"Wir brauchen Vertrauen in die Treue Gottes"
Sie kommen aus der gleichen Familie, aber aus zwei verschiedenen Generationen: Irmgard Michalek (75) ist die Großmutter von Mirjam Michalek (22). Nun sitzen sie am Esstisch in der Wohngemeinschaft der Studentin und diskutieren für die fünfte Folge der Serie "Glaubensgespräche" über ihren Glauben.
Frage: Woran glauben Sie?
Irmgard Michalek: Ich glaube an einen gnädigen, barmherzigen und gütigen Gott, der die Menschen liebt.
Mirjam Michalek: Ganz so präzise definiert habe ich es nicht. Du hattest dafür aber auch schon viel mehr Zeit! [beide lachen] Ich glaube, dass es da irgendwen gibt, in irgendeiner Form, der mich lieb hat – egal, was ich mache. Es ist bei mir also eher eine Gefühlssache. Aber das deckt sich doch ungefähr mit dem, was du gesagt hast! Ich würde es nur anders ausdrücken.
Irmgard Michalek: Dass ich Gott so beschreibe, kommt daher, dass meine Familie ursprünglich aus Tschechien kommt. Ich bin also "böhmisch-katholisch" und daher liberaler in manchen Dingen. Zum Beispiel sagen wir: Hauptsache, hinter einer Tat steckt der gute Wille, dann ist es schon in Ordnung. Es ist auch akzeptabel, dass man mal nicht am Sonntagsgottesdienst teilnimmt, weil man beispielsweise für die Großmutter sorgt, wenn das gerade wichtiger ist – das war auch schon in meiner Kindheit so, als das Sonntagsgebot noch ganz streng befolgt wurde. Meine Eltern haben damals gesagt, dass es auch Gottesdienst ist, sich um die Großmutter zu kümmern, nur eben in einer anderen Form. Für mich äußert sich darin eben der gnädige, barmherzige, gütige und liebende Gott, der das versteht. Und wenn ich das eben so gesagt habe – wie aus der Pistole geschossen –, dann ist das keine Plattitüde, sondern etwas, was ich schon mehrfach durchlebt habe.
Frage: Wie sind Sie dazu gekommen, das zu glauben, was Sie heute glauben?
Irmgard Michalek: Ich war, wie Mirjam auch, bei den Pfadfindern. Die haben ja ein gewisses Gepräge, der Dienst am Nächsten, das Miteinander und das Religiöse haben einen sehr hohen Stellenwert. Dazu kam, dass ich bei der Jungen Aktion, also dem Jugendverband der Ackermann-Gemeinde, war. Die Ackermann-Gemeinde ist ein Verband, der sich für die Versöhnung von Deutschen, Tschechen, Slowaken und ein vereintes Europa einsetzt. Beides hat mir geholfen, meinen Horizont zu erweitern, denn ich bin bei Ordensfrauen auf die Schule gegangen. Das, was ich dort gelernt habe, war doch immer sehr nah am Katechismus.
Hier muss ich wohl einfügen, dass ich immer sehr an theologischen Fragen interessiert war und dann an der Pädagogischen Hochschule auch die "missio canonica", also die Lehrbeauftragung, erworben habe und 15 Jahre katholische Religion an der Freien Waldorfschule und an der Grund-und Hauptschule unterrichtete. Viel hat sich mir im Gesprächsaustausch mit unserer Gemeindereferentin erschlossen. Sehr geprägt hat mich auch der Pastoralkurs, an dessen Ende wir nach unserem Bild von Kirche gefragt wurden. Ich dachte da an Jesus bei der wundersamen Brotvermehrung. Er sagt zu seinen Jüngern: "Gebt ihr ihnen zu essen." Die Jünger sollen also an Jesu' statt für andere da sein. Das "für" war da für mich das zündende Wort.
Mirjam Michalek: Ich bin mit dem Glauben groß geworden und habe schon als Kind viel Zeit in Kirchen verbracht: Mein Vater ist Diakon, meine Eltern haben sich im Theologiestudium kennengelernt. Der Glaube war also immer Thema, aber nie ein Zwang. Gerade meine Mutter, die dieses Studium abgebrochen hat, hat einen kritischen Zugang dazu. Mit beiden kann man offen und auch kontrovers diskutieren. Diskussionen beim Essen und manchmal bis tief in die Nacht gehörten für mich also immer dazu. Dadurch fühle ich mich im Glauben zuhause. Außerdem bin ich auch bei den Pfadfindern aktiv. So kann ich meinen Glauben leben, denn Glaube hat für mich zwangsläufig mit Gemeinschaft zu tun. Auf meinen Reisen nach Taizé konnte ich mich intensiv mit meinem Glauben auseinandersetzen. Nicht nur die Möglichkeit, dort mit anderen Jugendlichen und den Brüdern ins Gespräch zu kommen, sondern auch die Liturgieform mit meditativen Gesängen gefällt mir sehr gut. Aus all dem kann ich Kraft schöpfen, es tut mir gut.
Irmgard Michalek: Wir haben aber auch das Glück, dass wir mit "unserer" Kirche so gute Erfahrungen gemacht haben. Manche, die mit dem Glauben nur starre Regeln und Drohgebärden verbinden, können sich in der Kirche ja gar nicht mehr wohlfühlen.
Mirjam Michalek: Das finde ich so schade! Und es ist bedauerlich, dass Glaube in meiner Generation fast schon ein Tabuthema ist. Darüber redet keiner mehr! Von mir aus muss man ja auch nicht gläubig sein, aber es wäre doch gut, wenn jeder die Möglichkeit hätte, auszuprobieren, ob es ihm etwas bringt. Das ist das Tolle bei den Pfadfindern: Da gibt es die Möglichkeit, Leute zu erreichen, die mit der Kirche nichts am Hut haben, um ihnen eine unkonventionellere Seite des Glaubens zu zeigen.
Frage: Wie prägt Ihr Glaube Ihren Alltag?
Mirjam Michalek: Ich habe ein großes Grundvertrauen, dass alles gut ausgeht. Das kommt auch durch meinem Glauben: Da ist einer, der schon dafür sorgen wird, dass es funktioniert. Und das zeigt sich auch in meiner Lebenseinstellung. Ich frage mich oft, was ich diesem oder jenem Positives abgewinnen kann. Denn wenn Gott jeden Menschen liebt, dann wird er damit schon Recht haben und ich sollte nach Kräften versuchen, in allem und jedem etwas Gutes zu finden. Aber das ist nicht immer leicht, da muss ich bewusst dran arbeiten. Im Alltag habe ich keine festen Gebetszeiten. Gott ist für mich jemand, mit dem ich einfach reden kann, wann und wie es mir passt.
Irmgard Michalek: Seit drei Jahren bin ich verwitwet und habe seitdem ein Morgenritual: Vor dem Frühstück zünde ich eine Kerze an und spreche ein Gebet, in dem ich meine vier Kinder und zehn Enkelkinder Gott anempfehle, damit er für sie sorgt. Ich selbst kann doch nur so wenig für sie machen und muss mich ja auch bei einigem raushalten. Da ist dieses Ritual für mich wichtig: Dann ist alles in Gottes Hand und ich muss mich nicht mehr so sehr sorgen. Vor dem Mittagessen und vor dem Schlafengehen bete ich auch, aber nicht lange – ich mache ein Kreuzzeichen. Ansonsten zeigt sich mein Glaube eher im Handeln – dieses "für", von dem ich da eben gesprochen habe. Ich helfe zum Beispiel einem Flüchtling aus Syrien bin Mitveranstalterin des "offenen Weihnachtsabends" für Alleinstehende, den Caritas und Diakonie an Heiligabend anbieten. Es lässt mich nicht in Ruhe, wenn ich weiß, dass ich noch gebraucht werde. So bin ich auch im Pfarrgemeinderat, Dekanatsrat und Diözesanrat tätig.
Mirjam Michalek: Das ist bei mir genauso! Für andere da zu sein und ihnen zu helfen, gehört für mich wie selbstverständlich dazu. Ich engagiere mich ehrenamtlich: Ich bin bei den Pfadfindern im Rover-Arbeitskreis auf Diözesanebene. Dort vertreten wir die 16 bis 20-Jährigen und organisieren Aktionen – egal, ob das ein Lager am Bodensee ist oder ein Stationenlauf. Für mich ist Glaube keine Privatsache. Ich stehe dazu, auch in der Öffentlichkeit, und finde es enorm wichtig, Glaube zum Thema zu machen. Mir ist es ein großes Anliegen, anderen zu ermöglichen, es auszuprobieren, ob ihnen Glaube genauso gut tut wie mir.
Frage: Wonach suchen Sie?
Irmgard Michalek: Nach einer Vorstellung der Auferstehung der Toten vielleicht. [lacht] Aber sonst suche ich eigentlich nach nichts, ich habe ja alles. Damit kann ich leben, und ich hoffe, dass ich damit auch sterbe. [kurzes Schweigen] Manchmal komme ich mir oberflächlich vor, weil andere Menschen so viele religiöse Probleme haben und viel hinterfragen. Das hatte ich noch nie. Dann zweifle ich an der Echtheit meines Glaubens. [beide lachen]
Mirjam Michalek: Du sprichst mir gerade aus der Seele! Wenn ich von meiner Gottesvorstellung erzähle, also dass da jemand ist, der mich uneingeschränkt liebt, dann frage ich mich schon manchmal, was meinen Glauben von dem einer Fünfjährigen unterscheidet. Dann muss ich mich vor mir selbst rechtfertigen, weil ich ja schon viel drüber nachgedacht habe und immer wieder darauf zurückgekommen bin, dass das genau das ist, was mir wichtig ist: Da ist jemand, der mich uneingeschränkt liebt! Wirklich bewusst geworden ist mir das bei Gesprächen mit Ordensbrüdern in Taizé. Einige von ihnen haben erzählt, dass die Liebe Gottes in ihrem Glauben eine sehr wichtige Rolle spielt. Und so ist es bei mir auch: Für mich ist Glaube keine Kopfsache. Aber das musste ich erst über den Umweg, meinen Kopf, feststellen.
Irmgard Michalek: Ich habe von einem Alttestamentler eine Interpretation des Wortes Liebe gehört: Es heiße, aus dem Kontext genommen, nichts anderes als mitmachen, mittragen, mittun. Eine schöne Deutung, die ein bisschen aus dem Gefühlsbereich herausgeht.
Mirjam Michalek: So gesehen suche ich nichts. Ich finde zwar, dass man nicht auf der Stelle stehen bleiben sollte, aber solange man noch offen für Neues ist, kann man doch mit dem zufrieden sein, was man hat.
Irmgard Michalek: Wenn neue Impulse kommen, bin ich sogar sehr glücklich! Ich betreue in einem Katechumenatskreis erwachsene Taufbewerber. Durch sie lerne ich immer wieder neue Perspektiven kennen. Da wird einem viel zugetragen, ganz ohne zu suchen.
Frage: Haben Sie Zweifel? Und wenn ja, wie gehen Sie damit um?
Mirjam Michalek: Ich war in der Schule immer mit den Zweifeln meiner Mitschülerinnen und Mitschüler konfrontiert. Sie haben mir ganz klassische Fragen gestellt, zum Beispiel, wie ich an einen guten Gott glauben kann, wenn er so viel Schmerz und Elend zulässt. Und warum Gott nichts gegen das Böse unternimmt. Darauf hatte ich nie eine Antwort, obwohl ich immer dachte, dass ich es beantworten können sollte. Aber ich hatte auch das Gefühl, dass das eine Frage der anderen war. Für mich hat das irgendwie immer gepasst. Zweifel hatte ich selbst keine.
Irmgard Michalek: Ich würde das so beantworten: Es ist die große Katastrophe Gottes, dass er wegen seiner Liebe machtlos ist. Denn das, was an Elend passiert, passiert ja nur durch uns Menschen, weil wir uns frei entscheiden können. Aber Gott lässt uns diese Freiheit, zu entscheiden – aus Liebe. Mich hat das allerdings nie erschüttert.
Mirjam Michalek: Mir geht es genauso. Indem ich so viel Glück durch meinen Glauben erfahre, kann da von mir aus auch ruhig etwas sein, was ich nicht erklären kann.
Irmgard Michalek: Man weiß ja auch nie, wie etwas letztendlich ausgehen wird. Vielleicht wendet sich etwas, was heute noch schlecht ist, morgen ins Gute. Wir brauchen dafür das Vertrauen in die Treue Gottes. Das tut gut. Und es ist das Letzte, was wir haben, wenn wir die Augen für immer schließen.