Werden die Staatsleistungen an die Kirchen bald abgelöst?
"Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf." Seit mehr als 100 Jahren steht dieser an den Gesetzgeber gerichtete Auftrag in deutschen Verfassungen – zuerst in der Weimarer Reichsverfassung von 1919 und seit 1949 im Grundgesetz. Doch passiert ist bis heute nichts. Das wollen die Oppositionsparteien im Parlament nun – wieder einmal – ändern.
Innerhalb kurzer Zeit sind im Bundestag jetzt zwei Gesetzentwürfe eingebracht worden, die beide das Ziel verfolgen, die staatlichen Zahlungen an die beiden großen Kirchen zu beenden. Auf einen gemeinsamen Entwurf der Fraktionen von FDP, Linken und Grünen, der erstmals Mitte März vorgestellt wurde, folgte am Dienstag ein Entwurf der AfD-Fraktion. Dass eine der Vorlagen im Parlament eine Mehrheit findet, ist angesichts der abwartenden Haltung der Großen Koalition bei diesem Thema zwar unwahrscheinlich – immerhin aber hat es die Opposition durch ihr Vorgehen geschafft, dass die schon so oft diskutierte Frage der Staatsleistungen erneut auf die Tagesordnung des Bundestags kommt.
Zahlungen für Enteignungen aus der Zeit der Säkularisation
Doch was sind überhaupt Staatsleistungen? Der Begriff bezeichnet – im Unterschied etwa zur vom Staat eingetriebenen Kirchensteuer – regelmäßige finanzielle Zuwendungen des Staates an die Kirchen, die teilweise bis in die Zeit der Reformation zurückreichen, ihren Ursprung größtenteils aber im Jahr 1803 haben. Im Zuge der Säkularisation mussten die Kirchen damals große Teile ihres Besitzes und damit ihrer Einnahmequellen an den Staat abtreten. Zum Ausgleich wurden Verträge geschlossen, in denen sich die einzelnen deutschen Staaten dazu verpflichteten, den Kirchen Zahlungen für deren Verluste sowie den Unterhalt der kirchlich genutzten Gebäude zu zahlen.
Die Staatsleistungen umfassen Geld- oder Sachmittel, in manchen Fällen aber auch die Übernahme von Gehältern für Bischöfe, Domherren und in wenigen Fällen auch Zuschüsse zu Pfarrergehältern. Die Zahlungsverpflichtungen wurden nach dem Ende der Monarchie im Jahr 1919 von den deutschen Ländern übernommen, zugleich wurde jedoch der Artikel in die neue Verfassung geschrieben, der – bis heute ohne gesetzgeberische Folgen – die Ablösung der Zahlungen fordert.
Dass es bis heute nicht zum Versuch einer Ablösung gekommen ist, ist – anders als von Kirchenkritikern immer wieder unterstellt – vor allem die Schuld der Politik. Bundesregierung und Bundesländer haben sich in den vergangenen Jahrzehnten nie ernsthaft darum bemüht, dem gestellten Verfassungsauftrag nachzukommen.
Staatsleistungen an Kirchen sind keine "Peanuts"
Das überrascht umso mehr, als es sich bei den Staatsleistungen nicht um "Peanuts" handelt. In den vergangenen Jahren beliefen sich die Zahlungen der Bundesländer an die beiden großen Kirchen jeweils auf mehr als 500 Millionen Euro. Und die Summen steigen weiter, weil die Leistungen meist dynamisiert sind und deshalb jährlich angepasst werden. Unter den Bundesländern zahlte Baden-Württemberg 2018 mit rund 126 Millionen Euro die meisten Staatsleistungen, in Nordrhein-Westfalen bekamen die Kirchen rund 22,9 Millionen Euro. Eine Ausnahme bilden lediglich Bremen und Hamburg, die keine Staatsleistungen zahlen, weil dort 1803 keine kirchlichen Güter enteignet wurden.
Linktipp: Warum der Staat den Kirchen immer noch Geld zahlt
Regelmäßig wird über die Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen diskutiert. Eigentlich sollten diese Zahlungen – im vergangenen Jahr rund 520 Millionen Euro – schon vor 100 Jahren abgeschafft werden. Doch passiert ist bislang nichts. Schuld daran sind aber nicht die Kirchen. (Artikel von Februar 2019)Der Vergleich zwischen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen zeigt: Einen einheitlichen Schlüssel für die Berechnung der Staatsleistungen gibt es nicht, auch die Zahl der Kirchenmitglieder ist unerheblich. Interessant ist aber, dass die evangelische Kirche zuletzt deutlich mehr Geld erhalten hat als die katholische Kirche. Während die Protestanten trotz weniger Kirchenmitgliedern knapp 317 Millionen Euro von den Bundesländern bekamen, waren es bei den Katholiken "nur" rund 203 Millionen Euro.
Hauptgrund dafür, dass die Staatsleistungen von der Politik bislang nicht angetastet wurden, ist wohl die Angst der Bundesländer vor einer dicken Endabrechnung. Denn die von der Verfassung geforderte Ablösung bedeutet, dass die Beendigung der Zahlungen mit einer einmaligen Entschädigung an die Kirchen verbunden werden müsste. Mehrheitlich wird davon ausgegangen, dass die Kirchen hierbei Anspruch auf mehrere Milliarden Euro hätten – eine Summe, die in den einzelnen Bundesländern wohl nur schwer vermittelbar wäre.
Bundestag muss Bundesländern Rahmen für Verhandlungen setzen
Hinzu kommt das Problem, dass die Verfassung nicht nur den Bundestag, sondern auch die einzelnen Landesparlamente zum Handeln zwingt – was eine Lösung erheblich erschwert. Der Bundestag müsste nach allgemeiner Auffassung zunächst ein sogenanntes Grundsätzegesetz erlassen, um den Bundesländern darin einen Rahmen für die Ablösung ihrer Staatsleistungen vorzugeben. Erst danach könnten die einzelnen Länder in konkrete Verhandlungen mit den Kirchen treten.
Genau dieses Grundsätzegesetz wollen FDP, Linke und Grüne nun auf den Weg bringen. Die drei Fraktionen schlagen in ihrem Gesetzentwurf vor, dass sich die maximale Höhe der Ablöseleistungen am sogenannten Äquivalenzprinzip orientiert. Der daraus errechnete Wert beträgt das 18,6-fache der jährlich zu leistenden Zahlung, wobei das Jahr 2020 zugrunde gelegt werden soll. Der Wert der gesamten Ablöse würde sich demnach auf rund zehn Milliarden Euro belaufen. Der Entwurf sieht weiter vor, dass die Länder innerhalb von fünf Jahren nach Inkrafttreten des Gesetzes eigene Gesetze erlassen müssen, die Ablösung selbst muss laut dem Gesetzentwurf binnen zwanzig Jahren abgeschlossen sein.
Die AfD fordert in ihrem Gesetzentwurf dagegen die ersatzlose Streichung der Zahlungen an die Kirchen spätestens zum Jahr 2027. "Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden längstens bis zum 31.12.2026 gewährt", heißt es wörtlich in dem Entwurf. Mit den bis dahin noch zu zahlenden Leistungen seien die Leistungspflichten der Länder abgegolten.
Katholische Kirche offen für Ablösung von Staatsleistungen
In der Vergangenheit gab es vor allem von der Linken immer wieder Anträge zur Ablösung der Staatsleistungen, die allerdings jeweils scheiterten. Ob der gemeinsame Antrag mit FDP und Grünen diesmal mehr Chancen hat, ist offen. Auf jeden Fall bräuchten die drei Fraktionen auch Unterstützung aus der Großen Koalition, die allerdings bisher keinen Handlungsbedarf sieht. Der neue religionspolitische Sprecher der FDP, Benjamin Strasser, will das Thema möglichst noch vor der Sommerpause in die erste Lesung im Bundestag bringen. Für die nächste Sitzungswoche Mitte Juni stehen die Staatsleistungen bislang aber noch nicht auf der Tagesordnung.
An den Kirchen würde die Ablösung der Staatsleistungen übrigens wohl nicht scheitern. Auf der Internetseite der Deutschen Bischofskonferenz heißt es: "Schon heute treffen die Kirchen und einzelne Bundesländer immer wieder Absprachen über Änderungen und Ablösungen einzelner Staatsleistungen. Die Verfassung geht von einer Ablösung der Staatsleistungen aus. Allerdings hat es bislang, nicht zuletzt wegen der damit verbundenen sehr erheblichen Kostenverpflichtungen, keine diesbezügliche Initiative des Bundes gegeben, der die Grundsätze für eine Ablösung aufzustellen hat. Die Kirche wird sich einer weitergehenden Lösung nicht verschließen, wenn und soweit diese ausgewogen ist."