Auch wenn es Papst Franziskus nicht passt: Der Petersplatz ist leer
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Millionen Pilgernde und Feiernde hat diese Stadt schon verkraftet. Papsttode, Papstwahlen, Mega-Heiligsprechungen und Open-Air-Konzerte (aber die größten Menschenaufläufe waren hier stets religiös): alles gehabt, alles gestemmt. Diesmal ist die Notlage andersherum. Diesmal sind nicht, wie beim Tod von Johannes Paul II. vor 15 Jahren, einige Millionen über Nacht herbeigeströmte Menschen mit Wasserflaschen, Dixi-Klos und polyglotten Beichtvätern zu versorgen. Vielmehr ist die Leere zu verwalten. Rom und Vatikan im Frühling, wie ausgestorben. Das gab es noch nie.
Und ja, gerade in dieser Lage der Unbehaustheit war es ein herber Schlag, als der Papst an jenem sonnigen Dienstagmorgen letzter Woche den Petersplatz abriegeln und den Petersdom schließen ließ. Muss die Grabeskirche des Apostels Petrus, des ersten Papstes, nicht gerade in Krisen- und Seuchenzeiten offen sein? Damit Gläubige hier, von der Mitte der katholischen Weltkirche aus, den Schutz Gottes für das bedrohte Volk erflehen und den Trost der Sakramente empfangen können? Bis Dienstag letzter Woche stand der Petersdom zuverlässig jeden Tag offen – egal, was war. Gerade im Zweiten Weltkrieg wurde er zum Herz und Wohnzimmer der Stadt, wie der im Vatikan stationierte Kirchenhistoriker Hubert Jedin in seinen Lebenserinnerungen schilderte. Viele Römer hätten sich täglich unter den Fenstern des Papstes aufgehalten, weil sie sich dort vor Bomben sicher fühlten.
Geschlossene Kirchentüren: ein Graus für Papst Franziskus
Sankt Peter als Schutzraum: Eben das ist freilich eine Illusion in Zeiten des Virus. Die Entscheidung, das religiöse Herz der Stadt vorübergehend abzuklemmen, ignoriert zunächst das religiöse Empfinden und folgt stattdessen einem touristischen und einem medizinischen Sachverhalt, dass nämlich der Erreger sich durch physische Nähe ausbreitet und Sankt Peter zu den meistbesuchten Monumenten Italiens zählt. Kolosseum und Uffizien waren längst abgeriegelt, als der Vatikan nachzog. Und eine religiöse Begründung für die beispiellose Schließung von Sankt Peter lässt sich eben doch finden: Eine leere Papstbasilika ist eine Entscheidung für den Lebensschutz.
Klar ist aber auch, dem Papst sind geschlossene Kirchen ein Graus. Wie oft hat Franziskus in unverdächtigen Zeiten Pfarrer und Kapläne dazu ermahnt, Kirchentüren sperrangelweit aufzureißen und sich dahinter auch mal spätabends seelsorgend antreffen zu lassen. Deshalb konnte man dieser Tage einen seltenen kommunikativen Vorgang beobachten: Der Papst griff seinem Stellvertreter für das Bistum Rom in die Speichen, als dieser alle Kirchen schloss (öffentliche Messen waren schon zuvor abgesagt). Das entsprechende Dekret von Kardinal Angelo De Donatis, einem Vertrauensmann von Franziskus, hielt nur einen halben Tag, dann kam ein neues, das zumindest die Pfarreikirchen Roms offenließ. Zwischen den beiden Dekreten feierte der Papst eine Frühmesse, in der er äußerte, man könne es auch übertreiben mit den strengen Maßnahmen.
Nach derselben Devise funktioniert in diesen denkwürdigen Tagen der Vatikan. Man kann es auch übertreiben mit den strengen Maßnahmen: Also bleiben auf Wunsch von Franziskus in seinem Staat nicht bloß Grunddienste wie Apotheke, Supermarkt, Staatssekretariat und Medien offen, sondern überhaupt die meisten Kurienbüros. Weiterhin werden im Vatikan Causen für neue Selige der Weltkirche vorangetrieben, Bischofsernennungen geprüft, Missbrauchstäter verfolgt, Kongresse organisiert und Erhebungen von Kirchen zur Basilica Minor vorbereitet. Kurienbehörden arbeiten nicht für sich selbst: Sie stehen im Dienst der Weltkirche, und deshalb kriegen Papstangestellte in Rom nicht mal einfach so frei, weil eine Seuche um sich greift. Das wäre zu viel der Schonung. Nur dass jetzt an vatikanischen Portierlogen Gummihandschuhe für alle ausliegen, das Abfeiern von Überstunden großzügig gewährt wird und einige Kurienleiter – Premiere! – Homeoffice ermöglichen, sofern nicht gerade streng geheime Regierungsdinge der Bearbeitung harren.
Der Pontifex – natürlich – ohne Mundschutz
Hier zeigt sich, dass der Papst seine Angestellten wahrhaftig als Verlängerung seines eigenen dienenden Körpers betrachtet. Für sich zuallererst schlägt Franziskus den dringenden Rat, sich zu schonen, in den Wind. Der Pontifex zählt zur Hochrisikogruppe, er ist 83 und lungenteilamputiert. Großaudienzen und Morgenmessen hält er nur noch via Livestream, das ja, aber Privataudienzen sagt er nicht ab. Und bleibt er zu Hause? Aber wo.
Am Sonntagnachmittag zog es ihn in die menschenleere Stadt (ohne Mundschutz, aber das haben Sie schon geahnt). Erst ließ er sich zu Santa Maria Maggiore fahren und betete vor der Marienikone Salus Populi Romani, dem "Heil des römischen Volkes". Dann pilgerte Franziskus zu Fuß über die Via del Corso zur Kirche San Marcello, wo er vor einem jahrhundertealten Pestkruzifix das Ende der globalen Corona-Pandemie erflehte. Es war seine Parallelgeste zu Pius XII., der am Tag der Bombardierung Roms 1943 in den Stadtteil San Lorenzo fuhr, die Arme zum Himmel hob und zusammen mit den erschütterten Römern ein Gebet sprach. Franziskus dagegen musste 2020, begleitet nur von Security, mutterseelenallein pilgern und beten. Corona sei dank. Ernst, verschlossen und bedrückt sieht der Papst in diesen Tagen aus. Mehrfach isoliert. Es setzt ihm zu.
Corona bedeutet auf Italienisch "Krone", aber auch "Rosenkranz". Und selbst, wenn der Petersdom geschlossen ist: Corona ist drin. Der Vikar des Papstes für den Vatikanstaat, Kardinal Angelo Comastri, leitet täglich um Schlag zwölf das eigens anberaumte Rosenkranzgebet am Kathedra-Altar mit ein paar Dutzend Angestellten der Bauhütte von Sankt Peter. Ein kleiner Chor singt, die Orgel begleitet. Der Livestream übertrug sogar die Heilige Messe, die Comastri am Sonntag im Petersdom feierte, mit Gemeinde und Kommunion; solcherlei ist in Italien zurzeit verboten. Die Papstbasilika ist kein schwarzes Loch in dieser besonderen Fastenzeit, die – wie jede andere Fastenzeit – in eine Auferstehung münden wird, wohl erst nach Ostern. Dann aber wird sich zeigen, dass Rom seinen zur Hülse gewordenen Beinamen zu Recht trägt: Ewige Stadt.