Warum es eine "Messe ohne Volk" nicht geben kann
In der aktuellen Krisensituation, in der keine öffentlichen Gottesdienste stattfinden können, haben etliche Bischöfe die Priester ihrer Diözesen eingeladen, gebeten oder sogar verpflichtet, bis auf Weiteres alleine, das heißt ohne die Teilnahme anderer Personen, die Eucharistie zu feiern. Dabei handle es sich, wie etwa in einem Schreiben des Generalvikars der Erzdiözese München und Freising vom 18. März 2020 betont wird, um einen "wichtigen stellvertretenden Dienst" an den Gläubigen.
Allerdings trafen diese Einladungen, Bitten und Anweisungen nicht nur auf Zustimmung. "Wie wir aus verschiedenen Rückmeldungen erfahren haben, tun sich manche Priester, aber auch Gläubige aus verschiedene Gründen mit dieser Form schwer", heißt es in dem erwähnten Schreiben des Münchner Generalvikars, in dem zugleich nähere Erläuterungen angekündigt werden, "damit hier Missverständnisse möglichst vermieden werden".
Begriff wurde aus Römischer Liturgie eleminiert
Eines der größten Missverständnisse in Bezug auf eine Eucharistiefeier, die ein Priester alleine feiert, besteht wohl darin, dass es sich hierbei um eine "Messe ohne Volk" handelt. Eine "Messe ohne Volk" gibt es nämlich nicht und kann es nicht geben. Dessen war man sich wohl auch in Rom bewusst, denn im Jahr 2002, mit der Veröffentlichung der dritten und nach wie vor gültigen Neuausgabe des Römischen Messbuchs, wurde dieser bis dahin übliche Begriff aus der Römischen Liturgie komplett eliminiert.
Trifft also der wohl am häufigsten vorgebrachte Vorbehalt gegen eine vom Priester allein vollzogene Eucharistiefeier zu, wonach in jeder liturgischen Feier unbedingt die differenzierte Gliederung des Volkes Gottes zum Ausdruck kommen müsse (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 28)? Ist es richtig, dass es zur Eucharistiefeier nicht nur eines Priesters, sondern immer auch eines Gegenübers, nämlich des von einigen oder wenigstens einem Gläubigen repräsentierten Volkes Gottes bedarf?
Tatsächlich ist bei der Eucharistiefeier Christus selbst in der Person des Priesters gegenwärtig und wendet sich den Gläubigen in Wort und Sakrament zu (vgl. Sacrosanctum Concilium, Nr. 7). Diese Sichtweise birgt allerdings eine nicht unerhebliche Gefahr: Wenn sich der Priester – wie es ja auch in seiner heute allgemein üblichen Positionierung am Altar zum Ausdruck kommt – als das Gegenüber der Gemeinde versteht, dann kann dies nämlich allzu leicht zu einer Quelle von Klerikalismus werden.
Wie groß diese Gefahr ist, hat eine andere Krise, nämlich die Missbrauchskrise deutlich gemacht: Es ist nämlich nicht zuletzt die herausgehobene Stellung des Priesters, seine theologische und auch liturgische Positionierung über und gegenüber der Gemeinde, die zu klerikalistischen Denk- und Verhaltensweisen führen und somit Missbrauch – Machtmissbrauch ebenso wie sexuellen Missbrauch – wenn nicht verursachen, so doch zumindest begünstigen kann.
Stellvertretung, nicht nur für Christus
In Anbetracht dessen gilt es nachdrücklich daran zu erinnern, dass eine unabdingbare Voraussetzung für den Empfang der Priesterweihe im Empfang der Taufe besteht. Jeder Priester hat Anteil am Weihepriestertum, aber zugleich und vor allem Anteil am Allgemeinen Priestertum. Da Letzteres durch die Priesterweihe nicht ausgelöscht wird, steht er, wann immer er die Eucharistie feiert, nicht nur stellvertretend für Christus am Altar, sondern zugleich auch stellvertretend für das Volk Gottes.
Weil dem so ist, gibt es keine "Messe ohne Volk" – und zwar nicht einmal dann, wenn außer dem Priester keine anderen Personen daran teilnehmen. Vielleicht tut es jedem Priester sogar gut, mitunter daran erinnert zu werden, dass er nicht nur in Ausübung seiner Priesterweihe, sondern auch in Ausübung des Allgemeinen Priestertums am Altar steht. Wenngleich es nicht die Regel sein sollte, dass die Priester alleine zelebrieren, bietet ihnen die aktuelle Krisensituation die Chance, sich ihrer doppelten Stellung und Funktion neu bewusst zu werden.