Bernhard Lichtenberg: Der Dompropst, der den Nazis die Stirn bot
Das Pogrom gegen die Synagogen war noch nicht zu Ende, die Feuer in den jüdischen Gotteshäusern noch nicht gelöscht, da bestieg Dompropst Bernhard Lichtenberg die Kanzel in der Berliner Sankt-Hedwigs-Kathedrale und solidarisierte sich mit den Juden in Deutschland: "Was gestern war, wissen wir. Was morgen ist, wissen wir nicht. Aber was heute geschehen ist, haben wir erlebt: Draußen brennt der Tempel. Das ist auch ein Gotteshaus", sagte Lichtenberg am Abend des 9. November 1938.
Von diesem Tag an betete der Geistliche täglich für die Juden, die Christen jüdischer Abstammung und andere Opfer des NS-Regimes – bis er am 23. Oktober 1941 von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) festgenommen wurde. Dabei fanden die Beamten eine vorbereitete Kanzelvermeldung, in der Lichtenberg die Gläubigen dazu aufrief, einem vom NS-Propagandaministerium verbreiteten Flugblatt, in dem jede Unterstützung von Juden als "Verrat am eigenen Volk" bezeichnet wurde, keinen Glauben zu schenken. "Handelt auch in diesen unchristlichen Zeiten nach dem strengen Gebot Jesu Christi: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst", hieß es in dem Manuskript.
Im Verhör nannte Lichtenberg "Mein Kampf" unchristlich
Bei einem Verhör nach seiner Verhaftung weigerte sich Lichtenberg, seine Worte zurückzunehmen – im Gegenteil: Als er zu einem bei ihm gefundenen Exemplar von Adolf Hitlers Buch "Mein Kampf" befragt wurde, erwiderte Lichtenberg, dass er als katholischer Priester verpflichtet sei, der in dem Buch dargelegten Weltanschauung zu widersprechen, da sie unchristlich sei. Darüber hinaus betonte er, dass er im Juden seinen Nächsten erkenne, "der eine unsterbliche, nach dem Bild und Gleichnis Gottes geschaffene Seele" besitze.
Von den Nazis als "unbelehrbarer Fanatiker" eingestuft, verurteilte ein Sondergericht den Dompropst im Mai 1942 unter Ausschluss der Öffentlichkeit wegen "Kanzelmissbrauchs" und Verstößen gegen das "Heimtückegesetz" zu zwei Jahren Gefängnis. Befragt, ob er vor der Urteilsverkündung noch etwas zu seiner Verteidigung vorzubringen habe, sagte Lichtenberg: "Ich gebe der Überzeugung Ausdruck, dass der Staat durch einen für die Juden betenden Bürger keinen Schaden erleide."
Gegen Ende von Lichtenbergs Haftzeit besuchte der Berliner Bischof Konrad Graf von Preysing den Dompropst im Gefängnis. Dabei überbrachte der Bischof ihm das Angebot der Gestapo, ihn unter der Voraussetzung freizulassen, dass er für die restliche Dauer des Zweiten Weltkriegs nicht mehr predige – eine Offerte, die Lichtenberg ablehnte.
Gestorben auf dem Weg ins Konzentrationslager
Stattdessen wurde der 67-Jährige unmittelbar nach dem Ende seiner regulären Haftstrafe in "Schutzhaft" genommen und seine Deportation in das Konzentrationslager Dachau verfügt. Auf dem Weg dorthin verstarb der schwer herz- und nierenkranke Geistliche am 5. November 1943 in Hof. Die Polizei in der fränkischen Stadt gab den Leichnam frei, bevor die Gestapo eingreifen konnte. Am 11. November wurde Lichtenbergs Leiche nach Berlin gebracht und dort fünf Tage später unter großer Anteilnahme der Bevölkerung beerdigt.
Geboren wurde der Geistliche am 3. Dezember 1875 im niederschlesischen Ohlau. Nach einem dreijährigen Theologiestudium in Innsbruck und Breslau und der anschließenden Priesterweihe in Breslau war Lichtenberg ab 1900 als Kaplan, Kurat und schließlich als Pfarrer in verschiedenen Gemeinden in Berlin tätig. Nach der Gründung des Bistums Berlin wurde er 1932 zunächst zum Dompfarrer der Hedwigs-Kathedrale berufen und sechs Jahre später zum Dompropst ernannt. Daneben engagierte sich Lichtenberg auch politisch: Von 1913 bis 1920, saß er für die Zentrumspartei im Charlottenburger Stadtparlament, und von 1920 bis 1930 war er Bezirksabgeordneter im Wedding.
Schon Anfang der 1930er Jahre hetzte Joseph Goebbels als damaliger Gauleiter von Berlin gegen Lichtenberg, und 1933 wurde von der Gestapo erstmals dessen Wohnung durchsucht. Doch der Dompropst ließ sich nicht einschüchtern. Als er 1935 von den unmenschlichen Zuständen im Konzentrationslager Esterwegen erfuhr, protestierte er bei den NS-Behörden. In der Folge wurde Lichtenberg wegen "Verbreitung von Gräuelpropaganda" von der Gestapo verhört und misshandelt, die Quelle seiner Informationen gab er jedoch nicht preis.
Lichtenberg soll baldmöglichst heiliggesprochen werden
"Er wusste immer, was er riskierte – mit seinen Protesten, seinen Briefen und Predigten gegen staatliches Unrecht und menschenverachtende Gewalt", betonte Tobias Przytarski, Lichtenbergs heutiger Nachfolger als Dompropst 2018. Lichtenberg habe das christliche Liebesgebot "ohne jede Einschränkung durch Religion, Rasse oder Herkunft ernst genommen", würdigte ihn auch der Berliner Erzbischof Heiner Koch.
1996 wurde Lichtenberg als Märtyrer durch Papst Johannes Paul II. bei dessen Berlin-Besuch im Olympiastadion seliggesprochen. Der Dompropst ist der erste seliggesprochene Priester des Erzbistums Berlin – und soll nach dem Willen der Diözese möglichst bald heiliggesprochen werden. Damit wäre seine weltweite Verehrung in der katholischen Kirche verbunden. Über Deutschlands Grenzen hinaus wird Lichtenberg wegen seines unerschrockenen Engagements auch heute schon verehrt. So verlieh ihm die israelische Gedenkstätte Yad Vaschem für seinen Einsatz für die Juden 2004 postum den Titel "Gerechter unter den Völkern".
Der Artikel wurde erstmals am 5. November 2018 veröffentlicht und nun aktualisiert.