Mutiger Prediger, aufrechter Kämpfer
"Er war ein mutiger Prediger und aufrechter Kämpfer gegen die Diktatur des Dritten Reiches und die Unterdrückung der Religion" – das steht auf einer unscheinbaren Gedenktafel am Pfarrhaus von Söflingen, einem Stadtteil von Ulm. Vor 25 Jahren wurde sie dort angebracht, um an Franz Weiß zu erinnern. Der streitbare Priester war von 1932 bis 1939 Pfarrer in der Gemeinde Mariä Himmelfahrt.
Dass seine alte Gemeinde heute, an seinem 125. Geburtstag, einen Helden des Widerstands und keinen Märtyrer feiert, ist zum einen Glück. Weggefährten des Schwaben wie die Geschwister Scholl – Weiß galt als ihr Mentor und hielt immer Kontakt zu ihrer Familie – wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Zum anderen kam der Pfarrer wohl mit Berufsverbot, Ausweisung und Haft davon, weil er vor seiner Priesterweihe hochdekorierter Soldat war: Im Ersten Weltkrieg meldete er sich freiwillig zum Kriegsdienst, er kämpfte vor Verdun, wurde schwer verwundet und kehrte dennoch an die Front zurück. Der Leutnant wurde mit dem Eisernen Kreuz erster und zweiter Klasse, der Silbernen Verdienstmedaille und dem Bayrischen Militärverdienstorden ausgezeichnet.
Er vermutete, als Veteran ein Stück weit sicher zu sein vor den Nachstellungen des Regimes. Das wollte er nutzen. Als die Nationalsozialisten 1933 den katholischen Gesellenverein in Ulm besetzen wollten, protestierte er dagegen – und trug dabei demonstrativ sein Eisernes Kreuz am Revers. Während Ulm als braune Musterstadt galt, war sein Stadtteil ein Hort des Widerstands: Kein Söflinger Lehrer sei in die NSDAP eingetreten, keine der in der Caritas engagierten Frauen hätte sich der NS-Frauenschaft angeschlossen, schreibt die Historikerin Eva Moser.
Priester-Geheimorganisation gegen das "Dritte Reich"
Furchtlos prangerte Weiß in seinen Predigten in Söflingen die Verbrechen der Nationalsozialisten an, wandte sich gegen ihre Rassenideologie und kämpfte für die Glaubensfreiheit. 1936 entzog ihm daher das württembergische Kultusministerium die Erlaubnis, Religion zu unterrichten. Als die Nazis aus der katholischen Volksschule eine Einheitsschule machten, forderte Weiß die Eltern auf, ihre Kinder nicht mehr dorthin zu schicken. Die Episode ging als "Söflinger Schulstreik" in die Geschichte ein. Zähneknirschend richtete die Schulbehörde an einer anderen Schule in Ulm eine katholische Klasse ein, freilich am anderen Ende der Stadt. Weiß organisierte gemeinsam mit den Eltern einen Schulbus dorthin, der allerdings unter dem Druck des Regimes bald wieder eingestellt werden musste.
Linktipp: Kreuz und Hakenkreuz
Das Verhältnis der Kirche zum Nationalsozialismus war uneinheitlich und zahlreichen Schwankungen unterworfen. Die Diktatur des Hitler-Regimes bedeutete auch für die Kirche eine Zeit schwerer Konflikte.Auch von solchen Misserfolgen und den Einschüchterungsversuchen der Nazis – SA-Aufmärsche vor dem Pfarrhaus und Hausdurchsuchungen – ließ der mutige Pfarrer sich nicht abhalten. Er sammelte im ganzen Reich Priester, die im Krieg gedient hatten, in einer Geheimorganisation. 3.000 Geistliche, alle ehemalige Frontsoldaten, wollte er für seine "acies ordinata" gewinnen. Der Name seiner Organisation bedeutet eigentlich "geordnete Schlachtreihe", kann aber auch als "ordinierte Heerschar" übersetzt werden.
Im ganzen Reich vernetzt
In seinen Plan waren auch regimekritische Bischöfe eingeweiht: der Münchener Kardinal Michael Faulhaber – der Jesuit und Nazigegner Rupert Mayer stellte den Kontakt her –, der Rottenburger Bischof Joannes Baptista Sproll und Clemens August Graf von Galen, der "Löwe von Münster". Auch der damalige Nuntius in Berlin, Eugenio Pacelli, der spätere Papst Pius XII., war von seinem Vorhaben unterrichtet und soll es gutgeheißen haben. Die Geistlichen der "acies ordinata" sollten ein Kuriernetz bilden und Informationen austauschen.
"Ohne persönliche Einschränkung aufs Ganze gehen"
Wie Weiß seine Widerstandsorganisation organisierte, berichtet Otl Aicher, der spätere Gründer der Ulmer Hochschule für Gestaltung, in seinen Erinnerungen "innenseiten des krieges". Der damals 16-Jährige wurde von Weiß auf eine konspirative Fahrt nach Paderborn mitgenommen: "er kommt mit einem kleinen zweitaktauto," – der Grafikdesigner schreibt nur in Kleinbuchstaben – "holt mich ab, und wir fahren in einen schönen sommertag. Nach knapp zwanzig kilometern hält er mitten in einem wald, nimmt ein kleines köfferchen und verschwindet, kehrt wieder, gekleidet als fröhlicher zivilist, er erklärt mir, daß wir gemeinsam eine reise machen, wo polizei und gestapo nicht ihre nase reinstecken sollen, so fahren wir einen ganzen tag."
In Paderborn angekommen zieht Weiß wieder seine Soutane an, um vor einer großen Gruppe von Pfarrern zu reden: Er hatte alle Priester des Erzbistums eingeladen, die ehemalige Frontkämpfer waren. Pfarrer könnten, so erinnert sich Aicher, "schon aufgrund des zölibats" mehr auf sich nehmen "als damals an der front". "ohne persönliche einschränkung" wollte Weiß "aufs ganze gehen": "wir müssen gemeinsam agieren". Wenn ein einzelner Pfarrer gegen das Regime predige, "wird er abgeholt. Wenn wir tausend an ein- und demselben sonntag es tun, sind die kerle machtlos."
Erste Erfolge hatte die Geheimorganisation mit der Verbreitung regimekritischer Flugschriften in den Jahren 1937 und 1938. Indes: Das Vorhaben kam nicht voran – 1938 musste Weiß sich eingestehen, dass er unter seinen Mitbrüdern zu wenige für seine Idee begeistern konnte. Er übergab die Leitung der "acies ordinata" an den Breslauer Pfarrer Joseph Schönauer, doch auch der konnte keine schlagkräftigere Organisation aufbauen.
Im Visier des Regimes
Auch ein Versuch, seinen ins Exil gegangenen Bischof Sproll zurückzuholen – Sproll hatte sich demonstrativ gegen den "Anschluss" Österreichs gestellt und war von seinem Domkapitel gedrängt worden, sich in Sicherheit zu bringen – hatte keinen Erfolg.
Weiß unterdessen geriet immer mehr ins Visier des Regimes: Im Februar 1939 erließ die Gestapo seine Ausweisung aus Württemberg, Bayern und Hohenzollern, am Karfreitag wurde er nach dem Gottesdienst verhaftet, im Juni stand er in Stuttgart vor einem Sondergericht wegen seiner Predigten. Das Urteil: ein Jahr Gefängnis wegen Verstoß gegen das "Heimtückegesetz" und den "Kanzelparagraphen", die politische Äußerungen von Geistlichen unter Strafe stellte. Dieses Gesetz aus Bismarcks Kulturkampf wurde von den Nationalsozialisten gegen eine Reihe von Widerstandsgeistlichen verwendet: Martin Niemöller, den prominenten Vertreter der "Bekennenden Kirche", den Jesuitenpater Rupert Mayer und den Berliner Priester Bernhard Lichtenberg – heute sind die beiden Katholiken Selige.
Der "Priesterblock" blieb ihm erspart
Seine Strafe saß Franz Weiß im Gefängnis am Ulmer Frauengraben ab. Zum Haftantritt hatte er sich wieder sein Eisernes Kreuz angelegt. Nach zehn Monaten wurde er entlassen und in Söflingen begeistert empfangen, bevor er nach Meersburg an den Bodensee verbannt wurde. Dort schloss er sich der Schönstattbewegung an. Deren Gründer, der Pallottinerpater Josef Kentenich, war wie er Gegner des Dritten Reichs. Immer noch unter Beobachtung der Gestapo, predigte Weiß am Bodensee, in Tirol und in Bayern – seine Ausweisung ignorierte er – unermüdlich weiter: "Da habe ich mehr Leute gegen die Nazis beeinflusst, als ich das in Söflingen hätte tun können", sagte er.
Anders als viele andere Geistliche – darunter Pater Kentenich – entging Franz Weiß dem "Priesterblock" des KZs Dachau. Nach dem Krieg wurde er wieder Pfarrer, später Krankenhausseelsorger. 1985 starb Weiß im Tübinger Stadtteil Ergenzingen, wo er bis zuletzt als Hausgeistlicher der Schönstattschwestern auf der Liebfrauenhöhe wirkte.