Eucharistie "ohne Volk" per Livestream – Rückschritt oder Fortschritt?
Derzeit ist eine Diskussion im Gang, ob die Feier der Heiligen Messe via Livestream mit der Beteiligung nur eines Priesters (und einiger weniger Gläubiger) ein Rückschritt hinter längst veraltete Formen darstellt – verbunden mit einer Exklusion aller anderen und einer Missachtung des Gemeinschaftscharakters der Eucharistie –, oder ob nicht vielmehr in Notsituationen, wie die Corona-Pandemie mit Sicherheit eine ist, die Einzelzelebration des Priesters nicht nur erlaubt und geboten sein sollte, sondern auch ein Gewinn für alle anderen bedeuten könnte, weil er sie gleichsam stellvertretend für diese feiert.
Beide Standpunkte können in dieser Diskussion gute Argumente anführen. Denn es ist ebenso richtig, dass das Konzil die vor Ort feiernde Gemeinde als Trägerin der Liturgie ansieht (und nicht den an den Altar tretenden Priester, wie es im alten Messbuch hieß), so dass eine Messfeier (fast) ohne Gemeinde tatsächlich eine pastoralliturgische und liturgieästhetische Verkümmerung darstellt und dem liturgietheologischen Sinn einer Messfeier wenig entspricht. Aber genau so richtig ist es, dass eine Messe ohne Volk nicht von vornherein alle anderen ausschließt, insofern der Priester auch die allein gefeierte Messe nie nur für sich, sondern "für euch und für alle" feiert (wie man es jetzt manchmal in gestreamten "Privatmessen" lesen kann).
Zunächst Angebote aus Notsituation heraus verstehen
Die Möglichkeit über Streamingdienste im Internet in dieser Zeit, in der öffentliche Gottesdienste untersagt sind, Eucharistie zu feiern, muss zunächst einmal vor allem aus der Notsituation heraus verstanden werden. Die Eucharistiefeier am Sonntag mit der physisch anwesenden Gemeinde bleibt das Ideal, das immer anzustreben ist. Dennoch sind die Rückmeldungen in den Pfarreien, die in diesen Tagen ein Livestreamangebot machen, fast durchweg positiv und von Dankbarkeit geprägt. Gerade für aktive Gemeindemitglieder, die es gewohnt sind, am Sonntag an der Eucharistie teilzunehmen, ist es ein Trost, diese weiterhin über Livestream aus der vertrauten Kirche mit dem vertrauten Pfarrer mitfeiern zu können, anstatt einen Fernsehgottesdienst in ARD oder ZDF mitzuverfolgen.
Gleichwohl sollte man bei der Gestaltung solcher Angebote einige Details beachten. Erstens sollte wirklich nur eine kleine Anzahl von Gläubigen an diesen Gottesdiensten teilnehmen, im besten Fall auch mit einem liturgischen Dienst versehen (z.B. Diakon, Lektorin, Ministrant). Eine größere Anzahl wirft automatisch die Frage auf, warum die einen dabei sein dürfen und die anderen nicht. Sodann sollten die "zwei oder drei", die da im Namen Jesu versammelt sind (vgl. Mt 18,20) auch auf dem Bildschirm sichtbar sein. Stimmen, die aus dem "Off" Antwort geben, könnten tatsächlich den Eindruck einer "Geistermesse" (Gerhards, Kranemann, Winter) erwecken. Wenn man sie aber dabei sieht, repräsentieren sie in einer derzeit angemessenen Weise die Gemeinde, so dass die Stellvertretung tatsächlich nicht nur durch den Priester geschieht.
In Zeiten des Internet und der Corona-Pandemie muss man Gemeinschaft aber wohl insgesamt neu denken. So seltsam es für den zelebrierenden Priester anmutet, bei den derzeitigen Livestreamgottesdiensten in eine leere Kirche hinein zu singen und zu predigen, so spürbarer wird – je länger man dies praktiziert –, dass eine virtuelle Gemeinschaft mit den Menschen entsteht, die an verschiedenen Orten digital mit dieser Messe verbunden sind. Online-Communities sind echte Gemeinschaften auch im theologischen Sinn und entsprechen sowohl dem Communio-Prinzip als auch dem Prinzip der aktiven Beteiligung (participatio actuosa) des Zweiten Vatikanischen Konzils. Am Bildschirm kann mitgesungen und mitgebetet werden, man kann wirklich mit dem Herzen dabei sein, auch wenn die Kommunion nur auf geistliche Weise empfangen werden kann (worauf bei der Formulierung einzelner Schlussgebete im Messbuch geachtet werden sollte).
Livestream-Gottesdienste eigentlich ein "Fossil"
Gleichwohl sind zwei Einwände zu berücksichtigen: Zum einen ist es richtig, dass Livestream-Gottesdienste nicht immer nur eine Eucharistiefeier sein müssen, sondern auch andere Formate wie die Tagzeitenliturgie oder eigens konzipierte Andachten enthalten sollten. Die momentane Situation ist eine Einladung, auch nicht-eucharistische Gottesdienste wieder stärker ins Bewusstsein zu bringen. Zum anderen ist festzuhalten, dass Livestream-Gottesdienste in der Entwicklung der digitalen Liturgie eher ein Fossil sind, weil sie zunächst einmal ähnlich funktionieren, wie die schon seit Jahrzehnten bekannten Fernsehgottesdienste (die auch jetzt weiterhin ihren Sinn haben). Moderne Online-Gottesdienste setzen hingegen auf Interaktion, d.h. konkrete Beteiligung der User durch eigene Fürbitten und selbst formulierte Gebete, Kommentare oder Chatrooms zur Predigt, das Einspielen eigener Musik u.a. Das alles spielt heute in der Welt der Internetliturgie (LinguCommunity, Twaudes/Twomplet, sublan- und facebook-Gottesdienste etc.) eine große Rolle und wird rege genutzt.
Die Corona-Krise kann uns liturgisch daher auch einen neuen Blick auf die Bedeutung der gottesdienstlichen Gemeinschaft im Internet eröffnen und deutlich machen, dass selbst der (analog) allein zelebrierende Priester durchaus mit der Welt verbunden sein kann, wie er es ja durch die Nennung anderer Personen im Hochgebet (Papst, Bischof, alle die zu einem Dienst in der Kirche bestellt sind, Verstorbene etc.) immer schon war. Insofern eignen sich die derzeitigen Livestreamangebote tatsächlich nicht dazu, prinzipielle liturgietheologische Streitigkeiten auszufechten, wie Helmut Hoping gegenüber den Kritikern der Einzelzelebration geltend machte, wohl aber dazu, die positiven Möglichkeiten einer Liturgie im Internet einerseits zu schätzen und andererseits neu zu entdecken und weiter zu entwickeln.