Zeichen für Unabhängigkeit und Vanitas: Die Papstwappen im Vatikan
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Wer durch den Papststaat streift, muss den Eindruck gewinnen, dass die Oberhirten der katholischen Kirche über die Jahrhunderte ein ausgeprägtes Markierungsverhalten an den Tag legten. Jeder Papst hat, klar, sein eigenes Wappen. Und diese persönlichen Papstwappen sind im Vatikanstaat allgegenwärtig. Sie prangen an Mauern, Torbögen und Portalen; in Travertin gehauen, ruhen sie im Rasen, sie haben die plastische Gestaltung zierlicher Springbrunnen in den Vatikanischen Gärten inspiriert.
Papstwappen sind mit Stiefmütterchen und Papageienblatt in Blumenbeeten nachgegärtnert, bilden die Rückenlehne von Sitzbänkchen, schmücken Laternenpfähle und krönen den schicken 60er-Jahre-Flachbau des Vatikan-Supermarktes Annona. Soll eine Amtsstube nach der Renovierung neu eingeweiht werden, legen Steinmetze das Wappen des jeweils aktuellen Papstes aus Marmor im Fußboden nach. In der Apotheke mit ihrer stattlichen Kosmetikabteilung lächelt der Papst als Foto milde auf Parfumflacons und Badesalz herab, und sein Wappen sekundiert.
Nun weiß man, der Vatikan ist des Papstes, und als Sitz des Heiligen Stuhles ist dieser Zwergstaat querbeet amtlich: Kein Mäuerchen, kein Streifen Gartengrün, kein Quadratmeter Wohnfläche hier hat einen anderen Besitzer als den einen. Aber warum muss das auf Schritt und Tritt bestätigt werden? Noch dazu jedes Mal mit genau einem persönlichen Papstwappen - würde es eigentlich auch ein gemeinsames tun? Eines für alle?
Vorerst wohl nicht. Das verdankt sich dem einmaligen Doppelcharakter des Petrusamtes: Über Jahrhunderte hinweg waren die Päpste nicht nur Kirchenoberhäupter, sondern daneben weltliche Herrscher über den Kirchenstaat, der seit 1929 als Restbestand namens "Staat der Vatikanstadt" fortlebt, obschon mit anderem Charakter.
Auch überall sonst in Europa gaben sich Fürsten seit dem Mittelalter großzügig, wenn es um das Anbringen der Familien-Hoheitszeichen auf ihren Waffen, Palästen, Parkmauern und Suppenlöffeln ging. Mit dem Wappen wies man sich aus, bekannte Farbe, deklarierte erblichen Besitz. Hingegen hatten die Bischöfe des ersten Jahrtausends keine Wappen. Erst im 12. Jahrhundert übernahmen die Bischöfe, auch die von Rom, diesen Brauch mitsamt seinen feudal-militärischen Wurzeln. Man könnte von einer frühen Form von Verweltlichung sprechen.
Welches Wappen prangt heute im Vatikan am häufigsten?
Im Zweifel legten die Bischöfe von Rom sogar noch eins drauf beim Kennzeichnen ihrer Besitztümer mit dem Wappen. Denn im Kirchenstaat blieb sozusagen nichts in der Familie. Er war als Wahlmonarchie organisiert, so wie heute noch der Vatikanstaat und die katholische Kirche, die beide im Papst jeweils dasselbe Oberhaupt haben. Historisch betrachtet, wechselten die Herkunftshäuser der Souveräne im Kirchenstaat in rascher Folge. Nicht alle Familien waren einander grün. Und dann war da noch die verflixte Vanitas: Wer als Papst nicht schnell genug seine Wappen anbrachte, drohte hinzuscheiden, ohne sein Revier auf Erden adäquat beschriftet zu haben. Der Nachwelt aber keine sauber etikettierten, stofflichen Beweise seiner herrschaftlichen Existenz zu hinterlassen, mag für manchen Renaissancepapst eine erschreckende Vorstellung gewesen sein. So, als würde es ihn gar nicht geben.
Welches ist das Wappen, das heute im Vatikanstaat, Sankt Peter ausgenommen, am häufigsten auftaucht? Es zeigt einen Adler auf drei kleinen Kugeln. Und es gehört zu Papst Pius XI. Das mag überraschen, denn Pius war ein Papst des 20. Jahrhunderts. Er regierte von 1922 bis 1939, lange nach der großen alten Zeit der Renaissance-Bauherren, die mit Petersdom, Petersplatz und Apostolischem Palast ein Ensemble für die Ewigkeit hinterließen. Pius errichtete, anders als die Renaissance-Päpste, Nutzgebäude, versah sie aber genauso wie seine großen Vorgänger mit seinem "Stempel", dem Wappen. Tatsächlich entstand der Vatikanstaat in seiner heutigen Form weitgehend mit Pius XI. Die Lateranverträge von 1929 sicherten dem Papst jenes winzige Stück Land zu, das es mit sämtlichen Einrichtungen eines modernen Staates auszustatten galt. 0,44 Quadratkilometer, klein aber sein, sein im Sinn von existieren, denn in den Jahrzehnten davor hatte die Nicht-Existenz eines Landflecks, der dem Papst die Unabhängigkeit sicherte, die katholische Kirche schwer belastet. Kein Wunder also, dass Pius nun nicht geizte mit Neubauten – und mit Wappen – in seinem Staat.
Die Eingriffe des Papstes auf dem Vatikanhügel in den 1930er Jahren zielten darauf, aus diesem schwierigen, unebenen Gebiet einen modernen Staat zu machen, mit allem was dazugehört: Stadtverwaltung, Bahnhof und Post, Radiostation und Druckerei, Gerichtshof, Straßennetz, Fuhrpark und Kaserne der Schweizergarde. Überall: der Adler auf drei Kugeln. Sogar auf dem vatikaneigenen Kraftwerk und auf den Zierbrunnen, die im Papststaat nun en suite aufpoppten und sprudelten. Die Gärtner von Pius XI. waren es auch, die das erste päpstliche Wappen aus Blumen hinter dem Petersdom anlegten, das am selben Ort bis heute fortlebt. Dieses monumentale Hoheitszeichen ist dazu gemacht, von oben betrachtet zu werden, ein obligates Fotomotiv für alle, die die Kuppel von Sankt Peter besteigen. Bei jedem Papstwechsel wissen die Gärtner im Vatikan, was als nächstes zu tun ist: Sowie der neue Mann sein Wappen bekannt gegeben hat, wird das alte floristisch "überschrieben". Ein Wechselwappen gewissermaßen. Nicht für die Ewigkeit gemacht, sondern auf Zeit, wie alles Leben auf Erden, und die Reste: kompostierbar. Vanitas adieu.
Frühere Päpste hatten es weniger mit dieser Variante. Der eine oder andere ging so weit, die Wappen der Vorgänger von prestigereichen Bauten abzuschlagen und selbstbewusst das eigene draufzusetzen. Die meisten Päpste beschränkten sich aber darauf, nur Neubauten als die ihrigen zu kennzeichnen. So ist es bis heute. Das Wenige, das im Vatikan des 3. Jahrtausends noch gebaut wird, trägt das Wappen des amtierenden Papstes. So der 100. Brunnen im Vatikanstaat, der nach dem heiligen Josef benannt und Benedikt XVI./Joseph Ratzinger gewidmet ist; sein Wappen mit dem Korbiniansbären ziert den Boden vor dem Brunnen.
Kein Glücksfall für Steinmetze ist der frugale Franziskus, er hat im Vatikanstaat in acht Jahren nichts Nennenswertes gebaut und von daher auch mit seinem Wappen in Stein gegeizt. In ein paar Jahren allerdings ist aber wohl wieder ein päpstliches Hoheitszeichen in Stein fällig, nämlich auf der Fassade der bereits geplanten neuen Kaserne der Schweizergarde. Wer weiß, welches Wappen das sein wird. Vielleicht doch eines für alle?
Kolumne "Römische Notizen"
In der Kolumne "Römische Notizen" berichtet die "Vatikan News"-Redakteurin Gudrun Sailer aus ihrem Alltag in Rom und dem Vatikan.