, Atheisten seien bequem und müssten sich an keine Regeln halten. Genau so ist das für mich nicht. Dadurch, dass für mich mit dem Tod alles vorbei ist, fühle ich mich verpflichtet, in der Zeit, die ich auf diesem Planeten habe, zu wirken. Ich habe mich dazu entschlossen, positiv zu wirken.

Habsburg-Lothringen: Was machst du, wenn du keine Lust hast, gut zu sein? Was bringt dich dazu, gut zu sein?

Waschkau: Ich bin nicht immer ein guter Mensch, das wäre gelogen. Aber ich schaue abends in den Spiegel, beim Zähneputzen, und überlege mir, wie der Tag war und was besser hätte laufen können. Das ist dann durchaus unangenehm. Ich versuche, ehrlich mit mir zu sein und Dinge, die nicht gut gelaufen sind, wieder glatt zu ziehen. Wenn man Mist gebaut hat, muss man es auch eingestehen.

Habsburg-Lothringen: Mein Glaube zeigt sich im Alltag dadurch, dass ich versuche, mir viel Zeit für das Gebet abzuknapsen. Für mich ist das der Treibstoff, die Pflege für meine Beziehung zu Gott. Seit zwei Jahren bete ich jeden Morgen die Laudes. Damit klinke ich mich ein in Gebete, die ein paar Tausend Jahre alt sind. Das gelingt mal besser, mal schlechter. Es ist unbeschreiblich, wie viele Ausflüchte man findet, um nicht zu beten, weil es auch bedeutet, sich selbst ins Herz zu schauen. Und natürlich versuche auch ich, wie der Alexander, im Alltag gut zu sein. Außerdem bemühe ich mich, meinen Glauben weiterzugeben, weil ich ihn so positiv empfinde.

„Die Theodizee ist eine Frage, die ich mit dem Nichtglauben beantwortet habe.“

—  Zitat: Alexander Waschkau

Frage: Was bringt denn umgekehrt Sie dazu, gut zu sein, wenn Sie keine Lust darauf haben?

Habsburg-Lothringen: Wenn ich keine Lust habe, gut zu sein, dann bin ich es manchmal auch nicht. Darüber freue ich mich dann aber nicht, sondern versuche, es besser zu machen. Dass ich mich unter dem Blick Gottes sehe, motiviert mich. Außerdem haben wir Katholiken ja die Beichte und das, was wir geistliche Leitung nennen. Dabei redet man mit dem Priester über seine Sünden und darüber, ob man versucht hat, besser zu werden, ob man an sich gearbeitet hat. Das ist natürlich auch eine Motivation. Den inneren Schweinehund überwinde ich aber nicht aus Angst vor Gott oder der Hölle, sondern weil es für mich zu einem christlichen Leben dazugehört. Und weil ich weiß, dass es mein Leben und das der anderen besser macht.

Frage: Wonach suchen Sie?

Habsburg-Lothringen: Das sind zwei Sachen: Das eine ist das große Thema Sterben. Ich bin jetzt 50 Jahre alt und habe mich damit eigentlich noch gar nicht befasst, aber das werde ich zwangsläufig müssen. Und das andere ist das Thema Leid. Wie kann man mit der Theodizee umgehen, also der Frage, warum Gott Leid zulässt? Wie kann man Menschen helfen, die fassungslos in tiefer Trauer sind und diese Frage stellen? Da ringe ich noch um Antworten, gerade um solche ohne Floskeln.

Waschkau: Die Theodizee ist eine Frage, die ich mit dem Nichtglauben beantwortet habe. Aber auch ich stelle mir die Frage, wie man mit Leid umgehen sollte. Darauf habe ich keine Antwort und fühle mich manchmal überfordert. Ich helfe mir damit, dass ich sage, dass ich nur in meinem kleinen Kreis etwas bewegen kann.

Frage: Und wonach suchen Sie?

Waschkau: Ich suche nach wie vor nach einer Möglichkeit, die Welt zu einer besseren zu machen. Dafür versuche ich, mit aufrichtigen Menschen, die humanistische Grundprinzipien haben, Allianzen zu schließen – egal, ob sie gläubig sind oder nicht. Außerdem habe ich mir eine Reihe von Zielen gesteckt, für die ich etwas bewegen will. Das ist für mich Teil der Frage nach dem Sinn des Lebens. Nach meinem Verständnis bin ich hier, weil ich das Produkt eines unfassbar großen Zufalls bin. Die Frage, was ich nun mit meinem Leben anfange, habe ich damit beantwortet, dass ich es sinnvoll verbringen will. In diesem Sinne will ich Einfluss nehmen, Menschen erreichen, zum Beispiel mit den Podcasts.

Ein Screenshot aus dem Skype-Videochat zum Glaubensgespräch.
Bild: ©katholisch.de

Frage: Haben Sie Zweifel? Und wenn ja, wie gehen Sie damit um?

Habsburg-Lothringen: Als ich meine Glaubenskrise hatte, haben mir interessanterweise nicht Argumente geholfen, sondern Menschen, die mich angeschaut und gesagt haben: "Du kannst mir vertrauen, es stimmt: Gott liebt dich. Ich glaube das." Das waren Menschen, denen ich das abgenommen habe. Das hat mich wahnsinnig getragen. Auch heute noch habe ich Glaubenszweifel. Die Möglichkeit, dass das alles, woran ich glaube, nicht stimmt, geht immer zwei Schritte neben mir her. In diesen Momenten helfen mir ganz einfache Gebete aus der Kindheit oder Gesten wie das Knien in der Kirche.

Waschkau: Ich bin überzeugt, dass der Weg, den ich gehe, der Richtige ist. Als meine Mutter gestorben ist, die gläubig war, kam bei mir allerdings die Frage auf, inwieweit ich meinen Prinzipien treu bleibe oder ob ich mich verrenke. Ich bin mir dann treu geblieben, aber war sehr froh, dass ich meiner Mutter sagen konnte, dass zum Beispiel Eduard für sie betet. Das hat ihr viel bedeutet. Mir hat es sehr schmerzhaft meinen Atheismus vor Augen geführt, weil ich meine Mutter auf dieser Ebene nicht trösten konnte. Rückblickend glaube ich aber, dass meine Mutter es angenommen hat, dass ich sie nicht angelogen habe, sondern dass ich meinen Überzeugungen treu geblieben bin und sie dennoch nicht alleingelassen habe.

Von Johanna Heckeley

Dossier: Glaubensgespräche

Zwei Menschen, zwei Generationen, zwei Biografien: In der Serie "Glaubensgespräche" sprechen jeweils zwei Christen über ihren Glauben und ihr Leben, über Suche und Zweifel. Die Gespräche hat katholisch.de - in Kooperation mit den "Katechetischen Blättern" - moderiert.

Kooperation mit den Katechetischen Blättern

Unsere Serie "Glaubensgespräche" ist ein Projekt in Kooperation mit den Katechetischen Blättern (Zeitschrift für Religionsunterricht, Gemeindekatechese, Kirchliche Jugendarbeit). In der Rubrik "Akzent" erscheint 2017 in jeder Ausgabe ein Ausschnitt aus dem Gespräch, dass Sie hier in Gänze lesen können.