Internet-Experte: Kirche soll Digitalisierung der Gesellschaft fördern
Der Chefredakteur von netzpolitik.org, Markus Beckedahl, hat die Kirche aufgefordert, Geld und Zeit in die Digitalisierung der Gesellschaft zu investieren. "Ihr habt die Chance, etwas Gutes für das Gemeinwohl zu tun", sagte Beckedahl am Donnerstag bei der Online-Tagung "Kirche im Web". Teilen sei eine Grundlage des Christentums. Seine Forderung an die Kirche, freie digitale Infrastruktur zu fördern, entspreche daher der christlichen Botschaft. Insbesondere bei der Beschaffung von Software-Lösungen müsse die Kirche darauf achten, auch ethische Kriterien zu berücksichtigen. Dazu gehöre es auch, sogenannte "Open-Source-Software" zu nutzen und ihre Weiterentwicklung zu fördern, anstatt auf kommerzielle Lösungen zu setzen, die zudem oft Datenschutzprobleme aufwerfen würden.
Flächendeckendes WLAN vom Kirchturm
Es sei an der Zeit, dass sich die Kirche um eine stärkere Vernetzung von digitaler Zivilgesellschaft und Kirche bemühe. Schließlich habe die Kirche eine unnachahmliche Infrastruktur für Netzprojekte. Beispielhaft nannte er das WLAN-Projekt "Freifunk", bei dem Menschen ihre persönlichen Internetanschlüsse nutzen, um öffentlich verfügbare WLAN-Hotspots zur Verfügung zu stellen. "Eure Kirchen haben Türme, die dafür gebraucht werden", stellte Beckedahl fest. Würden sich Kirchengemeinden mit Freifunk-Ortsgruppen zusammentun, könnte die Internetversorgung in digital schlecht angeschlossenen Regionen deutlich verbessert werden.
Auch bei der Vermittlung von Internetkompetenzen sieht Beckedahl noch viel ungenutztes Potential. In den Gottesdiensten säßen viele Menschen, die noch nicht online seien und sich in der digitalen Welt nicht auskennen. Gerade diese Bevölkerungsgruppe könnte durch kirchliche Internet-Predigten informiert und behutsam in die digitale Welt geführt werden, schlug Beckedahl vor.
Die Kirche solle ihre politische Macht für das Gemeinwohl einsetzen
Die digitale Zivilgesellschaft funktioniere nach dem Prinzip "Teilen und Kopieren" - so habe sich auch einst das Christentum verbreitet. Daraus folgt für Beckedahl die kirchliche Pflicht dieses Prinzip zu fördern und im Rahmen von Gesetzgebungsverfahren ihre politische Macht für ein am Gemeinwohl, statt an den Interessen der Musikindustrie orientiertes Urheberrecht einzusetzen. Andernfalls würde die Kirche ein Prinzip bekämpfen, das sie selbst groß gemacht habe, warnte Beckedahl.
Die Tagung "Kirche im Web" findet vom 11. bis 12. März statt. Die Veranstaltung widmet sich in diesem Jahr der Aufgabe der Kirche in der digitalen Gesellschaft. Aufgrund der Coronapandemie tauschen sich die rund 100 Teilnehmenden online aus. Neben Vorträgen, Podiumsdiskussionen sind auch praktische Workshops geplant. Die Tagung in Trägerschaft der Katholischen Akademien von Münster und Rottenburg-Stuttgart wird in Kooperation mit katholisch.de und evangelisch.de sowie weiteren Kooperationspartnern ausgerichtet. (ben)