Erzbischof schreibt Brief an deutschen Rabbiner

Corona-Manifest: Viganò wehrt sich gegen Verschwörungstheorie-Vorwurf

Veröffentlicht am 26.05.2020 um 14:41 Uhr – Lesedauer: 

Berlin ‐ In einem Brief hat Erzbischof Carlo Maria Viganò den Verschwörungstheorie-Vorwurf gegen das von ihm initiierte Corona-Manifest zurückgewiesen. Zugleich rückte er die Arbeit von Medien und Ärzten in der Corona-Pandemie sowie die Kritik an dem Manifest in die Nähe des Nationalsozialismus.

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Erzbischof Carlo Maria Viganò hat den Vorwurf, er habe mit seinem Anfang Mai veröffentlichten Corona-Manifest Verschwörungstheorien verbreitet, zurückgewiesen. "Diesen Ausdruck von Besorgnis – noch dazu vorgetragen von angesehenen Persönlichkeiten – schlicht als 'Verschwörungstheorien' abzutun, scheint mir keine konstruktive Herangehensweise zu sein", schreibt Viganò in einem an den deutschen Rabbiner Jehoschua Ahrens adressierten Brief, der katholisch.de vorliegt.

Der Erzbischof reagiert mit dem Schreiben auf eine am 20. Mai unter anderem auf katholisch.de veröffentlichte Meldung. Ahrens hatte in einem Interview der "Jüdischen Allgemeinen" das Corona-Manifest Viganòs als "Schock" bezeichnet. Es sei ein "Riesenproblem", so der Rabbiner, dass sich Verschwörungstheorien auch in Kirchenkreisen ausbreiteten. "Wir wissen schon seit einiger Zeit, dass es Menschen auch innerhalb der Kirchen gibt, die solchen Theorien anhängen. Aber jetzt trauen sie sich, diese Meinungen noch offener zu äußern", so Ahrens in dem Interview wörtlich.

Viganò zeigt sich von Kritik "nicht wenig erstaunt"

In seinem Brief schreibt Viganò, dass ihn die Aussagen des Rabbiners "nicht wenig erstaunt" hätten. Er denke, so der Erzbischof, es sei "die Pflicht eines jeden von uns, die eigene Besorgnis über Verhältnisse zu äußern, die, unter Ausnutzung der Covid-Krise, weit über vernünftige Sicherheitsmaßnahmen hinausgehen, indem sie ganzen Völkern den Entzug verfassungsmäßiger Freiheiten auferlegen".

Linktipp: Datenpanne bei Viganò-Petition: Tausende E-Mail-Adressen öffentlich

Peinliche Panne bei der Verschwörungs-Petition von Erzbischof Viganò – durch einen technischen Fehler hat der ehemalige Nuntius mehrere Zehntausend E-Mail-Adressen seiner Unterstützer veröffentlicht.

An Ahrens gerichtet fragt Viganò: "Ist es Ihnen zufolge weiterhin erlaubt, sich frei zu äußern, oder gibt es Gegenstände, die nicht mehr kultiviert besprochen werden dürften? Wenn Sie Ihrerseits zum Ausdruck bringen dürfen, dass Sie dem Inhalt des Aufrufs nicht zustimmen, weshalb sollten 'Menschen innerhalb der Kirchen' nicht das Recht haben, ebenfalls ihre Meinung frei zu äußern?" Aus welchem Grund, so fragt der Erzbischof den Rabbiner weiter, nehme dieser an, dass es besonderen Mut brauche, sich dies zu "trauen", als ob es sich bei den besagten Meinungen um Wahnvorstellungen handele, die jeder Entsprechung in der Wirklichkeit entbehrten? Er hätte niemals gedacht, so Viganò weiter, dass sein Aufruf Ahrens' beleidigen könne. "Zudem: Aus welchem Grund sollte sich ein Rabbiner kritisiert fühlen, wenn von einer neuen Weltordnung die Rede ist?", schreibt der ehemalige Apostolische Nuntius.

Im weiteren Verlauf des Briefs äußert der Erzbischof scharfe Kritik an den Reaktionen auf das von ihm initiierte Manifest und vergleicht die Arbeit von Medien und Ärzten in der Corona-Pandemie sowie die Kritik an dem Aufruf mit den Verhältnissen im Nationalsozialismus. Es habe eine Zeit gegeben, in der sich "unter dem Gehorsam der Massen" eine höllische Diktatur mit einem verabscheuungswürdigen Verbrechen befleckt habe, indem sie schuldig geworden sei an der Deportation und Ermordung von Millionen unschuldiger Menschen nur aufgrund ihres Glaubens und ihrer Abstammung. "Schon damals priesen die Massen- oder Mainstream-Medien die Mächtigen und schwiegen zu ihren Verbrechen; schon damals stellten Ärzte und Wissenschaftler ihr Wirken in den Dienst eines wahnhaften Herrschaftsplans; schon damals wurde, wer es wagte, die Stimme zu erheben, bezichtigt, 'Verschwörungstheorien' zu verbreiten", so Viganò. Es habe erst das Ende des Zweiten Weltkriegs abgewartet werden müssen, "um mit Entsetzen die Wahrheit zu entdecken, die Viele bis dahin verschwiegen hatten". Er sei sich sicher, dass jene, die heute seinem Aufruf als einem vermeintlichen Ausdruck von Verschwörungswahn die Legitimation absprächen, sich der wirklichen Gefahren, denen die Menschheitsfamilie ausgesetzt sei, nicht bewusst seien.

Eine Gruppe um Viganò hatte am 7. Mai in mehreren Sprachen eine Warnung veröffentlicht, nach der die Corona-Pandemie genutzt werden solle, um eine Weltregierung zu schaffen, "die sich jeder Kontrolle entzieht". Sie werde als Vorwand genutzt, um "Grundfreiheiten unverhältnismäßig und ungerechtfertigt" einzuschränken. So ernst der Kampf gegen Covid-19 sein möge, dürfe er nicht "als Vorwand zur Unterstützung unklarer Absichten supranationaler Einheiten dienen, die sehr starke politische und wirtschaftliche Interessen verfolgen". Zu den prominentesten Unterzeichnern des Aufrufs gehörte der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller.

Bild: ©Francesco Pistilli/KNA

Gehörte zu den prominentesten Unterzeichnern des Corona-Manifests: Kardinal Gerhard Ludwig Müller.

Das Manifest stieß in der katholischen Kirche in Deutschland auf deutliche Kritik, zahlreiche Bischöfe gingen auf Distanz zu dem Papier. So erklärte etwa der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst, er distanziere sich klar von den gefährlichen Theorien der Gruppe um Erzbischof Viganò. "Wer die Bemühungen der Politik, Menschenleben vor dem Coronavirus zu schützen, in eine dubiose Weltverschwörung umdeutet, spielt mit dem Feuer!" Magdeburgs Bischof Gerhard Feige wandte sich gegen eine Verunglimpfung der Vorsichtsmaßnahmen – "verbreitet durch Verschwörungstheoretiker, Wutbürger und einzelne Kommentatoren sowie Politiker". Sogar manche "extreme Kirchenvertreter" gebärdeten sich auf einmal als "Pseudo-Wissenschaftler, Impfgegner und Esoteriker".

Kardinal Müller verteidigt eigene Unterschrift

Müllers Nachfolger als Bischof von Regensburg, Rudolf Voderholzer, betonte, er mache sich die Worte des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, ausdrücklich zu eigen. Bätzing hatte erklärt, man kommentiere grundsätzlich keine Aufrufe einzelner Bischöfe außerhalb Deutschlands: "Allerdings füge ich hinzu, dass sich die Bewertung der Corona-Pandemie durch die Deutsche Bischofskonferenz grundlegend von dem gestern veröffentlichten Aufruf unterscheidet."

Müller verteidigte dagegen seine Unterschrift unter den Aufruf. Der Zeitung "Die Tagespost" sagte er, interessierte kirchliche Kreise hätten das Papier benutzt, "um daraus Empörungskapital gegen ihre vermeintlichen Gegner zu schlagen. Jeder nennt jetzt jeden Andersdenkenden Verschwörungstheoretiker." Der Text werde bewusst missverstanden, so Müller weiter. Sein Augenmerk habe vor allem auf der "zum Teil unzulänglichen kirchlichen Reaktion gelegen", nicht auf den medizinischen Aspekten der Krise.

Von Steffen Zimmermann

Den Brief von Erzbischof Carlo Maria Viganò an den deutschen Rabbiner Jehoschua Ahrens im Wortlaut finden Sie hier.