Kläger sehen nachhaltige Verletzung der Religionsfreiheit

Gottesdienstverbot bestätigt – Traditionalisten legen Beschwerde ein

Veröffentlicht am 08.04.2020 um 09:05 Uhr – Lesedauer: 

Berlin/Kassel ‐ Der Streit um das Gottesdienstverbot in Berlin geht wohl in die nächste Runde. Die traditionalistischen Kläger kündigten an, die Bestätigung des Verbots durch das Berliner Verwaltungsgericht anzufechten. Sie sehen die Religionsfreiheit in Gefahr.

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Nach der Bestätigung des wegen der Corona-Krise auch in Berlin erlassenen Gottesdienstverbots haben die Kläger angekündigt, gegen die Entscheidung des Berliner Verwaltungsgerichts Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht einzulegen. "Der Beschluss des Verwaltungsgerichts stellt nicht nur einen Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit dar, sondern verletzt diese nachhaltig", erklärte der Vorsteher des "Instituts St. Philipp Neri", Propst Gerald Goesche, am Dienstagnachmittag in Berlin. Das Recht auf freie Religionsausübung werde vom Grundgesetz schrankenlos gewährt. Das Gericht billige demgegenüber lediglich Kirchenbesuche zur stillen Einkehr zu. Damit bestimme der Staat de facto die Art und Weise der Religionsausübung. "Dies steht ihm aber nicht zu", so Goesche.

Das Berliner Verwaltungsgericht hatte zuvor einen Eilantrag des Vereins "Freundeskreis St. Philipp Neri" zurückgewiesen, mit dem dieser erreichen wollte, trotz der derzeitigen Corona-Pandemie Gottesdienste mit bis zu 50 Gläubigen feiern zu dürfen. Zwar bedeute das Verbot von Gottesdiensten einen Eingriff in das Grundrecht der Religionsfreiheit, so das Gericht. Dieser sei jedoch durch widerstreitende Grundrechte und Werte von Verfassungsrang gerechtfertigt. Beispielhaft nannte das Gericht den Schutz des Lebens und der Gesundheit der Gottesdienstteilnehmer und der übrigen Bevölkerung sowie die Aufrechterhaltung eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitssystems. Zum Schutz dieser Werte sei das zeitlich begrenzte Verbot verhältnismäßig, der Kernbereich der Religionsfreiheit werde nicht berührt.

Gericht: Besuch von Kirchen zur stillen Einkehr bleibt erlaubt

Das Gericht wies in seiner Entscheidung ferner darauf hin, dass Besuche von Kirchen, Moscheen und Synagogen zur individuellen stillen Einkehr weiter erlaubt blieben; dies gelte auch für private Andachten im Kreis der Haushaltsangehörigen. Zudem bestehe die Möglichkeit, Gottesdienste auf elektronischem Wege zu übertragen und als gläubiger Mensch entsprechende Angebote zu nutzen.

Goesche betonte, dass Gottesdienste mehr seien als stilles Gebet – "gerade auch zu Ostern, dem höchsten Fest der Christenheit". Das generelle Verbot von öffentlichen Gottesdiensten stelle einen übermäßigen Eingriff dar, der nicht verhältnismäßig sei. Auch kirchliche Internetangebote ersetzten Gottesdienste nicht; Glaube sei letztlich immer analog. "Auch wir wollen unsere Gläubigen und auch uns vor dem Coronavirus schützen und können den nötigen Abstand zwischen Personen in unserer Kirche besser gewährleisten als etwa in einem Baumarkt oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln", betonte der Propst. Ähnlich hatte er bereits am vergangenen Wochenende argumentiert, als die Klage des Vereins gegen das Gottesdienstverbot öffentlich bekannt geworden war.

Im "Institut St. Philipp Neri" werden Gottesdienste in traditioneller lateinischer Liturgie gefeiert, wie sie vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) üblich war. Das Institut ist nicht dem Erzbistum Berlin unterstellt, sondern eine Einrichtung päpstlichen Rechts.

Auch Gottesdienstverbot in Hessen bestätigt

So wie in Berlin wurde am Dienstag auch das in Hessen erlassene Verbot öffentlicher Gottesdienste bestätigt. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof in Kassel entschied, dass die vorübergehende Untersagung von Zusammenkünften in Kirchen, Moscheen oder Synagogen während der Pandemie nicht außer Vollzug gesetzt werde. Ein entsprechender Eilantrag eines Katholiken wurde abgelehnt. Zur Begründung hieß es, das Gottesdienstverbot sei jedenfalls derzeit verhältnismäßig. Der Kläger, der den Angaben zufolge mindestens jeden Sonntag die Messe besucht, hatte zuvor geltend gemacht, dass ihm dies durch die Corona-Verordnung der hessischen Landesregierung unmöglich gemacht werde. Zudem, so der Antragsteller, dürfe das Grundrecht der Religionsfreiheit nicht eingeschränkt werden.

Dem widersprach der Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss. Die Religionsfreiheit sei "nicht schrankenlos gewährleistet". Dieses Grundrecht finde seine Grenzen dort, "wo dies zum Schutz der Grundrechte Dritter oder anderer mit Verfassungsrang ausgestatteter Rechtswerte notwendig" sei. Dies sei hier "in Bezug auf Leben und Gesundheit der Priester, anderer Gläubiger und angesichts der hohen Ansteckungsgefahr und großen Streubreite des Virus auch dritter nichtgläubiger Menschen der Fall". Das hessische Gericht argumentierte damit ähnlich wie das Gericht in Berlin. (stz)