Seelsorgerin in Kapstadt: Leise treten in diverser Gemeinschaft
Petra Schindler kennt beide Länder genau: In Südafrika ist sie geboren und aufgewachsen und hat 18 Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet. Seit 2017 leitet die Gemeindereferentin nun die deutschsprachige Gemeinde in Kapstadt. Im Interview erklärt sie, wie das Gemeindeleben in Südafrika aussieht.
Frage: Frau Schindler, wie ist die Corona-Situationen bei Ihnen in Südafrika im Allgemeinen und in Kapstadt im Besonderen gerade?
Schindler: Wir sind in einer dritten Welle, die hier in Kapstadt noch nicht abflacht, es gilt das Lockdown-Level drei von fünf. Es gibt also einige Restriktionen. Aber die Kinder können wieder in die Schule gehen. Gerade in manchen ländlichen Gegenden sind die Zahlen noch sehr hoch. Die medizinische Versorgung ist stellenweise sehr schwierig und das Gesundheitssystem ist in der Ostkap in der zweiten Welle fast zusammengebrochen. Jetzt in der dritten Welle hört man davon weniger.
Frage: Wie hat Ihre Gemeinde die Pandemie erlebt?
Schindler: Wir haben einige Ärzte und Professoren hier, die auch in Krankenhäusern direkt betroffen waren. Einige Gemeindemitglieder waren auch erkrankt. Bisher ist glücklicherweise kein aktives Mitglied verstorben. Es betrifft aber unser Umfeld, so ist ein Vater an der deutschen Schule mit 44 Jahren an einer Covid-Erkrankung verstorben. Viele Menschen kennen Freunde und Bekannte, die schwer erkrankt sind und andere, die verstorben sind. Sie merken, wie ernst es ist. Im ersten Lockdown gab es noch Gemeindemitglieder, die das nicht so ernst genommen haben.
Frage: Das Gemeindeleben in Deutschland hat sich durch die Pandemie stark verändert, weil vieles nicht möglich war und ist. Wie ist das bei Ihnen in Kapstadt?
Schindler: Wir haben keine eigene Kirche hier, sondern sind zu Gast in der Kirche im "Nazareth House", einer mittlerweile säkularen Einrichtung, in der auch Ordensschwestern alte Menschen und Waisenkinder betreuen. Mit dem strengen Lockdown konnten wir dort gar nicht auf das Gelände und es wird noch einige Zeit dauern, bis wir das wieder können. Wir treffen uns aktuell in einem Gästehaus, das ursprünglich der Gemeinde gehörte und in dem wir jetzt Räume mieten, weil keine Besucher kommen. Glaubensgespräche, Taizé-Andachten, Erstkommunion- und Firmvorbereitung, Pfarrgemeinderatssitzungen und auch die Gottesdienste finden live per Videokonferenz statt. Nur die, die das nicht mögen oder können, kommen live hierher. Es ist sehr schön, dass sich auch einige aus dem deutschsprachigen Raum in Europa zu unseren Gottesdiensten dazuschalten.
Frage: Wenn wir uns vom Thema Corona lösen: Was sind die Unterschiede zwischen einer Gemeinde in Deutschland und ihrer deutschsprachigen Gemeinde in Kapstadt?
Schindler: In Deutschland habe ich die Gemeinden, in denen ich gearbeitet habe, homogener erlebt, weil die Menschen oft einen ähnlichen Background hatten. Die Gemeinden hier sind diverser, weil die Menschen aus ganz unterschiedlichen Gegenden Deutschlands, Europas oder aus Namibia und Südafrika selbst kommen. Durch diese Diversität sind die Menschen in ihren Vororten und in den Townships sehr engagiert und helfen direkt vor Ort, wo Not ist. Ich verstehe es als meine Aufgabe, die Verbindungen herzustellen, damit die Menschen sich mit ihren Erfahrungen austauschen, und Unbekannte miteinander bekannt zu machen.
„Mein Eindruck war: Wir verwalten nur noch die Pastoral, statt den Menschen zu begegnen.“
Frage: Wie groß ist Ihre Gemeinde? Wie viele Gemeindemitglieder gibt es in etwa?
Schindler: Das ist schwierig zu sagen. Wir schreiben mit unseren Angeboten aktuell rund 290 Personen an, zu denen pro Kopf vielleicht noch zwei oder drei Familienmitglieder gehören. Das ist unsere Kerngemeinde. Darüber hinaus gibt es in der Metropole noch deutschsprachige Communitys wie beispielsweise das deutsche Altenheim, die deutsche Schule, die deutsche Handelskammer oder den Schweizer Klub. Wenn wir Weihnachten Gottesdienst gefeiert haben, waren es vor Corona über 120 Menschen in der Nazareth-House-Kirche. Im Sonntagsgottesdienst sind es normalerweise zwischen 12 und 30 Besucher.
Frage: Aus welchen Situationen kommen die Menschen?
Schindler: Das sind neben Professoren und Ärzten auch Lehrerinnen und Lehrer und Menschen, die in der Tourismusbranche, im diplomatischen Dienst oder in der Wirtschaft arbeiten. Kapstadt entwickelt sich mehr und mehr zu einem weiteren Wirtschaftszentrum neben Johannesburg und Durban. Es gibt auch Expatriates, also Führungskräfte, die für eine Zeit hier arbeiten und dann entweder zurückkehren oder weiter in andere Länder entsandt werden. Vor der Pandemie kamen viele Touristen und Residenten jährlich für ein paar Monate. Und schließlich gibt es die Gemeindemitglieder, die permanent hierhergezogen sind und hier leben.
Frage: Wie sind Sie selbst denn dazu gekommen, als Seelsorgerin in Südafrika zu arbeiten?
Schindler: Ich bin in Südafrika geboren und aufgewachsen, habe jedoch deutsche Wurzeln. In meinem ersten Beruf als Krankenschwester habe ich in Johannesburg gearbeitet. Als meine Großmutter in Deutschland hilfebedürftig wurde, bin ich nach Deutschland gekommen. Dort habe ich eine Gemeindereferentin kennengelernt, die mich sehr inspiriert und motiviert hat, meinen Job zu wechseln. Ich habe dann im Erzbistum Köln und im Bistum Aachen gearbeitet. Als dort aber irgendwann die Dorfgemeinden zu immer größeren Seelsorgeeinheiten zusammengefasst wurden, war ich damit nicht glücklich. Mein Eindruck war: Wir verwalten nur noch die Pastoral, statt den Menschen zu begegnen. Ich wollte immer wieder zurück nach Südafrika und während einer Auszeit in Südafrika, kam die Anfrage des Auslandssekretariat der Deutschen Bischofskonferenz für die Stelle als Gemeindereferentin in Pretoria. Nach 18 Jahren in Deutschland, habe ich dort neun Jahre lang in der deutschsprachigen Gemeinde gearbeitet und bin seit 2017 ich hier in Kapstadt.
Frage: … und leiten als Frau die deutschsprachige Gemeinde?
Schindler: Ja, genau. Wir müssen immer wieder Priester organisieren; dadurch haben wir aber auch eine große Vielfalt an Predigern.
Frage: In Deutschland und Europa wird ja immer wieder über die Rolle von Frauen in der Kirche diskutiert. Wie sehen Sie das?
Schindler: Ich halte mich hier an die Regeln und versuche eher leise zu treten und so Zeichen zu setzen. Manchmal muss man wie ein Sauerteig wirken. Wir haben hier in Kapstadt einen sehr konservativen Bischof und ich möchte meinem beruflichen Umfeld keine Schwierigkeiten bereiten. Aber ich leide schon darunter, das sage ich ganz offen. Es ist nicht einfach für mich, weil ich in meiner Rolle den Gegenwind von manchen Priestern, aber auch von manchen Frauen zu spüren bekommen habe.
Frage: Wie werden Sie denn in der Gemeinde angenommen, als Hauptansprechpartnerin vor Ort?
Schindler: Diese Gemeinde wurde vom Priester Stefan Hippler aufgebaut und war durch ihn sehr geprägt und personalbezogen. Manche Leute tun sich daher mit einer Frau in dieser Rolle schwer und bleiben weiterhin mit ihm sehr verbunden – was ja auch gut ist. Die meisten Menschen der Kerngemeinde hier haben aber einen guten Zugang zu mir und den Mitarbeitern und ich spüre, dass Vertrauen da ist und dass viele dankbar für das sind, was hier läuft.
Frage: Wie gehen Sie dann damit um, wenn Sie abgelehnt werden?
Schindler: Natürlich ist das eine schwierige Erfahrung. Manches nehme ich davon nicht persönlich – es ist System-immanent. Ich versuche dennoch Verbindungen unter den Menschen herzustellen, ein offenes Klima zu schaffen, in dem man sich gerne begegnet. Und ich möchte die Menschen für die Not im Land sensibilisieren, damit wir uns als privilegierte Gemeinde nicht elitär verhalten, sondern uns auch weiterhin vielfältig engagieren. Wenn das gelingt, dann wird aus meiner Sicht etwas vom Reich Gottes spürbar.
Frage: Gibt es einen Unterschied, wie Ihre Rolle in Kapstadt jetzt wahrgenommen wird im Gegensatz zu Deutschland?
Schindler: Hier kann ich viel freier arbeiten. Das ist einerseits sehr positiv, weil es mir viele Möglichkeiten bietet. Andererseits bin ich in meiner Rolle allein in diesem Beruf, es fehlen die Kollegen, mit denen man sich regelmäßig vor Ort austauschen kann. Ich habe gerne in Teams gearbeitet, auch wenn es nicht immer einfach war; doch es war schon eine große Umstellung und fehlt mir immer noch. Wahrscheinlich ist das einer der vielen Gründe, weshalb ich mich gerne in der Ökumene engagiere. Wenn ich hier nicht Familie und Freunde hätte, wäre es noch schwerer geworden.
Frage: Was würden Sie sich für die Kirche wünschen?
Schindler: Ich würde mir wünschen, dass die Kirche sich öffnet, damit Menschen mit ihren Fähigkeiten unabhängig von ihrem Geschlecht und ihren Orientierungen Aufgaben übernehmen können, die ihren Fähigeiten entsprechen. Mit anderen Worten: Ich würde mir wünschen, dass die Kirche offener und diverser wird und die Menschen dort erreicht, wo sie sind. Manchmal beneide ich meine Kolleginnen und Kollegen in der Seelsorge für Krankenhäuser, Polizei oder in anderen Bereichen. Sie sind viel näher an den Menschen mit ihren Nöten als wir in den Gemeinden. Wir haben uns als Kirche von den Menschen und ihren Bedürfnissen zu stark entfernt.