Es braucht mehr Zeichen gegen Antisemitismus – jetzt!
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Das Bild geht mir nicht aus dem Kopf. Ein Foto bei Twitter zeigt einen Mann auf einem Stuhl vor der Bonner Synagoge, die dieser Tage von antisemitischem Mob angegriffen wurde. "Stuhlwache", steht darunter. Der Mann bleibe, bis ihn der nächste ablöse. Ein Zeichen.
Mir kam die Erinnerung an den Januar 1991. Im zweiten Golfkrieg ließ der Iraks Diktator Saddam Hussein Raketen auf Jerusalem, auf Tel Aviv abfeuern und brachte dort Tod und Zerstörung. Dort saßen die Menschen voller Angst mit Gasmasken in den Kellern. Als es losging, zog es mich abends in Bonn zur Botschaft Israels (ein paar Monate zuvor hatte ich dort Botschafter Navon interviewt, der als Junge noch im Ghetto war und überlebt hatte). An dem kalten Januar-Abend lernte ich vor der Botschaft Manfred Lütz kennen, der mit einer Gruppe behinderter und nichtbehinderter junger Leute einfach da war. Beeindruckend. Ansonsten waren da kaum 30 Leute. Man stand auf der anderen Straßenseite hinter Absperrgittern. Ich erinnere nicht mehr viel von dem Abend. Aber dass irgendwann einer der israelischen Wachleute kam und sich irgendwie verlegen bedankte, weiß ich noch.
Und nun? Israel ist erschüttert durch den Raketenterror der Hamas und durch einen aufkommenden Bruderkrieg im Innern. Ohne das Schutzschild des "Iron Domes" hätte das Land viele hundert Tote zu beklagen. Und in Deutschland… wird der Protest gegen Israel zu offenem Antisemitismus. Israelische Fahnen brennen vor Synagogen, Steine fliegen. Juden sind in Angst, verlieren erschüttert den Glauben an dieses Land.
Kanzlerin Merkel erklärte 2008 die "besondere historische Verantwortung Deutschlands für die Sicherheit Israels" zum "Teil der Staatsräson" Deutschlands. Gut so. Was das heißt, will man sich nicht ausmalen. Aber jetzt muss es erstmal um die Sicherheit der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden gehen. Den Stuhl vor die Synagoge stellen... Zur Demo gehen… Gegen Antisemitismus aufstehen… Wer das nicht respektiert, muss es lernen. Oder klären, ob dies sein Land ist.
2014 musste in einer ähnlichen Situation der Zentralrat der Juden in Berlin selbst den Aufruf zur Solidaritäts-Demo starten, dem dann viele Politiker (man steht ja gern demonstrativ an der Seite) und wenige Bürger folgten. Aber heute? Es braucht mehr Zeichen aus der Mitte der Gesellschaft. Warum gibt es nicht den Demo-Aufruf von Gewerkschaften, Kirchen, Künstlern? Jetzt!
Der Autor
Christoph Strack ist Leiter des Bereichs Religionen der Deutschen Welle.Hinweis
Der Standpunkt spiegelt ausschließlich die Meinung des Autors wider.