Gastbeitrag von Dogmatiker Jozef Niewiadomski

Auch in Corona-Zeiten brauchen die Gläubigen die "reale" Eucharistie

Veröffentlicht am 23.03.2020 um 16:48 Uhr – Lesedauer: 
Debatte

Bonn ‐ Fast überall sind öffentliche Eucharistiefeiern ausgesetzt. Stattdessen wurden unzählige digitale Angebote geschaffen, um die Messe von zu Hause aus mitzufeiern. Doch der Dogmatiker Jozef Niewiadomski sagt: Das könne das reale "Essen" des eucharistischen Brotes nicht ersetzen – und er macht einen Lösungsvorschlag.

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All die Diskussionen über den "eucharistischen Hunger", über die "Versorgung" der Gemeinden mit der Eucharistiefeier, über den Zusammenhang und die Differenz zwischen Eucharistiefeier und der Feier des Wortes Gottes sind zuerst verstummt. Sie werden aber bald in ein radikal neues Licht rücken. Nicht die fehlenden Priester stellen das "Zünglein an der Waage" all der Argumente dar, sondern das Coronavirus. Die damit verbundene Logik rückt nicht nur jene in den letzten Jahren und Monaten heiß diskutierten Fragen der Zulassungsbedingungen zur Priesterweihe in den Hintergrund, sie zwingt zur Neubesinnung auf das Wesen der sakramentalen Wirklichkeit – gerade im Kontext der Eucharistie. Dabei geht es nicht nur um liturgische und kirchenrechtliche Vorschriften, dogmatische Zentralfragen werden bald zur Diskussion stehen. Und dies in einer Radikalität, deren Ausmaß wir heute kaum zu ermessen vermögen.

Der gesunde Menschenverstand gebietet heute "physische" Distanz! Es ist dies aber das exakte Gegenteil dessen, was in der sakramentalen Feier der Eucharistie stattfindet. Wir feiern die Transformation (mit dem alten und ausgeleierten Wort als "Wandlung" bezeichnet) der Isolation in die Nähe, mehr noch: Wir feiern die Transformation der Preisgabe und Beseitigung eines leibhaft verfassten Lebens in die denkbar größte Gemeinschaft dank der transformierten Leiblichkeit Jesu Christi. Die Verwandlung der Auslieferung durch die Gemeinschaft (auch der Jünger), der Verurteilung und Extermination durch den Kreuzestod jenseits der Stadtmauer und des blinden Todesschicksals in die Haltung radikaler Hingabe an den Vater, an die Seinen ("Friede sei mit Euch") und auch an die Gegner und Feinde ("Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun"): All das stellt den Inbegriff des Wunders von Kreuz und Auferweckung Christi dar.

Denken über sakramentale Präsenz in der Kirche wird sich verändern

Was hat das aber mit der Eucharistiefeier zu tun? Das "Geschehen des Brotbrechens" direkt vor der Passion, die dramatischen Ereignisse von Golgota und das Mahl mit dem Auferweckten in Emmaus sowie die vielen Mähler im Abendmahlssaal nach Ostern und Pfingsten gehören zusammen gedacht; sie verdichten sich in der sakramentalen Feier der Eucharistie. Diese stellt – und dies wohl im Unterschied zu anderen liturgischen Feiern – nichts anderes dar, als die geistgewirkte sakramentale Vergegenwärtigung der damals an konkreten Orten und in konkreter Zeit stattgefundenen Ereignisse. Aus guten Gründen verbindet sie die Verkündigung des Wortes Gottes, dessen Lob mit den für die Feier wohl konstitutiven materiellen Elementen: Die Verinnerlichung der Hingabe Christi erfolgt auch durch das Essen und Trinken der eucharistischen Gestalten.

Die nun durch den gesunden Menschenverstand gebotene soziale (besser gesagt: physische) Distanzierung von Menschen (auf unbestimmte Zeit) und die konkreten kirchlichen Maßnahmen bezüglich der Eucharistiefeier unter derart schwieriger Bedingung treffen das Verständnis der Eucharistie direkt im Kern. Sie werden in Folge auch das Denken über die sakramentale Präsenz in der Kirche verändern. Es ist zu befürchten, dass der sakramental so wichtige Aspekt der Verwandlung der krisengeschüttelten Gegenwart noch unverständlicher wird. Und dies aus mehreren Gründen. Die gegenwärtig stark im Vordergrund stehende Fokussierung der Aufmerksamkeit auf mediale Vermittlung von Gottesdiensten, so verständlich sie auch erscheinen mag, darf nicht als richtungsweisend verstanden werden. Zuerst schon deswegen, weil mediale Präsenz im Dienste der Entleiblichung der Kommunikation steht. Im Extremfall bleibt man bei medialen Events mit allen und doch mit niemandem in Verbindung. Der Katholizitätscharakter der Kirche, die ja zwar eine allumfassende, aber doch konkret vor Ort existierende Kirche ist, wird gerade aufgrund der Krise und der damit notwendigen Vorsichtsmaßnahmen noch mehr durch die "electronica quasicatholica" der globalisierten Medienwelt herausgefordert.

Das weltberühmte Gemälde des letzten Abendmahls von Leonardo da Vinci.
Bild: ©castrovilli/Fotolia.com

Das weltberühmte Gemälde des letzten Abendmahls von Leonardo da Vinci.

Es ist aber nicht nur die Problematik der medial stattfindenden "Entleiblichung", die ein Problem für das Sakrament bedeutet. Rückt man das Geschehen der Passion und der darin stattgefundenen Transformation der Isolation in die Haltung der Hingabe in Erinnerung, wird man bei der Frage der medial vermittelten Eucharistie die Tatsache, dass die medial strukturierte Welt – und dies trotz allen gegenteiligen Anscheins – wie kaum eine andere Gemeinschaft durch die Mechanismen des Ausschlusses und der Sündenbockjagd strukturiert, nicht verdrängen dürfen. Schlussendlich verwischt der bloß medial gefeierte Gottesdienst die sakramental konstitutive Differenz zwischen Zeichen und der durch dieses Zeichen bezeichneten Sache. Und dies schon deswegen, weil er (wie wir dies von der Kommunikation in den sozialen Medien wissen und aus den Hoffnungen, die man mit der weiteren Entwicklung von Cyberspace ablesen kann) das Gefühl der unmittelbaren Präsenz vermittelt.

Das Göttliche kann aber von sterblichen Menschen nicht unmittelbar genossen werden. Deswegen war auch dem Christentum die Erlebnisqualität der Feier niemals ein Kriterium für die Erfahrung des Göttlichen. Von daher ist es gerade jetzt dringend notwendig, kirchlich darauf hinzuweisen, dass eine gestreamte Eucharistie oder aber Eucharistie im Fernsehen höchstens ein Zeichen für die an Ort und Stelle gefeierte Eucharistie ist. Die inzwischen neu aufgelebte Diskussion über das – damit verbundene – "eucharistische Fasten" und die "geistige Kommunion" soll das Missverständnis einer Gleichsetzung verhindern, entzieht sich aber kaum demselben Missverständnis.

Was muss nun geschehen?

In welche Richtung soll man also weiterdenken? Gerade angesichts der Tatsache, dass die soziale Distanzierung vermutlich auch die Feier des Triduum Sacrum und die Ostertage betreffen wird. Die Analogie zur Situation der im verriegelten Abendmahlssaal sitzenden Jünger lädt dazu ein, über neue Modelle kirchlich-sakramentaler Präsenz unter den "sozial distanzierten" Gläubigen nachzudenken. Es ist gut daran zu erinnern, dass der Auferweckte den eingeschlossenen Kleingruppen, die ja beim Gebet verharren, erscheint. Es wäre gut, die Menschen darauf vorzubereiten, dass sie in ihren Häusern die eigentliche Feier der Karwoche gestalten und erleben werden; das Anschauen der Fernsehübertragungen kann höchstens in der Logik vom substantiell nicht notwendigen "Nachtisch" verstanden werden. Die Dimension der Sakramentalität verlangt aber das reale "Essen" des eucharistischen Brotes.

Hier ist nur die Tradition der seit alters her gepflegten "Kommunion für und mit den Kranken" weiterhelfend. Die Bischofskonferenzen müssten daher mutig die Empfehlung/Weisung geben, dass kirchlich gebundene Menschen in "ihren" Kirchengemeinden die Eucharistie für ihre Angehörigen holen. In der Frage der hygienischen Vorsichtsmaßnahmen hat der Handel bereits die zu beschreitenden Wege angezeigt. Das Hinaustragen der Eucharistie durch Kommunionshelfer scheitert an den von der Politik erlassenen Maßnahmen einer radikalen Beschränkung der Bewegungsfreiheit. Das Bringen von Eucharistie in die Häuser durch einen der Familienangehörigen stellt zudem ein Zeichen der tagtäglich durch sie im familiären Kreis durchbrochenen sozialen Distanzierung dar, fügt sich also in das sakramentale Verständnis dessen, worum es bei der Eucharistie geht. Ein solches Vorgehen würde wohl besser dem sakramentalen Verständnis der Kirche entsprechen als all die Hinweise auf die gottesdienstliche Präsenz in den Medien.

Von Jozef Niewiadomski

Der Autor

Jozef Niewiadomski ist emeritierter Professor für Dogmatik am Institut für Systematische Theologie der Universität Innsbruck.