Staatsleistungen an Kirchen: Linke fordert Ablösung
Zum 100. Jahrestag der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung hat die Linksfraktion im Deutschen Bundestag erneut die Ablösung der Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen in Deutschland gefordert. Die Bundesregierung müsse endlich "konkrete Schritte zur Umsetzung des Verfassungsauftrags" der Ablösung einleiten, erklärte die religionspolitische Sprecherin der Fraktion, Christine Buchholz, am Sonntag in Berlin.
Die Politikerin bezeichnete die am 11. August 1919 in Weimar beschlossene Verfassung als wichtigen Schritt hin zur Trennung von Staat und Kirche. Unter anderem verpflichte die Verfassung den Staat dazu, die jährlichen Staatsleistungen durch einen Schlussvertrag zu beenden. "In 100 Jahren hat es kein deutsches Parlament geschafft, diesen Verfassungsauftrag einzulösen", kritisierte Buchholz. Sie erneuerte in ihrer Stellungnahme einen bereits 2012 in einem Gesetzentwurf von ihrer Fraktion gemachten Vorschlag, die Staatsleistungen auf Basis der Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes abzulösen. Damit könne eine Ablösesumme unter "gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Betroffenen" festgelegt werden, sagte Buchholz mit Verweis auf das Grundgesetz.
Die Artikel 14 und 15 des Grundgesetzes behandeln die Möglichkeiten der Enteignung und der Vergesellschaftung. In Artikel 14, Absatz 3 heißt es mit Blick auf eine Enteignung unter anderem: "Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen." Zu einer Vergesellschaftung steht in der Verfassung: "Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel können zum Zwecke der Vergesellschaftung durch ein Gesetz, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt, in Gemeineigentum oder in andere Formen der Gemeinwirtschaft überführt werden."
Buchholz verwies darauf, dass die Linken 2015 die Einrichtung einer Kommission zur Evaluierung der Höhe der Staatsleistungen beantragt hätten. "Ziel war die Ablösung mit einer Einmalzahlung in Höhe des zehnfachen der jährlichen Zahlungen", so die religionspolitische Sprecherin. Dieser Antrag sei von der Großen Koalition jedoch abgelehnt worden.
"Wir begrüßen, dass zum 100. Jahrestag etwas mehr Bewegung in die Debatte gekommen ist", so Buchholz weiter. Die beiden großen Kirchen seien im Grundsatz für eine Ablösung der Staatsleistungen. Auch Grüne und FDP seien dafür, und bei CDU, CSU und SPD mehrten sich die Stimmen für eine Ablösung. "Es wird Zeit, dass diesen Absichtserklärungen Taten folgen und damit der Weg frei gemacht wird für Ablöseverhandlungen", forderte die Politikerin.
Unabhängig von der Kirchensteuer handelt es sich bei den Staatsleistungen um Finanzleistungen des Staates, die historische Wurzeln haben. So erhielten 1803 zahlreiche deutsche Reichsfürsten für Gebietsverluste auf der linken Rheinseite Kirchengüter auf der rechten Rheinseite als Entschädigung. Die Fürsten verpflichteten sich im Gegenzug, den Kirchen als Ausgleich regelmäßige Dotationen zu gewähren. Diese sogenannten altrechtlichen Staatsleistungen umfassen unter anderem die staatliche Übernahme von Gehältern für Bischöfe, Domherren und – in wenigen Fällen – Zuschüsse zu Pfarrergehältern. Die Dotationen wurden später von den deutschen Ländern übernommen. Nach der Wiedervereinigung 1990 kamen auch die Kirchen in Ostdeutschland wieder in den Genuss dieser Zahlungen. Die DDR war diesen Verpflichtungen, wenn überhaupt, nur sehr kursorisch nachgekommen.
Für die beiden großen Kirchen zusammen machten die Staatsleistungen im vergangenen Jahr etwa 520 Millionen Euro aus, davon 203 Millionen für die katholische und 317 Millionen Euro für die evangelische Kirche. Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 bestimmte in Artikel 138, eine Ablösung der Leistungen herbeizuführen. Das Grundgesetz übernahm in Artikel 140 diese Verpflichtung. Voraussetzung dafür wären Vereinbarungen mit den Kirchen auf Bundes- und auf Landesebene sowie entsprechende Gesetze. Derzeit gibt es in mehreren Bundesländern und auch auf kirchlicher Seite Diskussionen darüber. (stz)