Standpunkt

In der Corona-Krise ist die Kirche ziemlich still

Veröffentlicht am 27.05.2020 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 

Bonn ‐ Durch die Corona-Pandemie steht die Gesellschaft vor enormen Herausforderungen, unter anderem auch sozialer und wirtschaftlicher Art. Thomas Seiterich vermisst hier die Stimme der Kirchenleitungen. Für Aufmerksamkeit hätten eher fundamentalistische Randkleriker gesorgt.

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Die Kirchenleitungen wirken in der Corona-Krise wie abgetaucht. Zu bescheiden wirken die Kirchenleitungen in den einzigartigen Corona-Krisenwochen. Gewiss: Viele hundert Gemeinden haben während der Pandemie neue, funktionierende Internet-Angebote auf die Beine gestellt, Not-Telefone eingerichtet, Kontaktketten mobilisiert. Auch viele Mitarbeiter von Diakonie und Caritas leisten Großartiges. Unten tut sich viel. Und doch scheint der öffentliche Platz der Kirchen in der Gesellschaft bedrückend leer.

Die große Institution, die beansprucht, für Glaube, Liebe und Hoffnung einzustehen, scheint die Seuchenzeit im Homeoffice verbracht zu haben. Für öffentliche Aufmerksamkeit sorgen fundamentalistische Randkleriker oder kleine Gruppen, die sich dem staatlichen Kontaktverbot nicht unterwerfen.

Dabei verlangt das neue Leben mit Corona Weichenstellungen. Nicht bloß wirtschaftliche Fragen müssen diskutiert werden, sondern in hohem Umfang auch ethische. Um Papst Franziskus ist es bedrückend still geworden. Sein Anliegen findet unter deutschen Bischöfen kaum Widerhall: Wie sollen internationale Beziehungen gestaltet werden, da soeben die Schwächen der neoliberalen Globalisierung zutage getreten sind? Wie kann der Aufbau der Wirtschaft gelingen, ohne die Armen und die Alten der Welt an den Rand zu drängen?

Freiheitsrechte eingeschränkt, Alte und Heimbewohner ausgegrenzt, Kontaktverbote, Leiden und Sterben in Einsamkeit: Eifrig haben die Kirchenleitungen Gehorsam geleistet gegenüber der "Pastoralmacht" (Michel Foucault) von Gesundheitsexperten, Virologen und Regierenden.

Doch mit der Aufhebung der Einschränkungen entfalten sich neue Verteilungskämpfe: Schlüsselindustrien gegen Selbständige, gesundheitlich Fitte gegen Verletzliche, Laute gegen Leise. Es geht um viel Geld, Aufmerksamkeit und Freiheiten - und immer wieder um die Frage, wie wir unser Leben gestalten wollen, wenn der Gesundheitskrise die Wirtschaftskrise folgt.

Die Kirchenleitungen halten sich da ziemlich bedeckt. Schade. Haben sie in der Krise ihre Stimme eingebüßt? Ist ihnen ihre Frohe Botschaft und Gerechtigkeitspredigt abhandengekommen? Wo bleibt ihr Einspruch, wenn Konzerne Milliarden Steuergeld abgreifen wollen, ohne auf Boni und Dividenden zu verzichten, während Millionen kleiner Existenzen mit Staatsgeld nicht gesichert werden können?

Die Kirchenleitungen müssen zu einer klugen und lauten Stimme werden. Und sie sollten Zeichen setzen: Weshalb setzen sie nicht öffentlich einen Teil ihrer Vermögen ein für die globalen Verlierer der Krise?

Immerhin - wir erleben eine Stunde der Laien. Die Gemeinschaft Sant'Egidio hat einen internationalen Appell gestartet: "Unsere Zukunft - nicht ohne die alten Menschen". Dieser Aufruf "zur Humanisierung unserer Gesellschaften. Nein zu einem selektiven Gesundheitswesen" ist in der FAZ nachzulesen. Unterzeichnet haben aus Deutschland der Philosoph Jürgen Habermas und die ehemalige Bundesministerin für Bildung und Forschung, Annette Schavan, sowie prominente Sant'Egidio-Freunde aus Ländern wie Belgien, Italien, Südafrika, Frankreich und Polen.

Es ist Zeit, gegen die Marginalisierung und Abstempelung der Alten einzutreten. Dabei sollten die Stimmen der Kirchenleitungen nicht fehlen.

Von Thomas Seiterich

Der Autor

Thomas Seiterich ist Ständiger Mitarbeiter der Zeitschrift "Publik-Forum".

Hinweis

Der Standpunkt spiegelt nicht unbedingt die Meinung der Redaktion von katholisch.de wider.