Kardinal Faulhaber: Kirchenfürst in Krisenzeiten, Reizfigur bis heute
War der Kirchenmann, der das Erzbistum München und Freising durch zwei Weltkriege lenkte, ein Widerständler gegen die NS-Diktatur? Oder eine verkappte Stütze Hitlers? Ein zeitlebens mit der Demokratie fremdelnder autoritärer Knochen? Oder ein Monarchist, der sich spät zum "Vernunftrepublikaner" wandelte?
Zum 150. Geburtstag von Michael Faulhaber am 5. März werden die Debatten um den gleichermaßen Verehrten wie Angefeindeten auch 2019 weitergehen. Für ein abschließendes Urteil über die "vielschichtige Persönlichkeit" und ihr oft ambivalentes Agieren ist es nach Ansicht des langjährigen früheren Münchner Diözesanarchivars Peter Pfister aber noch zu früh.
Der Unterfranke wird 1869 in die Familie eines Bäckers hineingeboren. Die Monarchie ist ihm die selbstverständliche Staatsform. Vom Militär fühlt er sich angezogen, nach freiwilligem Wehrdienst steht ihm die Offizierslaufbahn offen, doch sein Weg führt ins Priesterseminar.
Der letzte königlich-bayerische Erzbischof
Die Wittelsbacher befördern den jungen Straßburger Professor für Altes Testament 1910 zum Bischof von Speyer, das damals noch zu Bayern gehört. Sie erheben ihn in den Adelsstand und holen ihn 1917 nach München. So wird Faulhaber zum letzten "königlich-bayerischen Erzbischof". Als predigender Feldpropst hat er nach 1914 den Krieg theologisch gerechtfertigt und als erster Bischof das Eiserne Kreuz erhalten. Später wird er als Rüstungskritiker von sich reden machen.
Ein selbstbewusster, sprachgewandter und weit gereister Kirchenfürst - so erleben ihn seine Zeitgenossen. Vom zerbrechlichen Innenleben hinter dieser Fassade künden seine erst seit kurzem zugängliche Tagebücher: Dort hält der Erzbischof fest, wer ihn nervt, was ihm Kopfschmerzen bereitet und in Todesangst versetzt, zum Beispiel am 8. November 1918, drei Tage vor Ende des Ersten Weltkriegs: Das Herzklopfen höre nicht auf, er sei "entschlossen zum Sterben". Nach dem Rücktritt des deutschen Kaisers Wilhelm II. wird Faulhaber von Weinkrämpfen geschüttelt. Für ihn ist eine Welt zusammengebrochen.
Kein Glockengeläut für Friedrich Ebert
Dass der erklärte Antikommunist kein Freund der roten Umstürzler war, wussten die Historiker schon länger. Hinter der Räterepublik sieht der Kardinal "Meineid und Hochverrat" am Werk. Erst durch seine Notizen wird bekannt, dass er in den Revolutionswirren monatelang um sein Leben fürchtete. Zum Tod von Reichspräsident Friedrich Ebert verweigert er 1925 das Glockengeläut mit der Begründung, der Sozialdemokrat sei "Führer einer grundsätzlich religions- und kirchenfeindlichen Partei".
Die Nazi-Ideologie lehnt Faulhaber frühzeitig als "gottlos" ab. Das hindert ihn nicht, dem "Führer" Ergebenheitsadressen zu senden, wenn dieser wieder einem Attentat entkommen ist. Diplomatisches Manöver oder Ausdruck echter Loyalität zur Obrigkeit? Faulhaber schreibt 1937 den Entwurf für die NS-kritische Enzyklika "Mit brennender Sorge" für Papst Pius XI., aber zu einer grundsätzlichen Verweigerung gegenüber dem Hitler-Regime kann er sich nicht durchringen.
Ein Bischof in Grauschattierungen
Als im November 1938 die Synagogen brennen, wird auch das Erzbischöfliche Palais in München beinahe gestürmt. Für die Braunhemden ist der Anführer der "Schwarzen" ein ernster Gegner. Ihrem mörderischen Euthanasieprogramm tritt er allerdings nicht offen entgegen, obwohl es auch einen seiner Brüder bedroht.
Gäbe es ein Bild von Faulhaber zu zeichnen, der Theologe und Historiker Peter Pfister würde der lange dominanten Schwarz-Weiß-Malerei "differenzierte Grauschattierungen" entgegensetzen. Bevor eine umfassende Biografie erscheinen kann, wird es noch etliche Einzelstudien geben. So ist etwa Faulhabers Wirken nach 1945 bis zu seinem Tod am Fronleichnamstag 1952 noch kaum beleuchtet.
Die Quellenlage hat sich in den letzten 20 Jahren grundlegend verbessert. Bis 2002 wurden auf 130 Regalmetern im Erzbischöflichen Archiv alle Akten zu seiner Amtsführung erschlossen. Erst 2012 tauchten seine akribisch geführten Besuchstagebücher wieder auf. Sie werden derzeit online ediert. Wer die Gabelsberger-Kurzschrift nicht beherrscht, muss sich gedulden. Der "ganze Faulhaber" wird erst 2024 vorliegen.